JudikaturOGH

11Os63/21f – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Juni 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. Juni 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen L***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 5. März 2021, GZ 151 Hv 49/19z 55, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte L***** jeweils mehrerer (vgl US 3 f und 12 f) Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1./) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (3./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er von Frühjahr bis 9. Dezember 2018 in P***** in mehreren Angriffen

1./ mit seiner am ***** 2006 geborenen Enkeltochter S*****, somit einer unmündigen Person, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen und den Beischlaf unternommen, indem er sie digital vaginal penetrierte und [einmal] seinen Penis mit Penetrationsvorsatz gegen ihre Vagina drückte,

2./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an der Genannten vorgenommen, indem er sie teils über, teils unter der Kleidung an ihren bereits entwickelten Brüsten und im Genitalbereich zwischen den Schamlippen mit den Fingern intensiv betastete und streichelte, sowie

3./ durch die zu 1./ und 2./ bezeichneten Tathandlungen mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Ausdrücklich nur gegen die Schuldspruch-punkte 1./ und – soweit damit korrespondierend – 3./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, „9a“ und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider wurden die beiden festgestellten Tathandlungen ([a./] Eindringen mit einem Finger in die Vagina der S***** „im Zuge eines dieser [mehrfachen] Übergriffe zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Zeitraum Frühjahr 2018 bis 9. Dezember 2018“ [US 3] sowie [b./] mehrfaches Ein- und Ausführen eines Fingers in und – unmittelbar daran anschließend – Drücken des „halbsteifen“ Penis mit Penetrationsvorsatz gegen die Vagina der S***** „an einem Wochenende vor den Sommerferien im Jahr 2018“ [US 3 f]) mit Bezugnahme auf insbesondere die – vom Schöffensenat eingehend beleuchteten und für glaubhaft erachteten (vgl US 5, 8 bis 10, 12) – Angaben des Opfers, Aussagen der Zeuginnen N***** (US 8) und V***** (US 8), die Ausführungen der psychologischen (US 9 bis 11) bzw urologischen Sachverständigen (US 7) sowie die Einlassung des Angeklagten (zum erstbeschriebenen Vorfall – US 6) logisch und empirisch einwandfrei begründet.

[5] Die Tatrichter setzten sich dabei ausführlich mit der diesbezüglich letztlich zur Gänze leugnenden Verantwortung des Angeklagten auseinander (vgl insbesondere US 6, 7 f und 12) und legten eingehend und unmissverständlich dar, aus welchen Gründen sie zur gegenteiligen Überzeugung gelangten. So ging das Erstgericht auch auf die behauptete erektile Dysfunktion ein und sprach gerade mit Bezugnahme auf das urologische Sachverständigengutachten aus, dass der Angeklagte – mit Blick auf das jedenfalls vorhandene sexuelle Verlangen (vgl dazu US 7 f) – zur Tatzeit (noch) in der Lage war, einen „halbsteifen Penis zu bekommen“ (vgl US 6 f). Eine (tatsächliche) vaginale Penetration mit dem Penis des Angeklagten wurde im Übrigen gar nicht festgestellt (vgl US 9f).

[6] Eine darüber hinausgehende Erörterung des vollständigen Inhalts der Aussagen des Beschwerdeführers (aber auch jener der Zeugen und der Sachverständigen) wie überhaupt sämtlicher Verfahrensergebnisse ist unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) im Übrigen nicht erforderlich, sie würde vielmehr dem Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) zuwiderlaufen (RIS-Justiz RS0106642; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 428).

[7] Die Beschwerdebehauptung (dSn Z 5 vierter Fall), dass das Tatopfer die (zu b./) inkriminierte Tathandlung gar nicht geschildert habe, geht ins Leere (US 9f; vgl auch die Passagen aus der Aussage der Zeugin in ON 10 S 5 und 9).

[8] Indem die Beschwerde vorbringt, das Erstgericht unterliege in Bezug auf die Angaben des Angeklagten „offensichtlich einem grundsätzlichen Missverständnis“, und daran anknüpfend eigenständig deren „Sinn“ erläutert, wird e in Begründungsdefizit iSd Z 5 nicht dargetan.

[9] Der formelle Nichtigkeitsgrund der Z 5a will nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf in der Hauptverhandlung vorgekommene (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 481) Beweismittel bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der Beweiswerterwägungen des Erstgerichts verhindern. Eine über diese Prüfung hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie es die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt – wird dadurch nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583; Ratz , WK StPO § 281 Rz 470 ff, 490 f).

[10] Diesen Anforderungen wird die Tatsachenrüge mit Hinweisen darauf, dass

- sich die Angaben der Zeugin S***** zum Vorfallsort und zur „genauen Tathandlung (Position)“ (betreffend des zu b./ genannten Sachverhalts) widersprechen würden (vgl US 9 ff),

- kein Beweisergebnis für eine (gar nicht festgestellte [vgl US 4 iVm 9 f] oder erforderliche [RIS Justiz RS0095114]) Penetration mit dem Penis des Angeklagten vorliege und laut urologischem Sachverständigengutachten „ein tatsächliches vaginales Eindringen eher unwahrscheinlich bis unmöglich“ gewesen sei (wobei die Beschwerde insoweit zudem mit Blick auf das kurz zuvor im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens erfolgte [mehrfache] Einführen eines Fingers in die Vagina der S***** keine für die Schuld- und Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache anspricht [RIS-Justiz RS0127374]),

- das Erstgericht die Angaben des Angeklagten „offensichtlich missverstanden“ habe, zumal dieser ja auch klar angeführt habe, dass er „den Finger nicht richtig in die Scheide hineingesteckt habe“,

- der Angeklagte ( laut seiner in der Hauptverhandlung getätigten Aussage) zuletzt Anfang 2018 Geschlechtsverkehr mit seiner Lebensgefährtin gehabt habe und seither keine Erektion mehr bekomme,

nicht gerecht. Vielmehr verfehlt die Rüge teils den Bezug auf entscheidende Tatsachen (s oben) und unternimmt darüber hinaus bloß den Versuch, die Beweiswürdigung der erkennenden Richter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zu bekämpfen.

[11] Die (auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 15. April 1971, 12 Os 32/71, gestützte) Behauptung der Rechtsrüge (Z 9 lit a, inhaltlich Z 10), die Urteilsannahmen seien deshalb unzureichend, weil „keine hinreichende Beischlafabsicht“ festgestellt worden sei, übergeht – prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) – den eindeutigen Ausspruch zur subjektiven Tatseite (US 4) und leitet im Übrigen nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116569; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 588 ff), weshalb und welche darüber hinausgehenden Konstatierungen für eine rechtsrichtige Subsumtion noch hätten getroffen werden müssen und weshalb auf die in Rede stehenden Urteilstaten die Strafbestimmung des § 207 Abs 1 StGB anzuwenden sein sollte (RIS-Justiz RS0099984).

[12] M it der bloßen Behauptung, „die gegenständliche Verurteilung sei jedenfalls zu Unrecht“ erfolgt, wird keine (materiell rechtliche) Nichtigkeit dargestellt.

[13] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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