25Ds3/20p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. März 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Niederleitner und Mag. Dorn als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Strobl in der Disziplinarsache gegen ***** und *****, beide Rechtsanwälte in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufungen der Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Kärntner Rechtsanwaltskammer vom 10. März 2020, AZ D 29/14, D 18/16, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts Dr. Tschurtschenthaler und der beiden Beschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen gegen den Ausspruch über die Schuld wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Kärntner Rechtsanwaltskammer verwiesen.
Mit ihren Berufungen gegen den Ausspruch über die Strafe werden die beiden Beschuldigten auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurden die Disziplinarbeschuldigten ***** und ***** jeweils der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hiefür jeweils zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt.
[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben sie „Berufspflichtenverletzungen und eine Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes“ begangen, „weil sie im Zeitraum Jänner 2014 bis Februar 2017 mit ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Rechtsanwaltskammer für Kärnten, nämlich insbesondere Kammerbeiträge und Beiträge zu den Versorgungseinrichtungen Teil A und Teil B [vgl dagegen ES 3] immer wieder säumig geworden sind und somit ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllt haben“.
Rechtliche Beurteilung
[3] Den gegen dieses Erkenntnis in einem Schriftsatz gemeinsam ausgeführten Berufungen wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen [hier der Sache nach jene des § 281 Abs 1 Z 9 lit a und lit b StPO] in deren Rahmen siehe RIS Justiz RS0128656 [T1]) kommt Berechtigung zu.
[4] Ein Verstoß gegen das aus §§ 3 und 4 RL BA 2015 ableitbare Gebot fristgerechter Bezahlung von Kammerbeiträgen stellt grundsätzlich eine Verletzung von Berufspflichten dar und ist im Fall, dass ein berufsfremder Personenkreis – etwa im Exekutionsverfahren tätige Gerichtspersonen – Kenntnis von diesem Fehlverhalten erlangt, zudem als Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes zu werten ( Engelhart in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO 10 RL-BA 2015 §§ 3, 4 Rz 10, 22; § 1 DSt Rz 7/1; RIS Justiz RS0125817 [T1]). In einem solchen Verhalten ist dagegen kein Disziplinarvergehen zu erblicken, wenn der Beschuldigte ohne sein Verschulden – etwa aufgrund einer unverschuldeten Notlage – nicht in der Lage war, diese Beiträge zu zahlen (RIS-Justiz RS0054949; RS0055043; RS0055032).
[5] Davon ausgehend vermissen die Rechtsmittelwerber im Ergebnis zu Recht die Annahme schuldhafter Nichtzahlung der Kammerbeiträge tragender Konstatierungen und verweisen dazu (hinreichend deutlich) auf – in der mündlichen Disziplinarverhandlung vorgekommene – konkrete Anhaltspunkte, die nicht bloß eine (lediglich für die Strafzumessung maßgebende) wirtschaftlich schwierige Situation (vgl 24 Ds 9/19m), sondern vielmehr indizieren, dass sie im Tatzeitraum aufgrund einer unverschuldeten Notlage (die aus der unvorhersehbaren zweimaligen schweren Erkrankung des Disziplinarbeschuldigten ***** samt atypischen Komplikationen und den daraus entstandenen Folgen für ***** resultierte) nach ihren persönlichen Verhältnissen den objektiven Sorgfaltsanordnungen nicht nachkommen konnten (vgl dazu die Verantwortung der beiden Disziplinarbeschuldigten sowie die Stellungnahme des Untersuchungskommissärs vom 12. Dezember 2016 zu AZ D 18/16).
[6] Die insoweit getroffenen Feststellungen, nach denen die Disziplinarbeschuldigten „die Beiträge sowohl zur Versorgungseinrichtung Teil A als auch Teil B nur verspätet, zum Teil nach Exekutionsführung“ bezahlten, ihren Stundungsersuchen insbesondere im Jahr 2015 keine positive Bewilligung erteilt wurde, die Rückstände sich während des Untersuchungszeitraums „im Bereich von mehreren Tausend Euro“ bewegten und die Säumigkeit „bis in das Jahr 2017“ reichte (ES 3, 5), beschränken sich nämlich auf die Bejahung des objektiven Vorgangs der Nichtbezahlung, ohne zwischen den beiden Disziplinarbeschuldigten zu differenzieren und diesen jeweils konkret Rückstand, Zahlungsverzug und allfällige Exekutionsführung zuzuordnen. Wiewohl der Disziplinarrat im Weiteren davon ausging, dass ***** „im Zeitraum der nicht pünktlich entrichteten Beiträge … gesundheitliche Probleme“ hatte, „sodass der Umsatz in der Kanzlei stark zurückgegangen“ sei, wurden – trotz der von den Berufungswerbern angesprochenen Verfahrensergebnisse – klärende Feststellungen zu den konkreten wirtschaftlichen Verhältnissen gleichfalls nicht getroffen.
[7] Damit lässt das angefochtene Erkenntnis weder die Beurteilung subjektiver Sorgfaltswidrigkeit des inkriminierten Verhaltens (vgl zu den Voraussetzungen der Indizwirkung eines objektiven Sorgfaltsverstoßes für die subjektive Sorgfaltswidrigkeit ; Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 6 Rz 84, 90; RIS-Justiz RS0088909) zu, noch ist diesem eine Aussage dazu zu entnehmen, ob es den Berufungswerbern angesichts des krankheitsbedingten Umsatzrückgangs im verfahrensgegenständlichen Zeitraum zumutbar war (zur Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens als Element der Fahrlässigkeitsschuld siehe Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 6 Rz 99 ff), nach Bestreitung anderer (Kanzlei )Verbindlichkeiten und Deckung eines angemessenen Lebensunterhalts weitere Mittel zur Begleichung der Kammerbeiträge aufzuwenden und ob ihnen derartige Mittel überhaupt zur Verfügung gestanden sind (vgl Bkd 3/77). Solcherart fehlt es an individualisierenden Sachverhaltsannahmen zu einem persönlich vorwerfbaren Verhalten (§ 1 Abs 1 DSt, vgl Feil/Wennig Anwaltsrecht 8 855), das einem Disziplinarbeschuldigten im Disziplinarverfahren nachzuweisen ist, um zu einer Verurteilung zu gelangen.
[8] Schon diese Feststellungsdefizite führen in Stattgebung der Berufungen zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses sowie zur Verweisung der Sache an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten zu neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es eines Eingehens auf das weitere Vorbringen bedurfte.
[9] Mit ihren Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe waren die Disziplinarbeschuldigten auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.