JudikaturOGH

5Nc16/20b – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. April 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwalt in Wels, und der Nebenintervenientin auf Seiten der k lagenden Partei Dr. C*****, vertreten durch die Saxinger, Chalupsky und Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die b eklagten Parteien 1. F*****, 2. Dr. D*****, beide *****, beide vertreten durch die Ferner, Hornung Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Übereignung (AZ 26 Cg 34/19g Landesgericht Wels; Streitwert 21.631,18 EUR), über die Befangenheit von Richterinnen und Richtern des Oberlandesgerichts Linz, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Es wird die Befangenheit der Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Linz Dr. P*****, Mag. H*****, Mag. B*****, Dr. H*****, Dr. M*****, Dr. M*****, Mag. G*****, Mag. A*****, Mag. E*****, Mag. M*****, Mag. X*****, Mag. C***** und Dr. G***** festgestellt.

II. Zur Entscheidung als Rechtsmittelgericht im Verfahren AZ 26 Cg 34/1 9g des Landesgerichts Wels wird das Oberlandesgericht Wien als zuständig bestimmt (§ 30 JN).

Text

Begründung:

[1] Im Verfahren AZ 26 Cg 34/19g des Landesgerichts Wels erhob der Kläger g egen das Urteil des Erstgerichts Berufung.

[2] Die Zweitbeklagte ist Richterin des für dieses B erufungsverfahren zuständigen Oberlandesgerichts Linz; sie ist zudem aktuell Mitglied des Personalsenats beim Oberlandesgericht Linz.

[3] Der Vorsitzende sowie die Mitglieder des nach der Geschäftsverteilung zur Entscheidung im Berufungsverfahren berufenen Senats zeigten der Präsidentin des Oberlandesgerichts Linz als der Vorsitzenden des für Befangenheitssachen zuständigen Senats ihre Befangenheit an. Auch die Präsid entin des Oberlan desgerichts Linz, zwei Mitglieder des Befangenheitssenats und weitere 14 in den Zivilsenaten tätigen Richterinnen und Richter zeigten daraufhin ebenfalls ihre Befangenheit an; drei Z ivilrichter und der leitende Visitator erklärten sich nicht für befangen.

[4] Mit Beschluss vom 17. November 2020 stellte das Oberlandesgericht Linz die Befangenheit jener Richterinnen und Richter fest, die ihre B efangenheit angezeigt hatten. Zur Entscheidung über die Berufung seien daher die in der Geschäftsverteilung genannten nächsten Richter als Senatsmitglieder berufen.

[5] Nach Zustellung dieses Beschlusses lehnte der Kläger den leitenden Visitator und jene Zivilrichter, die ihre Befangenheit nicht anzeigten, wegen Befangenheit ab. Die in den Strafsenaten tätigen und nun ebenfalls zur Stellungnahme aufgeforderten Richterinnen und Richter zeigten (mit Ausnahme eines krankheitsbedingt auf unbestimmte Zeit dienstabwesenden Richters) alle ihre Befangenheit an .

[6] D ie Präsidentin des Oberlandesgerichts Linz legte daraufhin den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 23 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

[7] I. Feststellung der Befangenheit

[8] 1. Gemäß § 23 JN entscheidet über den Ablehnungsantrag betreffend einen Richter eines Gerichtshofs dieser Gerichtshof, es sei denn, dass dieser durch das Ausscheiden des abgelehnten Richters beschlussunfähig werden sollte. Wird ein Gerichtshof durch eine Ablehnung beschlussunfähig, so entscheidet über diese Ablehnung der zunächst übergeordnete Gerichtshof. Sinngemäß G leiches gilt für Befangenheitsanzeigen (Selbstmeldungen) eines Richters.

[9] Mit Ausnahme des krankheitsbedingt auf unbestimmte Zeit dienstabwesenden Richters wurden sämtliche Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Linz für befangen erklärt, als befangen abgelehnt oder sie haben ihre Befangenheit selbst angezeigt. Dieser Gerichtshof ist dadurch beschlussunfähig. Damit ist der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag und die Befangenheitsanzeigen zuständig.

[10] 2. Befangenheit liegt vor, wenn ein Richter an eine Rechtssache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt, somit eine Hemmung zur unparteiischen Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben ist. Für die Annahme des Vorliegens einer Befangenheit genügt nach ständiger Rechtsprechung, dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der äußere Anschein der Voreingenommenheit des zur Entscheidung berufenen Richters entstehen könnte (RS0046052 [T2, T10], RS0045949 [T2, T6]), selbst wenn dieser tatsächlich unbefangen sein sollte (RS0045949 [T5]).

[11] 3. Mit Ausnahme der vom Kläger wegen Befangenheit abgelehnten Richter (und eines krankheitsbedingt auf unbestimmte Zeit dienstabwesenden Richters) haben alle Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Linz, deren Befangenheit nicht bereits mit Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 17. November 2020 bejaht wurde, selbst Umstände angezeigt, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit einem Zweifel auszusetzen. Die bekannt gegebenen dienstlichen und/oder privaten persönlichen Beziehungen könnten den aus den äußeren Umständen abgeleiteten Anschein, dass bei der Entscheidung andere als sachliche Motive eine Rolle spielen, begründen (vgl 7 Nc 33/19s). Bei der Selbstanzeige einer Befangenheit durch den Richter ist unter Beachtung des Interesses am Ansehen der Justiz kein strenger Maßstab anzulegen und grundsätzlich die Befangenheit zu bejahen (RS0045943 [T3]).

[12] 4. Auch der Kläger begründet seinen Ablehnungsantrag mit dem Anschein der Voreingenommenheit. Die Zweitbeklagte gehöre dem zur Entscheidung berufenen Gericht an und der Großteil der Kolleginnen und Kollegen habe sich aufgrund ihrer persönlichen Naheverhältnisse zu ihr für befangen erklärt. Diese Umstände erzeugten auch bei jenen Richtern, die ihre subjektive Befangenheit verneint hätten, den Eindruck einer Nähe zu einer Prozesspartei und einer möglichen (unbewussten) Beeinflussung durch sachfremde Motive.

[13] Dem ist angesichts des im Interesse des Ansehens der Justiz anzulegenden strengen Maßstabs (RS0045949) zuzustimmen. Auch wenn sich die abgelehnten Richter in ihrer Entscheidungsfreiheit subjektiv nicht beeinträchtigt fühlen, könnte für einen objektiven Beobachter der Eindruck entstehen, dass die aktuell zu treffende richterliche Entscheidung der abgelehnten Richter von den jedenfalls gegebenen dienstlichen Beziehungen zu ihrer Kollegin, sohin von sachfremden Motiven, beeinflusst sein könnte (vgl 7 Nc 33/19s).

[14] 5. Damit war die Befangenheit sowohl der vom Kläger abgelehnten als auch der ihre Befangenheit anzeigenden Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Linz festzustellen.

[15] II. Delegation

[16] Im Hinblick auf diese Entscheidung und den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 17. November 2020 ist das Oberlandesgericht Linz im Sinn des § 30 JN an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert (RS0113796). Gemäß § 30 zweiter Satz JN war ein anderes Oberlandesgericht als Gericht gleicher Gattung zur Entscheidung (als Rechtsmittelgericht) zu bestimmen.

Rückverweise