4Ob29/21z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan LL.M. als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin R***** B*****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Land *****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 43.370,97 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 11. Jänner 2021, GZ 11 R 121/20z 62, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin unterzog sich in einem von der beklagten Gebietskörperschaft betriebenen Landesklinikum einer Handwurzeloperation, bei der ihr im Zuge der Entleerung eines Ganglions am Mondbein das Erbsenbein vorerst entfernt und sodann als Knochentransplantat in den Defekt eingebracht wurde. Die Operation erfolgte lege artis. Bei der Klägerin trat in der Folge ein CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom) auf. Dabei handelt es sich um eine mögliche Komplikation bei jedem handchirurgischen Eingriff, der in dem von der Klägerin präoperativ unterfertigten Aufklärungsbogen beschrieben war und nicht Folge eines Behandlungsfehlers, sondern ein schicksalhaftes Ereignis ist.
[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten, gestützt auf einen behaupteten Behandlungsfehler bzw mangelhafte Aufklärung, Schadenersatz und stellt auch ein Feststellungsbegehren. Die Beklagte bestreitet sämtliche Klagsansprüche.
[3] Das Erstgericht wies die Klage ab, da weder ein Behandlungsfehler noch ein Aufklärungsmangel vorgelegen habe.
[4] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.
[5] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die allerdings keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt; sie ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[6] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten (RIS Justiz RS0038176). Für die nachteiligen Folgen einer ohne ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783), es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RS0038485). Eine Einwilligung kann vom Patienten nur dann wirksam abgegeben werden, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RS0026499).
[7] 1.2. In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muss, damit dieser die Tragweite seiner Erklärung, in die Operation einzuwilligen, überschauen kann, also weiß, worin er einwilligt, ist zwar eine Rechtsfrage (RS0026763 [T3]), die aber aufgrund der Einzelfallbezogenheit (RS0026529) – abgesehen von auffälligen Fehlbeurteilungen – nicht revisibel ist (RS0026763 [T5]).
[8] 2. Soweit die Revisionswerberin vorbringt, dass sie nach der erfolgten Aufklärung über die einen Tag vor der Operation erfolgte deutliche Operationserweiterung mit einem anderen Operationszugang und die damit verbundenen Risiken nicht aufgeklärt worden sei, übersieht sie die Feststellung, dass sie der Operation auch zugestimmt hätte, wenn sie neuerlich auf das Risiko eines CRPS hingewiesen worden wäre. Damit ist der Beklagten der Beweis gelungen, dass die Klägerin auch bei erfolgter Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Der Einwand der Klägerin ist daher unerheblich.
[9] 3. Wenn sich die Revisionswerberin nunmehr auf einen Aufklärungsfehler in Bezug auf das Vorliegen lediglich einer Verdachtsdiagnose einer Arthrose am Erbsenbein stützt, ist ihr entgegenzuhalten, dass bereits das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang von einem Verstoß gegen das Neuerungsverbot ausging, weil die Klägerin ihren Vorwurf der Aufklärungspflichtverletzung im erstinstanzlichen Verfahren auf andere Umstände gestützt hat, nämlich nur auf das Fehlen einer Information über Risiken und über mögliche alternative Therapien.
[10] Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revisionswerberin mit dem Argument, dass sie ihren Schadenersatzanspruch auf eine generelle Verletzung der präoperativen Aufklärungspflicht gestützt habe, einschließlich des Umstands, dass es sich beim geschädigten Erbsenbein vor dem Eingriff lediglich um eine Verdachtsdiagnose gehandelt habe. Damit entfernt sich die Revision jedoch von den getroffenen Feststellungen, denen nicht zu entnehmen ist, dass es sich bei der am Vortag der Operation gestellten Diagnose um eine Verdachtsdiagnose gehandelt hat. Aus der Feststellung, dass sich im Zuge der Operation die Diagnose „Arthrose“ am Erbsenbein bestätigt hat, ergibt sich nämlich nicht, dass es sich davor bloß um eine Verdachtsdiagnose gehandelt hat. Den Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass das Vorliegen einer Pisotriquetralarthrose erst mit Hilfe des operativen Eingriffs abgeklärt werden sollte. Vielmehr stand diese Diagnose schon vor der Operation fest, was der Klägerin vom Arzt auch mitgeteilt wurde.