JudikaturOGH

9ObA77/20v – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Puttinger Vogl Rechtsanwälte OG in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler ua, Rechtsanwälte in St. Florian bei Linz, wegen Feststellung (Streitwert: 20.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Juli 2020, GZ 12 Ra 33/20i 16, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. März 2020, GZ 19 Cga 7/20k 10, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.332,54 EUR (darin enthalten 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger ist seit 1. 2. 2018 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 18. 9. 2019 befindet er sich in Krankenstand. Mit Schreiben vom 2. 10. 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. 12. 2019. Diese Kündigung wurde vom Kläger wegen Motiv- und Sozialwidrigkeit angefochten. Mit Bescheid vom 3. 12. 2019 stellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen fest, dass der Kläger rückwirkend ab 20. 9. 2019 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört. Mit Schreiben vom 13. 1. 2020 legte der Kläger der Beklagten diesen Bescheid vor und teilte ihr mit, es liege nach dem eingeholten Gutachten eine „ausgeprägte depressive und Burnout-Symptomatik“ aufgrund einer Mobbingsituation vor.

[2] Mit Schreiben vom 21. 1. 2020 erteilte die Beklagte dem Kläger die Weisung, das im Verfahren vor dem Sozialministeriumservice eingeholte Gutachten sowie sämtliche sonstigen relevanten medizinischen Unterlagen zu übermitteln und sein Einverständnis zur Untersuchung durch einen von der Beklagten beauftragten Sachverständigen nach Vorliegen dieses Gutachtens zu erklären, um gegebenenfalls einen Ersatzarbeitsplatz anbieten zu können. Dies lehnte der Kläger ab.

[3] Der Kläger begehrt die Feststellung, er sei nicht verpflichtet, den beiden Weisungen der Beklagten Folge zu leisten.

[4] Die Beklagte bestritt. Der Kläger habe kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Sie habe dagegen ein eminentes Interesse an den Informationen, weil sie verpflichtet sei, einen kranken bzw behinderten Arbeitnehmer entsprechend seinen Fähigkeiten einzusetzen und ihm gegebenenfalls auch einen anderen Arbeitsplatz anzubieten.

[5] Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage Folge. Es gebe keine Rechtsgrundlage für die von der Beklagten erteilten Weisungen.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil nicht Folge. Im Hinblick auf die Weisung auf Herausgabe des Gutachtens und der „sonstigen relevanten medizinischen Unterlagen“ überwiege, insbesondere unter Berücksichtigung, dass die Beklagte aus diesen Informationen keinen (unmittelbaren) Nutzen ziehen könne, jedenfalls das Interesse des Klägers an deren Geheimhaltung. Ob ein erkrankter Arbeitnehmer bereits während aufrechten Arbeitsverhältnisses zur Mitwirkung an der Suche nach einem Ersatzarbeitsplatz verpflichtet sei, müsse nicht überprüft werden, weil die von der Beklagten geforderte Mitwirkung jedenfalls das Maß des Zulässigen überschritten habe. Ein besonderes Interesse der Beklagten daran, dass die medizinische Untersuchung durch einen bestimmten, von ihr namhaft gemachten Sachverständigen erfolge, sei nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang komme der Grundsatz der freien Arztwahl zum Tragen, sodass die zweite Weisung jedenfalls rechtswidrig sei.

[7] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zur Klarstellung für zulässig erachtet, ob bzw in welchem Umfang ein gesundheitlich beeinträchtigter Arbeitnehmer zur Mitwirkung an der Suche nach einem für ihn geeigneten Ersatzarbeitsplatz verpflichtet sei.

[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[10] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Berufungsgericht liegt vor, wenn dieses von den Feststellungen des Erstgerichtes ohne Beweiswiederholung abgeht (RS0043057 [T2]). Dies ist hier nicht der Fall.

[12] Die Ausführungen des Berufungsgericht dazu, dass die geforderten Unterlagen für die Beklagte von keinem unmittelbaren Nutzen seien, stellen keine Feststellung dar, sondern eine im Rahmen der rechtlichen Beurteilung erfolgte Schlussfolgerung aus dem Vorbringen der Beklagten, dass nach der Vorlage von Unterlagen noch eine Untersuchung des Klägers durch einen von ihr beauftragten Sachverständigen erforderlich ist. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt daher nicht vor.

[13] 2. Die Unwirksamkeit bzw die Rechtswidrigkeit einer Rechtshandlung ist nicht feststellungsfähig, sondern nur ein daraus resultierendes Recht oder Rechtsverhältnis (RS0039036; RS0039087). Im Sinne der Rechtsprechung grundsätzlich zulässig ist allerdings das Begehren, zur Befolgung einer Weisung nicht verpflichtet zu sein (s etwa 8 ObA 23/04x; zur Versetzung: RS0112755).

[14] 3. Innerhalb des durch den Dienstvertrag vorgegebenen Rahmens wird die Arbeitspflicht durch das Direktions- oder Weisungsrecht des Dienstgebers konkretisiert. Eine Anordnung ist dann als gerechtfertigt anzusehen, wenn sie sich innerhalb der durch den Dienstvertrag und den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten gezogenen Grenzen hält (vgl RS0021472 [T9] ua) sowie die ideellen und materiellen Interessen des Arbeitnehmers gewahrt bleiben (RS0029841). Gegebenenfalls hat bei Kollision eine Abwägung der gegenseitigen Interessen zur Prüfung der Rechtfertigung einer Weisung stattzufinden (9 ObA 82/15x mwN).

[15] Aus dem Persönlichkeitsschutz (§§ 16 und 17 ABGB, Art 8 EMRK) wird ein Recht der einzelnen natürlichen Person auf eine Privatsphäre abgeleitet. Der geschützte höchstpersönliche Lebensbereich (die Privatsphäre) umfasst jedenfalls auch den Gesundheitszustand eines Menschen (vgl 6 Ob 103/07a). Individuelle Weisungen des Arbeitgebers, die Persönlichkeitsrechte eines Arbeitnehmers berühren, sind besonders heikel; hier ist bei der Interessenabwägung besondere Vorsicht geboten (RS0029841 [T4]).

[16] 4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es der Beklagten im Verfahren nicht gelungen ist, ein relevantes Interesse an den von ihr vom Kläger geforderten Informationen aufzuzeigen, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Beurteilungsspielraums.

[17] 5. Die Revision vermag es nicht, Bedenken an dieser Beurteilung zu wecken. Weder eine besondere Treuepflicht des Klägers als leitender Angestellter noch der Umstand, dass er der Beklagten ohnehin von sich aus in gewissem Umfang seinen Gesundheitszustand offengelegt hat, können als Begründung für ein Informationsinteresse der Beklagten herangezogen werden. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, Mobbing zu verhindern und Vorwürfen in diese Richtung nachzugehen, besteht unabhängig davon, welche krankheitswerten Folgen ein solches Verhalten allenfalls bereits beim Arbeitnehmer ausgelöst hat.

[18] 6. Auch das Bestehen der Entgelt-fortzahlungspflicht im Krankheitsfall kann ein solches Interesse des Arbeitgebers nicht begründen. Das ergibt sich schon daraus, dass der Arbeitnehmer nach § 4 Abs 1 EFZG zwar verpflichtet ist, auf Verlangen des Arbeitgebers eine Bestätigung über die voraussichtliche Dauer und die Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Soweit es um die „Ursache der Arbeitsunfähigkeit“ geht, ist nach der Rechtsprechung aber nicht die Angabe einer genauen Diagnose erforderlich. Es genügt die Bekanntgabe, dass eine Erkrankung vorliegt (9 ObA 97/10w).

[19] 7. Die Beklagte begründet ihr Interesse weiters damit, dass sie in die Lage versetzt werden müsse, dem Kläger einen seinen gesundheitlichen Bedürfnissen entsprechenden Ersatzarbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Allerdings zeigt sie keine Anhaltspunkte für die Annahme auf, warum der Kläger nach dem Ende seines Krankenstands nicht in der Lage sein sollte, die von ihm bisher ausgeübte Tätigkeit wieder aufzunehmen und überhaupt einen Ersatzarbeitsplatz zu benötigen. Dass der Kläger den Vorwurf erhebt, an seinem bisherigen Arbeitsplatz gemobbt worden zu sein, bedeutet nicht, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben. Für die Herstellung eines mobbingfreien Arbeitsumfelds ist die medizinische Diagnose des Gesundheitszustands des Klägers nicht erforderlich.

[20] Auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, inwieweit der Arbeitnehmer verpflichtet ist, an der Suche eines für ihn geeigneten Ersatzarbeitsplatzes mitzuwirken, kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an.

[21] 8. Mangels eines relevanten Interesses der Beklagten an einer Offenlegung des Gesundheitszustands des Klägers muss auf die Frage der inhaltlichen Zulässigkeit der konkreten Weisungen nicht weiter eingegangen werden.

[22] 9. Die Revision der Beklagten ist daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[23] 10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rückverweise