JudikaturOGH

11Os33/21v – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. April 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Jaroslaw L***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 20. Jänner 2021, GZ 29 Hv 101/20h 73, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Jaroslaw L***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 4. Juli 2020 in F***** Marcin S***** zu töten versucht, indem er ihm unvermittelt mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 22 cm einen Stich in den Unterbauch versetzte, wodurch der Genannte eine etwa 3 cm breite Einstichwunde knapp vor und oberhalb des linken Beckenkamms sowie eine „von unten außen nach oben leicht innen“ verlaufende und bis in den Hinterbauchbereich reichende Stichverletzung, mithin eine an sich schwere Körperverletzung, erlitt.

[3] Die Geschworenen hatten die Hauptfrage in Richtung des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB bejaht und die hierzu gestellte (alternative) Zusatzfrage nach den Strafausschließungsgründen der Notwehr (Teilfrage a), der Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (Teilfrage b), der Putativnotwehr (Teilfrage c) und der Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Effekt (Teilfrage d) verneint. Demgemäß unterblieb die Beantwortung der Eventualfragen nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (Eventualfrage 1) und dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4, Abs 5 Z 1 StGB (Eventualfrage 2) sowie jener – für den Fall der Bejahung (einer) der Teilfragen nach Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Effekt gestellten – in Richtung des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB (Eventualfrage 3).

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen das Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 6 und 10a StPO gegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[5] Die Verfahrensrüge (§ 345 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 228 Abs 1 StPO) behauptet einen nichtigkeitsbegründenden Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung, weil die Wiedereröffnung der Verhandlung am 20. Jänner 2021 um 17:04 Uhr und die Urteilsverkündung um (richtig [vgl ON 72 S 43]) 17:05 Uhr stattgefunden habe, der Zugang zum Landesgericht Innsbruck ab 15:30 Uhr für die Öffentlichkeit jedoch nicht mehr möglich gewesen sei.

[6] Laut der von der Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs eingeholten Auskunft des Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck samt Tagesprotokoll de s dort tätigen Sicherheitsdienstes (ON 88) war die Zugangskontrolle zum Gerichtsgebäude am 20. Jänner 2021 bis 18:00 Uhr besetzt und der Zutritt der interessierten Öffentlichkeit demgemäß bis zu diesem Zeitpunkt gewährleistet.

[7] Solcherart wurden die erforderlichen Vorkehrungen getroffen, um potentiellen Zuhörern während der gesamten Dauer der Hauptverhandlung den Zutritt zum Verhandlungssaal zu ermöglichen. Die behauptete Nichtigkeit liegt daher nicht vor (vgl RIS-Justiz RS0117048 [insbes T3]).

[8] Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben der Aufnahme einer – (erkennbar:) nicht im Falle der Bejahung einer der (Zusatz )Teilfragen b, c und d zu beantwortenden, weil auf einem anderen Ausgangssachverhalt als Eventualfrage 3 basierenden – Eventualfrage nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung (§ 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB oder § 88 Abs 3, Abs 4 zweiter Fall StGB).

[9] Die gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) verlangt die deutliche und bestimmte Bezeichnung jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, somit eines (in der Hauptverhandlung vorgekommenen) die begehrte Frage indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0100860). Weiters darf der Rechtsmittelwerber den Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit nicht bloß auf der Grundlage isoliert herausgegriffener Teile von Beweisergebnissen führen, sondern hat diese in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0120766).

[10] Die Beschwerde bezeichnet jedoch kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes, die Stellung derartiger Fragen indizierendes Tatsachensubstrat. Sie legt nicht dar, weshalb d ie Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung – wonach er, vom Opfer mit Schlägen gegen den Kopf attackiert und gegen die Küchenzeile gedrängt (ON 72 S 6 f), ein Küchenmesser zu fassen bekam, mit diesem Messer weglaufen und (ua) das Opfer nur „erschrecken“ wollte (ON 72 S 7), er nicht zugestochen habe (ON 72 S 8) und nicht wisse, wie die Verletzung zustande gekommen sei (ON 72 S 9), S***** „wahrscheinlich“ „ins Messer gelaufen“ sei und es „sich selbst in den Bauch gestochen“ habe (ON 72 S 10) – die Stellung der vermissten Eventualfrage (zusätzlich zu den ohnedies gestellten Fragen) erfordern sollte (RIS Justiz RS0117447 [T4]; vgl Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 88 Rz 9 iVm § 6 Rz 33, 37, 79). Ebenso wenig stellten die in der Beschwerde vorgebrachten Ausführungen des gerichtsmedizinschen Sachverständigen zum Verletzungsbild (ON 72 S 38) eine taugliche Grundlage für die begehrte Eventualfrage dar.

[11] Soweit die Rüge schließlich auch auf die (unmittelbar vor Schluss des Beweisverfahrens getätigte) Aussage des Angeklagten Bezug nimmt, es „könnte sein“, dass er S***** einen Stich versetzt habe, „aber sicher nicht mit Absicht“ (ON 72 S 40), unterbleibt eine Darlegung, inwiefern das dadurch indizierte Sachverhaltssubstrat nicht bereits in den gestellten Fragen (vgl insbes Eventualfrage 2) Deckung findet.

[12] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweisergebnisse vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen (das sind die im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen) aufkommen lassen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen – wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt – wird dadurch nicht eröffnet (RIS-Justiz RS0119583).

[13] Die Tatsachenrüge scheitert an diesen Anfechtungskritierien, indem sie bloß – weitgehend ohne gebotene Bezugnahme auf in der Hauptverhandlung vorgekommenes Beweismaterial (vgl aber RIS-Justiz RS0119310) – auf die einmalige Stichführung gegen den Bauch des Opfers, die erhebliche Alkoholisierung sämtlicher beteiligter Personen und eigene Verletzungen des Angeklagten hinweist.

[14] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher d ie Nichtigkeitsbeschwerde nach nichtöffentlicher Beratung gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise