22Ds1/20x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 3. März 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ. Prof. Dr. Bydlinski als weiteren Richter sowie die Rechtsanwältin Dr. Mascher und den Rechtsanwalt Dr. Waizer als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Strobl in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwältin in *****, wegen Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung der Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer, GZ D 15 54, 3 DV 16 34 61 nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, MMag. Sauter Longitsch LL.M., des Kammeranwalts Rechtsanwalt Dr. Schmidinger, der Beschuldigten und ihres Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Pöschl zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen des Vorliegens von Nichtigkeitsgründen und wegen des Ausspruchs über die Schuld wird nicht Folge gegeben.
In Stattgebung der Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird die Geldbuße auf 4.000 Euro herabgesetzt. Gemäß § 16 Abs 2 DSt wird diese Geldbuße unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen.
Der Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde ***** (richtig) mehrerer Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie
(1) für acht Aktenvermerke gesetzwidrig Honorare nach TP 3A RATG mit insgesamt 10.337,10 Euro zuzüglich 20 % USt sowie
(2) für drei Rangordnungsgesuche gesetzwidrig Honorare nach TP 3A RATG mit insgesamt 4.138,07 Euro zuzüglich 20 % USt (ES 6)
verzeichnet.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen wegen Vorliegens der Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 1, 8, 9 lit a und 9 lit b StPO sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung der Beschuldigten geht fehl.
[4] Mit Verfügung des Präsidenten des Disziplinarrats wurden der Beschuldigten neben dem Termin der ersten Disziplinarverhandlung gemäß § 33 Abs 1 DSt auch die Namen der nach der Geschäftsverteilung berufenen Mitglieder des Disziplinarsenats zur Kenntnis gebracht (ON 16). Bereits dabei war Rechtsanwältin Dr. Paula S***** als Senatsmitglied angeführt.
[5] Entgegen der Besetzungsrüge (Z 1) erweist sich die rund eineinhalb Jahre nach dieser Bekanntgabe abgegebene Erklärung, das Senatsmitglied Dr. S***** „gemäß § 33 Abs 2 DSt“ abzulehnen (ON 51), als verspätet, weil eine solche Erklärung – soweit hier von Interesse – innerhalb einer Woche (§ 33 Abs 2 erster Satz DSt) nach Zustellung der Ladung zur ersten Disziplinarverhandlung (§ 33 Abs 2 zweiter Satz DSt) abgegeben werden muss. Der Einwand, mit Blick auf die nachträglich erfolgte Ergänzung des Einleitungsbeschlusses (ON 49) sei die Frist des § 33 Abs 2 erster Satz DSt mit Zustellung der Ladung zur auf diese Ergänzung folgenden Disziplinarverhandlung (ON 50) neuerlich ausgelöst worden, entfernt sich vom Wortlaut des § 33 Abs 2 zweiter Satz DSt.
[6] Hinzugefügt sei, dass vor der Ablehnungserklärung mehrere Ladungen zu Verhandlungsterminen an die Beschuldigte ergingen (ON 19, 21, 25 und 34) und der Beschuldigten mit sämtlichen Ladungen die Namen der Senatsmitglieder (einschließlich Dr. S*****) mitgeteilt wurden.
[7] Die unsubstantiierten Behauptungen, Dr. S***** habe den „Zurückweisungsbeschluss an den Untersuchungskommissär ... und somit auch die Ausdehnung des Einleitungsbeschlusses ... maßgeblich beeinflusst“ und aufgrund einer „leider nicht protokollierten“ Frage ihre „fehlende Unbefangenheit“ gezeigt, entziehen sich wegen ihres spekulativen Charakters einer sachbezogenen Erwiderung. Hinzugefügt sei, dass die gesetzeskonforme Erfüllung von Dienstpflichten oder der Umstand, dass sich die Rechtsansicht eines Senatsmitglieds nicht mit jener einer der Prozessparteien deckt, den Einwand der Ausgeschlossenheit im Sinn des § 43 Abs 1 Z 3 StPO (iVm § 77 Abs 3 DSt) ebensowenig zu tragen vermag ( Lässig , WK StPO § 43 Rz 12 mwN) wie die bloß subjektive Besorgnis einer Befangenheit (RIS Justiz RS0097086).
[8] Mit dem Vorbringen, der im Sinn des § 36 Abs 3 zweiter Satz DSt gefasste Beschluss auf Zurückleitung des Aktes an den Untersuchungskommissär (ON 36 S 10) verstoße „gegen zwingende Grundsätze des Verfahrensrechts“, wird kein Nichtigkeitsgrund geltend gemacht. Hinzugefügt sei, dass die Zurückleitung an den Untersuchungskommissär eine prozessleitende Verfügung darstellt, gegen die kein Rechtszug zusteht (RIS Justiz RS0123525). Im Übrigen ist die im gegebenen Zusammenhang geäußerte Rechtsansicht, die Wiedereröffnung des Beweisverfahrens nach den Vorträgen der Parteien sei nach der – gemäß § 77 Abs 3 DSt hier subsidiär anzuwendenden – Strafprozessordnung unzulässig, verfehlt (RIS Justiz RS0098214; Danek/Mann , WK StPO § 255 Rz 2).
[9] Der aus Z 8 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Einwand, eine Erweiterung des Prozessgegenstands im Rahmen des Erkenntnisverfahrens bedürfe einer entsprechenden Erklärung des Kammeranwalts, geht schon im Ansatz fehl, weil dem Kammeranwalt über den Antrag auf Bestellung eines Untersuchungskommissärs (§ 22 Abs 3 DSt) hinaus – im Unterschied zum öffentlichen Ankläger im Strafprozess (RIS Justiz RS0056705 und RS0114239) – in Bezug auf die Führung des Disziplinarverfahrens sowie dessen Gegenstand keine Dispositionsbefugnis zukommt (RIS Justiz RS0132636). Hat der Kammeranwalt einen Antrag im Sinn des § 22 Abs 3 DSt gestellt, führt der Disziplinarrat das Verfahren von Amts wegen (§ 20 Abs 2 DSt), sodass auch eine allfällige Erweiterung des Prozessgegenstands nur vom Disziplinarrat – und gerade nicht vom Kammeranwalt – vorgenommen werden kann ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 [2018] § 36 DSt Rz 6 mwN).
[10] Das Vorbringen, die Ergänzung des Einleitungsbeschlusses (ON 49) hätte der Zustimmung der Beschuldigten bedurft, kann schon deshalb dahinstehen, weil sich die Beschuldigte nach dem ungerügten Protokoll über die mündliche Disziplinarverhandlung (ON 59 S 2 ff) ohne ausdrücklichen Widerspruch gegen die Ergänzung auf den in Rede stehenden Schuldvorwurf einließ (RIS Justiz RS0108959 und RS0118886).
[11] Hinzugefügt sei, dass schon im Antrag auf Bestellung eines Untersuchungskommissärs (ON 2) der inkriminierte Lebenssachverhalt (Überprüfung von Honorarnoten) dergestalt umschrieben gewesen ist, dass der Prozessgegenstand (dazu RIS Justiz RS0056978) durch die Ergänzung des Einleitungsbeschlusses nicht erweitert wurde.
[12] § 2 Abs 1 Z 1 DSt schließt (soweit hier von Interesse) die Verfolgung eines Disziplinarvergehens wegen Verjährung aus, wenn nicht innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Kammeranwalts von dem einem Disziplinarvergehen zugrunde liegenden Sachverhalt ein Untersuchungskommissär bestellt wird.
[13] Zur Rechtsrüge (Z 9 lit b), die eine in diesem Sinn verspätete Bestellung eines Untersuchungskommissärs im Grunde – zu Recht – nicht behauptet, sondern bloß die Ergänzung des Einleitungsbeschlusses als verjährt moniert, genügt der Hinweis auf die Darlegungen zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO.
[14] Mit dem Vorbringen, die Beschuldigte habe die in Rede stehenden Honorarnoten „sehr großzügig reduziert“ und pauschaliert und die verzeichneten Honorare seien aufgrund des außergewöhnlichen Mandats mit außerordentlich hohem Betreuungsaufwand gerechtfertigt gewesen, vermag die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld mit Blick auf die Feststellungen zur achtmaligen zusätzlichen Verzeichnung von Aktenvermerken bei grundsätzlicher Heranziehung einer Abrechnung nach dem RATG und drei Rangordnungsgesuchen je nach TP 3A RATG keine Bedenken an der Lösung der Schuldfrage zu wecken.
[15] Sofern das diesbezügliche Vorbringen im Sinn einer Rechtsrüge (Z 9 lit a StPO) zu verstehen ist, entzieht es sich mangels Orientierung am festgestellten Sachverhalt einer inhaltlichen Erwiderung (RIS Justiz RS0099810).
[16] Der Disziplinarrat verhängte über die Beschuldigte nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 8.000 Euro und wertete dabei das Zusammentreffen mehrerer Disziplinarvergehen, die „nicht geringe“ Überhöhung der Honorarnoten, die Intransparenz der Abrechnungsmodalitäten gegenüber der Klientin und die Ablehnung der Verantwortlichkeit für die (kanzleiinterne) Kontrolle der Abrechnung als erschwerend, die bisherige Unbescholtenheit, das Tatsachengeständnis und die lange Verfahrensdauer als mildernd (ES 7).
[17] Bei der Strafbemessung sind im anwaltlichen Disziplinarverfahren die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß anzuwenden (RIS Justiz RS0054839).
[18] Die vom Disziplinarrat herangezogenen Erschwerungs und Milderungsgründe sind zu korrigieren, weil ein sogenanntes Tatsachengeständnis nach dem ersten Fall des § 34 Abs 1 Z 17 StGB gar nicht und nach dem zweiten Fall dieser Bestimmung nur dann mildernd wirkt, wenn es sich maßgeblich auf die Beweisführung auswirkt (22 Ds 3/19i mwN), was fallbezogen zu verneinen ist, womit der angesprochene Milderungsgrund nicht vorliegt.
[19] Andererseits stellen die Höhe der unrichtigen Forderung, die Intransparenz gegenüber der Klientin und die Ablehnung der Verantwortlichkeit für die kanzleiinterne Kontrolle keine besonderen Erschwerungsgründe dar. Diese Umstände sind bloß im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung (§ 32 StGB) zu berücksichtigen.
[20] Ausgehend von den korrigierten Erschwerungs und Milderungsgründen sowie unter besonderer Berücksichtigung des Umstands, dass die Beschuldigte ihre Honorarforderung – wenngleich nicht unaufgefordert, so doch freiwillig – erheblich reduzierte, sodass der Klientin keinesfalls ein materieller Schaden entstand, war die Geldbuße auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) unter Bedachtnahme auf die Einkommens und Vermögensverhältnisse der Beschuldigten (§ 16 Abs 6 DSt) wie aus dem Spruch ersichtlich zu reduzieren.
[21] Mit Blick auf die bisherige Unbescholtenheit der Beschuldigten, ihr Wohlverhalten nach der Tat und den positiven persönlichen Eindruck, den sie vor dem erkennenden Senat hinterlassen hat, ist anzunehmen, dass die Androhung der Disziplinarstrafe genügen werde, die Beschuldigte von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten, aus welchem Grund die Geldbuße gemäß § 16 Abs 2 DSt unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen werden konnte.
[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.