JudikaturOGH

1Ob91/21w – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Mai 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H*, vertreten durch Dr. Ralph Mayer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 6.274,96 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. Februar 2021, GZ 14 R 178/20d 13, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 20. Oktober 2020, GZ 31 Cg 4/20s 9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 522 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger begehrte im Anlassverfahren als Käufer von der Wohnungseigentumsorganisatorin (und Verkäuferin) die Unterlassung der „Organisation des Wohnungseigentums“ auf Basis eines inhaltlich näher umschriebenen (von ihm erwarteten) Nutzwertgutachtens.

[2] Die auf die Abweisung dieser Klage gestützten Ersatzansprüche nach dem AHG wiesen die Vorinstanzen übereinstimmend ab.

[3] Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) ist die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Nur eine unvertretbare Rechtsanwendung begründet Amtshaftungsansprüche (RIS Justiz RS0050216; RS0049955; RS0049951 [T9]). Unvertretbarkeit der Rechtsansicht und damit ein Verschulden des Organs wird in der Regel verneint, wenn sie auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung beruht (RS0050216 [T2]). Ob die im hier konkret zu beurteilenden Zivilprozess tätigen Gerichte in diesem Sinne „sorgfältige Überlegungen“ anstellten, unterliegt – als vom Gang des Verfahrens und den jeweils dargelegten Entscheidungsgründen abhängig – der Beurteilung im Einzelfall (vgl RS0049912 [T5, T11]).

[5] 2. Führt eine bloß unrichtige, aber vertretbare Rechtsauffassung mangels Verschulden des Organs nicht zur Amtshaftung, kommt der Beantwortung der Frage, ob die Entscheidungen der Gerichte im Anlassverfahren richtig waren, keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, wenn diese im Amtshaftungsprozess – ohne aufzugreifende Fehlbeurteilung – als jedenfalls vertretbar beurteilt wurden (vgl RS0049951 [T4, T12]; jüngst 1 Ob 232/19b).

[6] 2. Bei Abweisung einer Klage als unschlüssig ist vom Gericht zwar das vom Kläger erstattete Tatsachenvorbringen der rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen, nicht aber – anders als der Revisionswerber meint – die von ihm vorgenommene rechtliche Beurteilung dieser Tatsachen (hier: die Einstufung gewisser Vorgangsweisen bei der Ermittlung der Nutzwerte [etwa Zu- und Abschläge in bestimmter Höhe] anlässlich der Erstellung des vorläufigen Nutzwertgutachtens durch den Kläger als gesetzwidrig). Damit ist eine wesentliche Prämisse der weiteren Ausführungen des Revisionswerbers unrichtig.

[7] 3. Die – während des Anlassverfahrens noch nicht erfolgte – (erstmalige) Ermittlung der Nutzwerte hat seit 1. 1. 1997 ausschließlich durch das Gutachten eines privaten Sachverständigen (genauer: eines für den Hochbau zuständigen Ziviltechnikers oder eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für das Hochbau- oder das Immobilienwesen) zu geschehen (§ 9 Abs 1 WEG 2002). Nur eine Nutzwertneufestsetzung (und zwar für die gesamte Liegenschaft und unter Beteiligungsmöglichkeit aller betroffenen Parteien) hat durch das Gericht im Außerstreitverfahren zu erfolgen (RS0120543).

[8] Dass vom Gesetzgeber eine „Privatisierung“ der Nutzwertfestsetzung angestrebt wurde und bei behaupteten Fehlbewertungen des Sachverständigen (die nicht als Verstöße gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertfestsetzung anzusehen sind) auch keine Möglichkeit besteht, noch vor Begründung von Wohnungseigentum über Antrag eines Wohnungseigentümers die Nutzwerte durch das (Außerstreit )Gericht festsetzen zu lassen, weil ansonsten diese „Privatisierung“ der Nutzwertfestsetzung kaum mehr zu verwirklichen und die Möglichkeit der gerichtlichen Nutzwertfestsetzung ohne spezifische sachliche Voraussetzungen praktisch schrankenlos eröffnet würde, wurde dem Kläger (zu seinem Antrag auf erstmalige Festsetzung der Nutzwerte für diese Liegenschaft) vom Obersten Gerichtshof bereits erläutert (5 Ob 53/20k). Der Gesetzgeber geht erkennbar davon aus, dass im Regelfall keine Bedenken gegen das Gutachten eines spezialisierten Fachmanns bestehen und es daher ausreicht, dafür ein nachträgliches Überprüfungsverfahren zu eröffnen. Es ist auch nicht Sache des Wohnungseigentumsorganisators, die Richtigkeit eines solchen Gutachtens zu beurteilen.

[9] 4. Die Gerichte im Anlassverfahren legten den abgeschlossenen Vertrag mit der Wohnungsorganisatorin dahin aus, dass die darin übernommenen Pflichten sich mit den aus dem Gesetz ergebenden Pflichten decken. Die Beurteilung der Amtshaftungsgerichte, dass diese Auslegung ebenso wie der von den Anlassgerichten eingenommene Standpunkt, es könne die Richtigkeit des von einem privaten Sachverständigen erstellten Nutzwertgutachtens im Rahmen eines Verfahrens nach § 52 Abs 1 Z 1 iVm § 9 Abs 2 WEG 2002 über Antrag eines Wohnungseigentumsbewerbers nur unter Beiziehung der anderen Wohnungseigentums bewerber und in Bezug auf die Gesamtparifizierung der Liegenschaft als Ganzes überprüft werden, die im streitigen Verfahren eingebrachte Klage (vor erstmaliger Erstellung des Nutzwertgutachtens) stelle aber den Versuch dar, die vom Gesetzgeber vorgenommene Regelung einer Zuweisung der (erstmaligen) Quantifizierung der Nutzwerte durch einen Sachverständigen und der darauf folgenden auf diesem Gutachten basierenden Organisation des Wohnungseigentums, zu unterlaufen, liegt keinesfalls eine klare Fehlbeurteilung.

[10] Der Revisionswerber räumt selbst ein, dass mit seiner Klage eine Einflussnahme auf die Erstellung des Gutachtens durch den Ziviltechniker intendiert war. Wenn er dazu vorträgt, er habe nur verhindern wollen, dass die Wohnungseigentumsorganisatorin als Auftraggeberin (wie von ihm befürchtet) ihrerseits Einfluss auf den Ziviltechniker bei Erstattung seines Gutachtens nimmt, muss ihm sein Vorbringen im Anlassverfahren, wonach er an diejenige Person der Ziviltechnik GmbH, die das vorläufige Gutachten erstellt hatte, herangetreten sei, sich diese aber „völlig uneinsichtig“ und zu keiner Änderung bereit gezeigt habe, und sein Ansinnen, dass das endgültige Nutzwertgutachten jedenfalls nicht so wie das vorläufige (von ihm als unrichtig angesehene) zu erstellen sein werde, vorgehalten werden. Der Wohnungseigentumsorganisatorin wäre bei Erfolg seiner Klage – auch wenn sie jede Einflussnahme auf den Ziviltechniker unterlassen hätte – verboten worden, das Wohnungseigentum entsprechend der gesetzlich vorgesehenen Vorgangsweise auf Basis eines zwar von ihr unbeeinflusst gebliebenen (mit dem vorläufigen gleichlautenden) Gutachtens zu „organisieren“. Die vom Revisionswerber (wiederholt) angesprochene Rechtsfrage, ob ein Wohnungseigentumsbewerber Unterlassung begehren kann, wenn die Wohnungseigentumsorganisatorin „unbedingt ein Nutzwertgutachten mit rechtswidrigen Bewertungen erstellen lassen will“, stellt(e) sich angesichts seines Begehrens im Anlassverfahren nicht. Er hat ja nicht etwa die Unterlassung einer Einflussnahme auf die Gutachtenserstellung begehrt, sondern vielmehr die Unterlassung der „Wohnungseigentums organisation“ auf Basis eines (zu erwartenden) Gutachtens mit bestimmtem Inhalt zu einzelnen von ihm angesprochenen Detailfragen. Wenn er nun in der Revision selbst betont, dass die Organisationstätigkeit mit Vorliegen des Gutachtens beendet – und die Begründung von Wohnungseigentum auf Basis des Gutachtens Sache eines dazu bevollmächtigten Rechtsanwalts – gewesen wäre, hätte die begehrte Unterlassung nur dadurch erreicht werden können, dass die Organisatorin dem Sachverständigen verbindlich vorgibt, dass sein Gutachten den vom Kläger in bestimmten Punkten geforderten „Mindestinhalt“ aufzuweisen hat. Warum eine solche Einflussnahme auf den Inhalt des Gutachtens angesichts der gesetzlichen Regelung über die Heranziehung eines Fachmanns – der das Gutachten eigenverantwortlich und unbeeinflusst zu erstatten hat – zulässig sein sollte, vermag der Revisionswerber nicht zu erklären; umso weniger als er nicht etwa einen Verstoß gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertfestsetzung behauptet, sondern bloße Fehlbewertungen des Sachverständigen (5 Ob 53/20k).

[11] 5. Auch die Beurteilung der Zurückweisung seines Abänderungsantrags nach § 508 Abs 1 ZPO samt ordentlicher Revision im Anlassverfahren als vertretbar, bedarf keiner Korrektur. Anlässlich der Zurückweisung eines solchen Antrags ist keine Begründung erforderlich (§ 508 Abs 4 ZPO). Ist die Entscheidung der Anlassgerichte erster und zweiter Instanz nicht korrekturbedürftig, kann auch in der Nichtzulassung der ordentlichen Revision keine unvertretbare Fehlbeurteilung liegen.

[12] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die Revision nicht zulässig ist und hat daher Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung.

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