12Os37/21i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Pentz in der Strafsache gegen Mathias Peter K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Jugendschöffengericht vom 21. September 2020, GZ 620 Hv 11/19m 35, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mathias Peter K***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach „§ 201 Abs 1 StGB“ schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 23. November 2019 in D***** Sabrina H***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie ins Wohnzimmer zerrte, ihr einen Stoß versetzte, sie mit beiden Händen an den Oberarmen erfasste, auf die Couch warf und mit beiden Händen würgte, ihr sodann auf ihr sitzend die Hose öffnete und herunterzerrte, die Unterhose auszog und in weiterer Folge auf ihr liegend und diese dadurch fixierend einen Finger in ihre Vagina einführte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung zweier Beweisanträge Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verkürzt.
[5] Der Antrag auf „Einvernahme des diensthabenden Arztes des SMZ Ost zum Beweis dafür, dass die Zeugin H***** keinerlei Erwähnung gemacht hat, dass sie sexuell missbraucht oder gar vergewaltigt worden sei und die Krankengeschichte daher richtig ist“ (ON 34 S 20), legte nicht dar, welche über den Inhalt des Ambulanzprotokolls (ON 8 S 3) hinausgehenden Angaben der behandelnde Arzt hätte tätigen können. Solcherart erschöpfte sich das Beweisbegehren in unzulässiger Erkundungsbeweisführung (vgl RIS Justiz RS0118444).
[6] Die weitere Beschwerde bezieht sich auf die erfolglos beantragte Beischaffung der „Videoüberwachung der Tankstelle“ zum „Beweis dafür, dass der Zeitablauf dahingehend war, dass die Zeugin im SMS-Verkehr angibt, dass sie erst um 05.00 Uhr nach Hause gekommen ist, und zum Beweis dafür, dass man bereits viel früher auf der Tankstelle war und sie daher auch viel früher nach Hause gekommen sein muss, was sich auch deckt mit den Aussagen vom heutigen Zeugen S*****, wonach sie um 01.00 Uhr bei ihm ungefähr weggegangen seien, und auch mit den Aussagen des Taxifahrers, der auch sagt nach Mitternacht, 01.00 Uhr, 01.30 Uhr, sodass wenn man jetzt eine, eineinhalb Stunden dazurechnet, sie nach diesen Zeugenaussagen spätestens um 03.00 Uhr zu Hause gewesen sein muss, sodass hier eine zeitliche Differenz von mindestens einer, eventuell sogar zwei Stunden besteht und damit die Aussage der Zeugin auch diesbezüglich nicht stimmen kann, die Beischaffung der Videoüberwachung der Tankstelle. Weiters auch zum Beweis dafür, damit man den Zustand feststellen kann, ob sie schwer alkoholisiert, mittelschwer, gar nicht, weinerlich, müde, übermüdet, etc“ (ON 34 S 20 f).
[7] Inwieweit vor dem Tatzeitpunkt liegende Umstände oder die danach folgende Rückkehr des Opfers in ihre Wohnung für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollen, ließ der Antrag nicht erkennen. Soweit dieser bloß Spekulationen über den Gefühlszustand der Sabrina H***** enthielt , bezog er sich erneut auf unzulässige Erkundung.
[8] Das umfängliche nachträgliche Vorbringen des Beschwerdeführers im Rechtsmittel unterliegt dem Neuerungsverbot und ist daher unbeachtlich (vgl RIS Justiz RS0099618).
[9] Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider war das Erstgericht nicht verhalten, sich mit den (mit der Rolle eines Gutachters nicht in Einklang zu bringenden ) Einschätzungen (vgl RIS Justiz RS0097540 [T1]) des Sachverständigen zu befassen, wonach es ihm nicht erklärbar sei, weshalb es dem Angeklagten zwar nicht gelungen sei, den Pullover des Opfers hochzuziehen, aber er dennoch dessen Hose samt Unterhose ausziehen und ihr einen Finger in die Vagina habe einführen können.
[10] Ob der Angeklagte Sabrina H***** im Zuge des Vergewaltigungsgeschehens auch eine Bissverletzung zufügte, steht den Feststellungen der Tatrichter ebensowenig erörterungsbedürftig entgegen wie der Umstand, ob das Opfer der Zeugin Lena M***** den sexuellen Übergriff als bloßen Tatversuch geschildert hat.
[11] Gleiches gilt für den Eintrag in der Verletzungsanzeige des Krankenhauses Donauspital (ON 2 S 41), wonach ein Fremdverschulden in Bezug auf die berichteten Prellungen und Hämatome am Körper fraglich sei, und die (beweiswürdigende) Zusammenfassung der kriminalpolizeilichen Ermittlungen (vgl erneut RIS Justiz RS0097540) im (den Vorwurf wegen Tatversuchs enthaltenden) Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich (ON 2 S 4; vgl jedoch S 31), wonach keine Penetration stattgefunden habe.
[12] Wie die weitere Beschwerde selbst einräumt, gingen die Tatrichter davon aus, dass sich Sabrina H***** bewusst dafür entschieden hat, zur Behandlung ihrer Prellungen und Abschürfungen eine unfallchirurgische, aber keine gynäkologische Ambulanz aufzusuchen und sich deshalb dem behandelnden Arzt in Bezug auf einen sexuellen Übergriff nicht anzuvertrauen (US 13). Davon ausgehend war der Schöffensenat – dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe folgend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) – nicht verpflichtet, sich mit der im Sachverständigengutachten Dris. Ha***** wiedergegebenen Passage der Krankengeschichte (ON 30 S 12, 19) auseinanderzusetzen, wonach es laut Patientin zu keinem sexuellen Missbrauch gekommen sei, weshalb eine gynäkologische Untersuchung unterbleibe.
[13] Welche rechtliche Einschätzung der Mutter des Opfers laut ihrer Aussage seitens des Krankenhauses abgegeben worden sei (wonach eine Nötigung, aber keine Vergewaltigung vorliege), stellt ebenfalls keinen erheblichen Umstand dar.
[14] Dass das Opfer bewusst eine unfallchirurgische und keine gynäkologische Ambulanz aufgesucht hat, stellt – der weiteren Beschwerde (Z 5 vierter Fall) zuwider – keinen entscheidenden Umstand dar.
[15] Ob zwischen dem Angeklagten und Sabrina H***** eine freundschaftliche oder bereits intime Beziehung bestanden hatte, spielt für die Lösung der Schuldfrage keine Rolle, sodass die darauf bezogene Rechtsmittelargumentation auf sich beruhen kann.
[16] Soweit die Beschwerde unter Hervorkehrung von (vom Erstgericht im Übrigen ohnedies berücksichtigten) Widersprüchen der Angaben der Sabrina H***** in Bezug auf vor oder nach dem Tatzeitpunkt liegende Nebensächlichkeiten (Abholung mit einem Taxi zur Wohnung des Angeklagten, Zeitpunkt der Rückkehr in die eigene Wohnung) die dem Opfer attestierte Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen sucht, bekämpft sie bloß die Beweiswürdigung des Schöffensenats nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.
[17] Entsprechendes gilt für die spekulativen Überlegungen des Beschwerdeführers, wonach Sabrina H***** über alternative Handlungsmöglichkeiten zur gemeinsamen Taxifahrt mit dem Angeklagten verfügt hätte.
[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[19] Bleibt mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO anzumerken, dass der Schöffensenat – mangels Anführung der zum Tatzeitpunkt im Jahr 2019 geltenden Rechtslage – ersichtlich Urteilszeitrecht angewandt hat. Die zum Tatzeitpunkt gültige Bestimmung des § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 wäre jedoch im Hinblick auf die geringere Strafuntergrenze von einem Jahr (anstelle von nunmehr zwei Jahren) günstiger gewesen (§ 61 zweiter Satz StGB; vgl 14 Os 86/20h).
[20] Indem das Erstgericht den Strafrahmen unter Anwendung des § 19 Abs 1 JGG, wonach sich das Mindestmaß der angedrohten zeitlichen Freiheitsstrafe nach jenem bei Jugendlichen richtet und somit gemäß § 5 Z 4 JGG entfällt, bestimmt hat (und die erst nach Tatbegehung in Kraft getretene Ausnahmebestimmung des § 19 Abs 4 Z 2 JGG idF BGBl I 2019/105 zu Recht nicht angewendet hat), ist ein Nachteil für den Angeklagten nicht eingetreten.
[21] Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht – dessen Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO) – an den aufgezeigten Subsumtionsfehler nicht gebunden (RIS Justiz RS0118870).
[22] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.