11Os45/21h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Mai 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen A***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 19. Jänner 2021, GZ 37 Hv 92/20s 68, weiters über dessen Beschwerde gegen einen Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil (das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche von gleichartigen Vorwürfen enthält) wurde A***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl I 130/2001 (I./A./1./a./), der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 15/2004 (I./A./1./b./), der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl I 116/2013 (I./B./1./a./), d er Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 116/2013 (I./B./1./b./), der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 2 StGB (I./C./1./), der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB idF BGBl 60/1974 (I./C./2./; richtig: idgF [RIS Justiz RS0088989 {T2}; dazu auch: RIS-Justiz RS0118870]), der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I./C./3./), des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II./), der (richtig:) Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 2 StGB (III./), der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB (IV./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB idF BGBl I 56/2006 (V./A./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB idF BGBl I 56/2006 bzw BGBl I 117/2017 (V./B./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (V./C./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in B***** und ander norts
I./ dadurch, dass er seine am ***** 2005 geborene und während ihrer Anwesenheit in seiner Wohnung von ihm beaufsichtigte und betreute Nichte C***** in oftmals wiederholten Angriffen dazu veranlasste,
A./ im Zeitraum 2011 bis 31. Juli 2013
1./ seinen Penis in den Mund zu nehmen und zu „lutschen“, wobei er im Fall ihrer Weigerung ihren Kopf festhielt und gegen sein Glied presste, ihr seine Zunge, Vibratoren in verschiedenen Größen bzw seine Finger in die Scheide einführte, wobei er sie, wenn sie dies aufgrund von dabei erlittenen Schmerzen nicht zulassen wollte, mit der Hand festhielt und so zur Ermöglichung seiner Handlungen zwang sowie überdies ihren Scheidenbereich „ableckte“ und sie zur Durchführung von Handverkehr an seinem Penis veranlasste,
a./ eine unmündige Person zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen verleitet,
b./ eine Person mit Gewalt zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen genötigt;
B./ im Zeitraum 1. August 2013 bis November 2017
1./ seinen Penis in den Mund zu nehmen und zu „lutschen“, wobei er im Falle ihrer Weigerung ihren Kopf festhielt und gegen sein Glied presste, ihr seine Zunge, Vibratoren in verschiedenen Größen sowie seine Finger in die Scheide einführte, wobei er sie, wenn sie dies aufgrund von dabei erlittenen Schmerzen nicht zulassen wollte, mit der Hand festhielt und so zur Ermöglichung seiner Handlungen zwang sowie überdies ihren nackten Scheidenbereich „ableckte“ und sie zur Durchführung von Handverkehr an seinem nackten Penis veranlasste,
a./ eine unmündige Person zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen verleitet,
b./ eine Person mit Gewalt zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen genötigt;
C./ Pornofilme (Geschlechtsverkehr bzw geschlechtliche Handlungen zwischen erwachsenen Personen) auf seinem Computer mit ihm gemeinsam anzusehen, wobei er sie nachdrücklich aufforderte, die Augen aufzumachen und den von ihm vorgespielten Film anzusehen bzw. sie teils mit Gewalt zum Sehen des Films zwang, indem er sie festhielt,
1./ im Zeitraum 1. August 2013 bis November 2017 außer dem Fall des § 208 Abs 1 StGB, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, bewirkt, dass eine unmündige Person eine geschlechtliche Handlung wahrnimmt,
2./ im Zeitraum 2011 bis 31. Juli 2013 eine Person mit Gewalt zu einer Handlung genötigt,
3./ im Zeitraum 1. August 2013 bis November 2017 eine Person mit Gewalt zu einer Handlung genötigt,
II./ dadurch, dass er seine am ***** 2004 geborene und während ihrer Anwesenheit in seiner Wohnung von ihm beaufsichtigte und betreute Nichte Ch***** als diese ca 12 Jahre alt war, somit 2016 oder 2017 einmal an ihren Brüsten intensiv betastete, außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen,
III./ dadurch, dass er seine am ***** 2005 geborene Nichte C***** und seine am ***** 2004 geborene Nichte Ch*****, die während ihrer Anwesenheit in seiner Wohnung von ihm beaufsichtigt und betreut wurden, im Zeitraum 2011 bis November 2017 in oftmals wiederholten Angriffen dazu veranlasste, während des Duschens die jeweils eigene Scheide intensiv außen und innen zu betasten, sodass er seinen beiden Nichten dabei zusehen konnte und dadurch unmündige Personen dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen;
IV./ dadurch, dass er seine am ***** 1989 geborene und während ihrer Anwesenheit in seiner Wohnung von ihm beaufsichtigte und betreute Cousine K***** in acht bis neun Angriffen über einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten, im vierten Quartal 1999 dazu veranlasste, sich auf sein Bett in seinem Zimmer zu legen, sich die Hose auszuziehen, sodass er mit der Zunge ihren nackten Scheidenbereich „ablecken“, ihr die Zunge sowie ein bis zwei Finger zum Teil ganz in die Scheide einführen und dabei ihre Brüste mit der Hand intensiv betasten konnte, eine unmündige Person zur Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen verleitet, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich krankheitswertige psychische Leidenszustände im Sinne einer Panikstörung sowie einer depressiven Anpassungsstörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung in einem Ausmaß von mehr als 24 Tagen zur Folge hatte;
V./ an minderjährigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen geschlechtliche Handlungen vorgenommen sowie, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, und zwar
A./ durch die zu I./A./1./ beschriebenen Handlungen
B./ durch die zu I./B./1./ beschriebenen Handlungen
C./ durch die zu II./, III./ und IV./ beschriebenen Handlungen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 , 5a, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch Abweisung (ON 67 S 24) des „zum Beweis für die Tatsache, dass der Penis des Angeklagten anatomische Auffälligkeiten hat, die so markant sind, dass sie auch in der Situation aufgeregten Mädchen auffallen müssen“ gestellten Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Urologie (ON 67 S 23) Verteidigungsrechte nicht verletzt.
[5] Die Beschwerde legt nicht dar, weshalb das Beweisthema geeignet sein soll, einen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage erheblichen Umstand zu beweisen (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO; RIS Justiz RS0116503; Ratz , WK StPO § 281 Rz 327 und 340).
[6] Zielt außerdem ein Beweisthema – wie hier aus dem Zusammenhang erkennbar – letztlich in Richtung einer Überprüfung der Glaubwürdigkeit von Zeugen, betrifft der begehrte Verfahrensschritt nur dann einen erheblichen Umstand, wenn sich aus dem Antragsvorbringen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, der betreffende Zeuge habe in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt (RIS Justiz RS0120109 [T3]). Insoweit fehlt dem Begehren eine Begründung der Tauglichkeit der gewünschten Beweisaufnahme (RIS Justiz RS0107040). Die im Rechtsmittel kritisierte Begründung der ablehnenden Entscheidung des Erstgerichts ist im Rahmen der Prüfung des relevierten Nichtigkeitsgrundes nicht maßgeblich (RIS Justiz RS0116749).
[7] Der Vorwurf einer Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) bzw einer „Widersprüchlichkeit“ (Z 5 dritter Fall) gegen die Feststellung, K***** habe im Zimmer des Angeklagten die Hose und Unterhose herunterziehen müssen , sei „sprach- und denklogisch“ mit ihrer – ebenfalls konstatierten – vorangegangenen Einwilligung nicht in Einklang zu bringen, nimmt – trotz Zitierung der relevanten Urteilspassage in der Beschwerdeschrift – nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS Justiz RS0166504, RS0119370; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 394). Danach habe die Minderjährige nämlich „die Tragweite und das Unrecht der Handlungen bei ihrer Einwilligung“ damals nicht erkannt (US 7), womit von einer „Freiwilligkeit“, wie sie die Rüge ihrem Einwand zugrunde legt, nicht die Rede sein kann.
[8] Inwiefern die – keineswegs nur unter Verwendung der verba legalia getroffenen (vgl US 10 ff) – Annahmen zum subjektiven Handlungselement „nicht hinreichend individualisiert und konkretisiert“ geblieben sein sollen, legt die weitere Mängelrüge (nominell Z 5 erster Fall, inhaltlich Z 9 lit a) nicht dar.
[9] Entgegen dem Einwand, „weder erfolgen [im Ersturteil] jedoch ausreichende Ausführungen, aus welchen Erwägungen, noch auf welche Weise und/oder aus welchen Gründen derartige Ableitungen inhaltlich in die Beweiswürdigung Eingang gefunden hätten“ (Z 5 vierter Fall) begegnet die Fundierung dieser Konstatierungen aus den – im Übrigen jeweils einzeln zugeordneten (US 23 f) – äußeren Umständen unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit keinen Bedenken (RIS-Justiz RS0116882).
[10] Der Beschwerdeführer vermisst eine Auseinandersetzung der Tatrichter mit seinen – auf die Angaben der Zeugin K***** replizierenden und „seine r Entlastung dienenden“ – Argumenten, seine Schwester habe zum Tatzeitpunkt nicht mehr zu Hause gewohnt, weshalb mit ihrem „Hereinplatzen“ nicht zu rechnen gewesen wäre (vom Erstgericht im Übrigen ohnehin erörtert – US 13), und dass seine Mutter bei gemeinsamen Fernsehabenden regelmäßig „gegenüber auf einem Fauteuil gesessen“ wäre (Z 5 zweiter Fall). Er versäumt einmal mehr das Herstellen eines konkreten Bezugs zu entscheidenden Tatsachen und verkennt überdies, dass d ie zur bestimmten, aber gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) verhaltenen Tatrichter nicht verpflichtet sind, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen im Einzelnen dahingehend zu erörtern, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen und sich mit den Beweisergebnissen in Richtung aller denkbaren Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0098377; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 428).
[11] Welcher zusätzlichen Feststellungen zur „voluntativen Kompon ente“ des Vorsatzes es über die vom Erstgericht getroffenen Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 10 ff) hinaus bedurft hätte, legt die nicht am Urteilssachverhalt orientierte Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar. Einer Erwiderung ist ein solches Vorbringen nicht zugänglich.
[12] Die Sanktionsrüge (Z 11) hält die erschwerende Wertung der einschlägigen Vorstrafe aus dem Jahr 2017 (vgl US 29 f) für unzulässig, weil die hier gegenständlichen Taten teils davor begangen worden seien und somit im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB stünden. Sie übersieht, dass eine Tat nur dann in dem früheren Verfahren abgeurteilt werden hätte können (§ 31 Abs 1 erster Satz StGB), wenn eine gemeinsame Verfahrensführung in erster Instanz möglich gewesen wäre, somit sämtliche der nachträglichen Verurteilung zugrunde liegenden Taten vor dem Vorurteil (hier: des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 6. Juli 2017, AZ 37 Hv 24/17m; demgegenüber unter anderem I./B./, I./C./1./: „… bis November 2017 …“) begangen wurden (vgl Ratz in WK² StGB § 31 Rz 2 mwN).
[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde – die im Übrigen keinerlei Sachvorbringen zu Z 5a enthält – war bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung und der Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
[14] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass angesichts der Schuldsprüche wegen § 201 Abs 1 StGB (I./A./1./b./, I./B./1./b./) hinsichtlich des vom Erstgericht bei der Strafbemessung herangezogenen Erschwerungsgrundes der Begehung strafbarer Handlungen des 10. Abschnitts gegen Angehörige und als Volljähriger gegen Minderjährige (US 30) kein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (Z 11 zweiter Fall) vorliegt.
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.