JudikaturOGH

6Ob121/20t – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon. Prof. Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. R*****, vertreten durch Dr. Andreas Frauenberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. April 2020, GZ 4 R 13/20s 23, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 27. November 2019, GZ 19 Cg 48/19h 17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben .

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, ab sofort die Verbreitung von Personenbildnissen der klagenden Partei im Zusammenhang mit der Berichterstattung über das 'Ibiza-Video', insbesondere hinsichtlich dessen Entstehung und/oder dessen Weitergabe, zu unterlassen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.834,20 EUR (darin enthalten 1.304,30 EUR an Umsatzsteuer und 8,40 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.822,92 EUR (darin enthalten 874,82 EUR an Umsatzsteuer und 2.574 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist Rechtsanwalt in W***** und wird mit dem Erstellen des „Ibiza-Videos“ in Verbindung gebracht. In diesem Video wurden zwei damals führende F***** Politiker bei einem Treffen mit einer angeblichen russischen Oligarchennichte auf Ibiza geheim gefilmt. Sie äußern im Video politisch (allenfalls auch strafrechtlich) verwerfliche Ideen. Teile dieses Videos wurden von der „Süddeutschen Zeitung“ und vom „Spiegel“ am 17. 5. 2019 unter Berufung auf den Quellenschutz ohne Angabe der Urheber veröffentlicht. Es besteht in Österreich großes öffentliches Interesse am Inhalt und an den Umständen der Entstehung des „Ibiza-Videos“.

[2] Die Beklagte ist Medieninhaberin des periodischen Druckwerks „Ö*****“, das täglich in Papierform erscheint. Diese Tageszeitung veröffentlichte am 29. 5. 2019 auf Seite 8 einen Artikel mit dem Titel „600.000 EUR in Gold-Münzen für Video“. Darin heißt es auszugsweise: „... Der Ibiza-Krimi hält weiter alle in Atem. ... Federführend sollen der Detektiv J*****, zwei weitere Sicherheitsexperten (mit Kontakten zum Geheimdienst, der ihnen die Ibiza-Finca aufgelegt haben soll) und der Wiener Anwalt R***** (er hatte Insider-Informationen über S*****) gewesen sein – es gilt die Unschuldsvermutung. Schon im Sommer 2017 versuchte der Anwalt, das Material an Parteien oder die St***** zu verkaufen – erfolglos. ... Heuer im Frühjahr, angesichts der bevorstehenden EU-Wahl sah die Gruppe eine neue Chance. Man bot das Video österreichischen Medien an, alle lehnten ab. Der Deal lief dann über Deutschland. ... Bezahlt wurden die 600.000 E UR in Krügerrand Goldmünzen. Das Gold dann zu Bargeld zu machen, soll für die Video-Macher übrigens gar nicht einfach gewesen sein. ... Die große Frage: Wer finanzierte die 600.000 EUR wirklich?“

[3] Rechts über dem Artikel befindet sich ein gut erkennbares Foto des Klägers. Unter dem Foto ist vermerkt: „Der Anwalt. R***** bot Video an.“

[4] Gegen den Kläger wurden aufgrund seiner Involvierung in die Planung und Erstellung des „Ibiza-Videos“ strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Sowohl in seiner Kanzlei als auch in seinen Wohnräumlichkeiten fanden Hausdurchsuchungen statt. Bis zur Berichterstattung über ihn aus Anlass der „Ibiza-Affäre“ war der Kläger der Öffentlichkeit nicht bekannt. Er trat bis dahin auch in Massenmedien nicht in Erscheinung und genoss auch sonst keine regelmäßige öffentliche oder mediale Aufmerksamkeit. Der Kläger bekleidet keine Ämter und Positionen von öffentlichem Interesse. Auf seinen Antrag wurde auch Inhabern anderer Medien (o***** GmbH, ***** M***** GmbH), die am 21. und 24. 5. 2019 auf ihren Websites unter Abbildung des Klägers über die „Ibiza-Affäre“ berichtet hatten, die Verbreitung von Personenbildnissen des Klägers im Zusammenhang mit dem „Ibiza-Video“ mit einstweiliger Verfügung gerichtlich untersagt.

[5] Auf der Website „www.m*****.at“, deren Inhaber der Kläger ist und die ihm als Internetauftritt seiner Rechtsanwaltskanzlei dient, führt der Button „Lebenslauf“ zu einem Foto des Klägers samt Lebenslauf. Nach Eingabe des Namens des Klägers in die Suchmaschine „Google“ erscheinen an erster Stelle vier Lichtbilder des Klägers, darunter zweimal jenes seiner Website.

[6] Auf Anfrage der Ressortleiterin „Wirtschaft“ der Beklagten gab der Strafverteidiger des Klägers am 23. 5. 2019 bekannt, dass der Kläger aufgrund seiner Verschwiegenheitsverpflichtung für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung stehen könne, er sämtliche Anschuldigungen, eine strafbare Handlung gesetzt zu haben, entschieden zurückweise und auch jegliche identifizierende Berichterstattung untersage. Dieser Rechtsanwalt hielt in einer Pressemitteilung ohne Foto des Klägers und ohne diesen sonst identifizierende Merkmale vom 24. 5. 2019 fest:

„Namens meines Mandanten, Rechtsanwalt in W*****, wird mitgeteilt: Es handelte sich um ein zivilgesellschaftlich motiviertes Projekt, bei dem investigativ journalistische Wege beschritten wurden. Auf Grund der Reaktionen der betroffenen Politiker entfaltete sich in der Folge eine Eigendynamik. Auf Seiten meines Mandanten sind aber einzig – nach bestem Wissen und Gewissen angestellte – demokratiepolitische und rechtliche Überlegungen beachtenswert. Da in diesem Zusammenhang auch eine Mandatierung meines Mandanten erfolgt ist, kann auf Grund anwaltlicher Verschwiegenheitsverpflichtung keine weitergehende Stellungnahme abgegeben werden. Mein Mandant hat jedenfalls kein strafbares Verhalten gesetzt noch hat er an einem solchen mitgewirkt. Zu den Videoaufnahmen ist im Übrigen festzuhalten, dass ein verdeckter Kameraeinsatz im Enthüllungsjournalismus zur Aufdeckung von Missständen zulässig und durch die Meinungsfreiheit geschützt ist ....“

[7] Der Kläger selbst gab keine Stellungnahmen in den Medien ab und stand auch nicht für Interviews zur Verfügung.

[8] Aufgrund der Berichterstattung über seine angebliche Verwicklung in die „Ibiza-Affäre“ ist der Kläger mit unzähligen E-Mails mit durchwegs drohendem und teils auch rassistischem Inhalt konfrontiert. Er erhielt unter anderem folgende Nachrichten: „Ich freue mich sehr auf ein persönliches Treffen. Sie werden sich wundern was Alles möglich ist.“, „Du bist also der Anwalt der sein Land verraten hat. Wir werden alle gespannt verfolgen wann du rechtskräftig verurteilt wirst, wann du deine Zulassung verlierst, wann du in dein Land zurück geschickt wirst und wie oft du vorher noch angegriffen wirst ehrloser Hund, hoffentlich oft und schmerzhaft.“ (jeweils vom 22. 5. 2019) „Ich werde nichts machen!!! Aber ich hoffe, und das innigst, das ihnen jemand den Schädel einhauen wird! Verdient hast du das! Kommst aus dem Iran, wirst von Österreich durch gefüttert, Studium wird bezahlt usw. und das ist der Dank! Typisch Muslim!!!! So macht man sich keine Freunde – eher das Gegenteil! Hoffe stark das mein Wunsch sich erfüllt!!!!!!“ „... an ihrer Stelle würde ich das Weite suchen. ... Ich hoffe, dass Sie die Strafe bekommen, von der Sie sich nie wieder erholen. ...“ (jeweils vom 23. 5. 2019) „... – dem Anwalt gehört die Zulassung entzogen, der gehört gesellschaftlich und wirtschaftlich ruiniert. Ich hoffe, daß das geschieht“ (25. 5. 2019).

[9] Die Vorinstanzen verboten der Beklagten ab sofort die Verbreitung von Personenbildnissen des Klägers im Zusammenhang mit der Berichterstattung über das „Ibiza-Video“, insbesondere hinsichtlich dessen Entstehung und/oder dessen Weitergabe. Das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zulässig ; sie ist auch berechtigt .

[11] Der erkennende Fachsenat hatte sich bereits mit dem auch in diesem Verfahren zugrunde gelegten Sachverhalt zu befassen und führte in der Entscheidung 6 Ob 52/20w wie nachstehend aus, wobei der Kläger und die dort Beklagte von denselben Rechtsanwälten vertreten wurden und die Rechtsmittelschriften an den Obersten Gerichtshof, insbesondere die Revisionsbeantwortungen des Klägers, nahezu wortidenten Inhalt hatten. Der Senat wies das inhaltsgleiche Begehren des Klägers ab:

1. Nach § 78 UrhG dürfen Bildnisse von Personen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt würden.

Diese Bestimmung soll jedermann gegen einen Missbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit schützen, und zwar insbesondere dagegen, dass er durch die Verbreitung seines Bildnisses bloßgestellt wird oder dass sein Bildnis auf eine Art benutzt wird, die zu Missdeutungen Anlass geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt (RS0078186). Bei der Prüfung, ob berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden, ist maßgebend, ob die insofern geltend gemachten Interessen bei objektiver Prüfung des einzelnen Falls als schutzwürdig anzusehen sind. Behauptet derjenige, der das Bild verbreitet, seinerseits ein Interesse an diesem Vorgehen, dann sind die beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen (RS0078088 [T2]). Berechtigte Interessen im Sinn des Bildnisschutzes sind von der Rechtsordnung geschützte Persönlichkeitsrechte, etwa der Schutz der Ehre, des Privat und Familienlebens, des wirtschaftlichen Rufes und der Unschuldsvermutung ( A. Kodek in Kucsko/Handig , urheber.recht² § 78 UrhG Rz 34).

1.1. Allgemein gilt im Rahmen der nach § 78 UrhG vorzunehmenden Einzelfallabwägung: Der Persönlichkeitsschutz darf die Presse und Informationsfreiheit einerseits nicht über Gebühr einschränken, andererseits darf der Schutz der ohnehin leicht verletzbaren Persönlichkeitsinteressen des Abgebildeten – insbesondere wenn er, wie hier, erst durch die Bildberichterstattung einer breiten Öffentlichkeit individuell optisch bekannt wird (vgl RS0077767) – nicht leichtfertig preisgegeben oder gar Leib und Leben des Abgebildeten ohne Not gefährdet werden (vgl zur deutschen Rechtslage Specht in Dreier/Schulze , Urheberrechtsgesetz 6 KUG § 23 Rz 10).

1.2. Die Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums als Ausfluss der freien Meinungsäußerung fällt nach der jüngeren Rechtsprechung – soweit kein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre vorliegt (4 Ob 150/08z) – bei einem im Kern wahren Begleittext gewöhnlich zugunsten des Mediums aus (6 Ob 249/01p; RS0112084 [T8]). Das gilt jedenfalls für Lichtbilder, die an sich unbedenklich sind, dh den Abgebildeten nicht entstellen oder Geschehnisse aus seinem höchstpersönlichen Lebensbereich zeigen (vgl 6 Ob 211/05f; RS0122489; RS0112084 [T9]).

Dieses Ergebnis wird durch die Judikatur des EGMR gestützt, wonach Verbote und Beschränkungen in der Wahl medialer Darstellungsmittel nur bei Vorliegen besonderer Gründe mit Art 10 EMRK vereinbar sind (6 Ob 249/01p mwN; aus jüngerer Zeit etwa EGMR 28. 6. 2018, ML und WW gegen Deutschland , Bsw 60798/10 und 65599/10). Ältere Entscheidungen, wonach die Veröffentlichung eines an sich unbedenklichen Lichtbilds (Porträtfotos) auch bei Vorliegen eines nach § 1330 Abs 2 ABGB zulässigen Begleittexts schon aufgrund ihrer Prangerwirkung untersagt werden könne (vgl 4 Ob 141/94), sind damit überholt.

Ist daher eine Textberichterstattung nicht zu beanstanden, weil sie einen zumindest im Kern wahren Sachverhalt mitteilt und auch nicht Umstände aus der Privatsphäre des Betroffenen erörtert, so wird im Regelfall auch deren Illustration mit einem an sich unbedenklichen Lichtbild zulässig sein. Das gilt auch dann, wenn die Veröffentlichung für den Abgebildeten nachteilig, bloßstellend oder herabsetzend wirkt (6 Ob 249/01p; RS0112084).

1.3. Ob sich im Rahmen der konkret vorzunehmenden Interessenabwägung aufgrund gewichtiger Umstände aufseiten des Abgebildeten – etwa wegen einer bei Veröffentlichung des Bildnisses zu gewärtigenden Gefahr für dessen körperliche Integrität – anderes ergibt, ist eine Frage des Einzelfalls und damit – abgesehen von Fällen einer Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht – nicht revisibel (vgl 6 Ob 14/16a).

2. Im vorliegenden Fall ist dem Berufungsgericht eine solche Fehlbeurteilung unterlaufen:

2.1. Mit der Revisionswerberin ist zunächst davon auszugehen, dass auch an einer Bildberichterstattung, die der Veranschaulichung von Personen dient, die an einem Ereignis von gesteigertem öffentlichen Interesse beteiligt waren, ein schutzwürdiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht. In diesem Zusammenhang ist der Kläger auch nicht als „personne ordinaire“ im Sinn der Judikatur des EGMR (vgl 17. 10. 2006, Gourguenidze gegen Georgien , Bsw 71678/01) zu qualifizieren, sondern als Person, die durch die Beteiligung am Zustandekommen des Ibiza-Videos, wenn auch nur vorübergehend, im Blickfeld der Öffentlichkeit steht. Dass der Kläger zuvor keine Person des öffentlichen Lebens war, ändert daran ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass er selbst gar nicht intendierte, in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, musste ihm doch vorab bewusst sein, dass dies eine geradezu zwangsläufige Folge der Veröffentlichung des Videomaterials sein werde.

Der gleichzeitige Umstand, dass der inkriminierten Bildberichterstattung über das gerade angesprochene Illustrationsinteresse hinaus ein eigenständiger Nachrichtenwert nicht zukommt, ist allerdings bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Je geringer der Informationswert des Bildes ist, desto eher muss das Veröffentlichungsinteresse des Mediums gegenüber schutzwürdigen Persönlichkeitsinteressen des Abgebildeten zurücktreten.

2.2. Das Berufungsgericht hat ein solches das Veröffentlichungsinteresse prävalierendes Interesse des Klägers – entsprechend den Klagebehauptungen – in der Aufrechterhaltung seiner körperlichen Unversehrtheit und im Interesse gesehen, sich frei bewegen zu können, ohne befürchten zu müssen, im öffentlichen Raum das Ziel politisch motivierter Attacken zu werden.

2.3.1. Dabei nimmt das Berufungsgericht allerdings zu wenig darauf Bedacht, dass es dem Handelnden ex ante erkennbar sein muss, ob seine Berichterstattung zulässig ist oder nicht, könnte doch anderenfalls die Furcht vor Inanspruchnahme aufgrund nicht ausreichend klar konturierter Persönlichkeitsrechte der Betroffenen – im Sinne eines „chilling effect“ (dazu Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 397 mwN) – die unverzichtbare Rolle der Presse als „öffentlicher Wachhund“ und ihre Fähigkeit beeinträchtigen, präzise und zuverlässige Informationen zu liefern (6 Ob 83/19b; RS0008990 [T9]).

2.3.2. Aufgrund der gebotenen Ex-ante-Betrachtung ist aber der Umstand, dass der Kläger nach der Veröffentlichung auf seine Verstrickung in die Ibiza-Affäre bezogene Mails mit bedrohlichem Inhalt erhalten hat, nicht von Belang; dass der Beklagten demgegenüber bereits im Zeitpunkt der Veröffentlichung Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Klägers vorlagen, hat dieser nicht einmal behauptet.

Wohl konnten die Verantwortlichen der Beklagten bereits damals antizipieren, dass die Abbildung des Klägers insoweit eine abstrakte Gefährdungslage schafft, als es in der politisch aufgeheizten Situation nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos allenfalls zu spontanen politisch motivierten Übergriffen durch Fanatiker kommen könnte, die den Kläger bei einem Aufeinandertreffen in der Öffentlichkeit wiedererkennen.

Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass sich ein solches abstraktes Risiko in vielen Fällen identifizierender Berichterstattung über konfliktbeladene bzw emotionalisierende Themen ergibt. Würden nun Journalisten in die Pflicht genommen, vor einer Veröffentlichung zu solchen Themen auch dieses – für sie mangels konkreter Gefahrenhinweise regelmäßig nicht näher einschätzbare – Risiko mit ins Kalkül zu ziehen und (auch) unter diesem Gesichtspunkt abzuwägen, ob die Berichterstattung zulässig ist oder nicht, bestünde die schon angesprochene Gefahr einer abschreckenden Wirkung auf die freie Meinungsäußerung der Presse: Es ist nämlich damit zu rechnen, dass eine solche im Vorfeld unsichere Risikoabschätzung Medien häufig dazu veranlasst, in ihre Berichterstattung über polarisierende Themen trotz eines legitimen Informationsinteresses der Öffentlichkeit keine identifizierenden Elemente mehr aufzunehmen.

2.4. Vor diesem Hintergrund ist der Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht zu folgen, das Sicherheitsinteresse des Klägers überwiege – ungeachtet fehlender konkreter Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko durch die Bildberichterstattung – das Veröffentlichungsinteresse der Beklagten.

Die Verletzung anderer berechtigter Interessen durch die Veröffentlichung seines Bildnisses hat der Kläger im Verfahren nicht dargetan; soweit er sich allgemein auf sein Interesse an der Wahrung seiner Anonymität stützt, ist darauf zu verweisen, dass der Bildnisschutz nach § 78 UrhG nicht der Aufrechterhaltung der Anonymität des Abgebildeten als Selbstzweck dient (missverständlich daher 4 Ob 187/99z), sondern stets nur dem Schutz vor Verletzung bestimmter Persönlichkeitsrechte durch öffentliches Ausstellen oder Verbreitung des Bildnisses (vgl A. Kodek in Kucsko/Handig , urheber.recht² § 78 UrhG Rz 8, 32).

3. Den Argumenten des Klägers in der Revisionsbeantwortung ist Folgendes entgegenzuhalten:

3.1. Soweit der Kläger meint, in den Bildnisschutz werde bereits eingegriffen, wenn der Abgebildete – gleichsam ohne echtes Informationsbedürfnis – der Neugierde und Sensationslust der Öffentlichkeit preisgegeben werde (vgl RS0077777; RS0078161 [T7]; zuletzt etwa 6 Ob 57/20f), trifft dies für sich genommen zu.

Allerdings besteht im vorliegenden Fall sehr wohl ein über bloße Sensationslust hinausgehendes berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an der konkreten Bildberichterstattung, die der Veranschaulichung einer der Personen dient, die für das unmittelbare Zustandekommen des Ibiza-Videos führend verantwortlich sind. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf Bedacht zu nehmen, dass es bei der in Rede stehenden Berichterstattung der Beklagten nicht etwa primär darum geht, dass den Machern des Videos allenfalls ein strafbares Verhalten zur Last zu legen ist. Im Vordergrund steht nicht ein Kriminalfall, sondern vielmehr eindeutig die politische Dimension der Ibiza-Affäre. Diese brachte aufgrund der mit der Veröffentlichung des Videos verbundenen massiven – in ihrer Tragweite mit wenigen Skandalen in der Zweiten Republik vergleichbaren – politischen Verwerfungen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Veröffentlichung der Berichterstattung ein stark gesteigertes Informationsinteresse der Allgemeinheit mit sich. Dieses Interesse bezog sich nicht nur auf den Inhalt des Videos und die politische und rechtliche Einordnung der darin getätigten Äußerungen und Andeutungen von bedeutenden Vertretern der damals drittgrößten österreichischen Parlamentsfraktion und (im Zeitpunkt der Veröffentlichung) Regierungspartei (über die Vergabe von Staatsaufträgen, verdeckte Parteispenden etc). Von Bedeutung war zugleich die in der inkriminierten Berichterstattung der Beklagten angeschnittene Frage, von wem und aus welchen Beweggründen den beiden Politikern die Videofalle gestellt wurde. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die öffentliche Debatte zu diesem Zeitpunkt mit einer gewissen Berechtigung auch darauf konzentrierte herauszufinden, wer die unmittelbar Verantwortlichen hinter dem Ibiza-Video sind und aus welchen spezifischen Motiven sie tätig wurden. Mit Blick auf das legitime Interesse der Öffentlichkeit, sich ein möglichst umfassendes Bild von den für das Video verantwortlichen Personen zu machen, um deren Handlungen sowie die dahinterstehenden Intentionen besser einordnen zu können, leistet die Abbildung des Klägers einen Beitrag zur Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse (vgl zu diesem Kriterium RS0125177; RS0123987 je mwN aus der Rechtsprechung des EGMR), dies vor allem auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass nach der Judikatur des EGMR (vgl 19. 9. 2013, Von Hannover gegen Deutschland III , Bsw 8772/10, Rz 48) der Informationswert eines Fotos nicht isoliert zu beurteilen ist, sondern im Lichte des Artikels, den es begleitet und illustriert. Vor diesem Hintergrund ist ein eigenständiger Nachrichtenwert der Abbildung in dem Sinn, dass zu berücksichtigen wäre, ob eine sinnvolle Berichtserstattung über die Angelegenheit auch ohne Veröffentlichung des Lichtbildes möglich gewesen wäre, für die Bejahung eines schutzwürdigen Veröffentlichungsinteresses nicht erforderlich.

Zu Recht verweist der Kläger zwar darauf, dieser Aspekt sei im Rahmen der Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums von Bedeutung (vgl dazu schon oben 2.1.).

Zumindest im Bereich der Politikberichterstattung ist darauf aber nicht als entscheidendes Kriterium abzustellen: Anderenfalls müsste ein gegenüber den Interessen des Abgebildeten prävalierendes Illustrationsinteresse regelmäßig verneint werden, kann doch im Allgemeinen über politische Vorgänge zwanglos ohne Abbildung der daran beteiligten Personen berichtet werden (aus der vom Kläger zitierten Entscheidung 6 Ob 176/19d ergibt sich nichts Gegenteiliges, betraf sie doch die Veröffentlichung des Bildes eines Mordopfers im Rahmen der Kriminalberichterstattung). Im Hinblick auf die Rolle der Medien als „public watchdog“ in der demokratischen Gesellschaft billigt der EGMR den Vertragsstaaten für Einschränkungen politischer Äußerungen oder Diskussionen in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses aber kaum Raum für Beschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit zu (EGMR 24. 2. 2015, Haldimann gegen die Schweiz , Bsw 21830/09, Rz 59; vgl RS0123667; RS0125057 [T1]).

3.2. Wenn der Kläger seine berechtigten Sicherheitsinteressen ins Treffen führt, ist er nochmals auf den schon unter 2.1. erwähnten Umstand hinzuweisen, dass ihm bereits im Zuge der Herstellung des Ibiza-Videos dessen politische Brisanz und folglich die Möglichkeit bewusst sein musste, damit – zumindest indirekt durch Weitergabe an dritte Akteure – die politische Debatte in Österreich entscheidend mitzubeeinflussen. Er musste folglich aber auch damit rechnen, dass jedenfalls ab der Veröffentlichung des Videos durch Dritte auch er selbst als Mitverantwortlicher hinter dem Video in den Brennpunkt des öffentlichen Interesses rücken würde, was ihn aber nicht davon abhielt, am Zustandekommen und an der Weitergabe des Videos mitzuwirken. Der Kläger hat somit durch eigene bewusste Handlungen das gesteigerte Interesse der Allgemeinheit an seiner Person bewirkt. Unter Bedachtnahme auf dieses akzentuierte Verhalten des Klägers vor der Veröffentlichung der inkriminierten Bildberichterstattung (zu diesem Faktor vgl EGMR 7. 2. 2012, Axel Springer AG gegen Deutschland , Bsw 39954/08; RS0129575), mit dem er selbst zumindest die Voraussetzung dafür geschaffen hat, dass nach Weitergabe des Videos mit dem belastenden Material Einfluss auf die öffentliche Debatte genommen wird, kommt ihm der Schutz als Privatperson unabhängig davon nicht zu, dass er selbst nicht an die Öffentlichkeit treten wollte.

Schon aus diesem Grund geht der Verweis des Klägers auf die Wertungen des MedienG, insbesondere auf die in § 7a MedienG statuierten engen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer identifizierenden (Kriminal )Bericht-erstattung über Privatpersonen, sowie auf die dazu ergangenen rezenten Entscheidungen 15 Os 99/14v und 15 Os 86/18p fehl.

3.3. Was die vom Kläger im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung (4 Ob 119/12x) gegen das Veröffentlichungsinteresse der Beklagten abzuwägenden berechtigten Sicherheitsinteressen anbelangt, sei zunächst angemerkt, dass sich der Kläger unter diesem Aspekt gar nicht gegen die Veröffentlichung seines Vornamens und der Initiale seines Nachnamens wehrt, die in Zusammenschau mit der weiteren Information, er sei Anwalt, für jedermann – ohne Rechercheaufwand durch bloßes Googeln – nicht nur die Identifikation seiner Person und Ausforschung seines Kanzleisitzes, sondern auch den Zugang zu (älteren) Abbildungen des Klägers zulässt.

Schon dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von jener Fallkonstellation, die der Entscheidung 4 Ob 124/13h zugrunde lag: Der dortige Kläger wandte sich gegen eine (Bild )Berichterstattung, die eine nicht ohnedies für jedermann öffentlich zugängliche Information, nämlich dessen Privatadresse, offenbarte. Dies gab letztlich zugunsten des – dadurch als Strafverteidiger in seinen Sicherheitsinteressen berührten – Klägers den Ausschlag. Dabei wurde nicht nur das Interesse eines Rechtsanwalts an der Geheimhaltung seiner Privatadresse als schutzwürdig erachtet, sondern wurde auch – anders als im vorliegenden Fall – kein Interesse des beklagten Mediums an der Veröffentlichung der (Identifizierungsmöglichkeit der) Privatadresse des Klägers als gegeben angenommen.

Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass ohnedies über das Internet Detailinformationen zum Kläger frei zugänglich sind.

Was die Schaffung des – für die verantwortlichen Redakteure der Beklagten wohl aufgrund des aufgeheizten politischen Klimas im Veröffentlichungszeitpunkt erkennbaren – Risikos spontaner Attacken durch Fanatiker anbelangt, die den Kläger bei einer Begegnung in der Öffentlichkeit aufgrund des publizierten Lichtbilds wiedererkennen, ist nochmals auf den schon erwähnten (2.3.1.) „chilling effect“ zu verweisen: Eine abstrakte Gefährdungslage wird relativ häufig nicht ausgeschlossen werden können, ist doch ganz allgemein mit einer (kleinen) Anzahl von besonders radikalisierten oder psychisch instabilen Medienkonsumenten zu rechnen; ob diese – konfrontiert mit spezifischen konfliktträchtigen Themen – gewaltbereit reagieren und wie weit deren allfällige Gewaltbereitschaft geht, lässt sich praktisch niemals seriös abschätzen. Wie weitreichend und nachhaltig etwaige Sicherheitsinteressen des von der Berichterstattung Betroffenen tangiert werden, kann damit aber ex ante in aller Regel nicht einmal annäherungsweise eingeschätzt werden.

Deshalb werden im Allgemeinen bei der anzustellenden Interessenabwägung Sicherheitsbedenken nur dann ins Kalkül zu ziehen sein, wenn es im Veröffentlichungszeitpunkt konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung einer von der Berichterstattung betroffenen Personen durch die publizierten Informationen gibt oder aus sonstigen Gründen bereits vorab ernstlich mit körperlichen Übergriffen zu rechnen ist. Beides war hier im Vorfeld der Bildnisveröffentlichung nicht der Fall.

3.4. Der Kläger zieht schließlich eine Parallele zur Veröffentlichung von Fahndungsfotos der sogenannten „Oligarchennichte“ durch Medien, die nach Ansicht des Presserats trotz entsprechender behördlicher Anordnung mangels eigenständiger Prüfung im Hinblick auf eine zu befürchtende Gefährdung ihrer Person Punkt 5.3. des Ehrenkodex des Presserats verletzt habe. Es liege ein Größenschluss nahe, wonach der angesprochene Gesichtspunkt umso mehr für den mit den zuständigen Behörden kooperierenden Kläger zu gelten habe.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Presserat in der angesprochenen Stellungnahme vom 16. 6. 2020 bloß vom Bestehen einer medienethischen Verpflichtung der Redaktionen ausgeht, vor der Veröffentlichung der behördlich übermittelten Inhalte die Verhältnismäßigkeit und eine mögliche Verletzung des Persönlichkeitsschutzes zu prüfen (vgl dazu Warzilek , Zur Veröffentlichung von Fahndungsfotos des „Ibiza“-Lockvogels, MR 2020, 121, der ausdrücklich und zutreffend auf das aus § 7a Abs 3 Z 2 MedienG abzuleitende Fehlen einer rechtlichen Verantwortlichkeit der Medien für die Veröffentlichung der Fahndungsbilder verweist; auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Fahndungsanordnung kommt es nicht an). Die Überlegungen zum erforderlichen Größenschluss sind vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.

Soweit der Kläger damit bloß zum Ausdruck bringen möchte, dass die vom Presserat angestellten grundlegenden Erwägungen zu der zu befürchtenden Gefährdung der „Oligarchennichte“ auch für ihn zu gelten hätten, so ist ihm zu erwidern, dass bei einer nicht aus Anlass einer Fahndungsanordnung erfolgten Bildberichterstattung über die Genannte dieselben oben dargelegten Grundsätze anzuwenden wären.

4. Zu dem vom Kläger nachträglich vorgelegten Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 28. 10. 2020, 19 Bs 168/20z, bleibt auszuführen, dass in dessen Begründung zu einer allfällig drohenden Gefährdung der „Oligarchennichte“ durch die Anordnung der öffentlichen Personenfahndung gar nicht Stellung genommen wird.

[12] Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Revisionsverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.

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