8Ob120/20k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des L*****, einstweiliger Erwachsenenvertreter und Rechtsbeistand Mag. A*****, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, über den Revisionsrekurs der R***** registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *****, vertreten durch Angerer Hochfellner Pontasch-Müller Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 11. November 2020, GZ 4 R 295/20d-39, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Völkermarkt vom 7. Oktober 2020, GZ 4 P 34/20w-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1] Mit Beschluss vom 7. 10. 2020 (ON 4) bestellte das Erstgericht für den Betroffenen einen Rechtsanwalt zum Rechtsbeistand und einstweiligen Erwachsenenvertreter ua zur Verwertung und Verwaltung von Vermögen und Geldansprüchen. Beim Betroffenen liege zumindest Vergesslichkeit vor. Er habe Spielgeld bei einer Bank in Sparbüchern anlegen wollen und bei dieser Gelegenheit be hauptet , dass ihm Geld gestohlen bzw gegen das Spielgeld ausgetauscht worden sei. Unklar sei der Verbleib des Geldes, das der Betroffene kürzlich aus zwei Grundstücksverkäufen erhalten habe. Insbesondere zur Klärung dieser Situation sei ein einstweiliger Erwachsenenvertreter erforderlich.
[2] Mit einem weiteren Beschluss vom selben Tag (ON 6) trug das Erstgericht – gestützt auf § 133 Abs 1 und 4 AußStrG und § 38 Abs 2 Z 4 BWG – mehreren Banken, darunter der Rechtsmittelwerberin, die umgehende Bekanntgabe der Konten, Sparbücher, Wertpapiere, Bausparverträge und sonstigen Vermögenswerte einschließlich der Konto- und Guthabensstände und Verfügungsberechtigungen auf, die der Betroffene bei ihnen habe bzw hinsichtlich derer er identifiziert oder legitimiert sei. Weiters seien allfällige Vermögenswerte (ausgenommen ein allfälliges Giro- bzw Pensionskonto) derart zu sperren, dass Verfügungen darüber nur mit Genehmigung des Gerichts vorgenommen werden könnten.
[3] Diesen Beschluss ließ das Erstgericht zwar dem Rechtsbeistand und einstweiligen Erwachsenenvertreter, nicht aber dem Betroffenen zustellen, weil – wie es in einem Aktenvermerk festhielt – „sonst nachteilige Bankhandlungen zu befürchten seien“.
[4] Mit Schreiben vom 16. 10. 2020 (ON 25) gab die R***** registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung (im Folgenden kurz Bank) bekannt, dass ihren Aufzeichnungen nach der Betroffene zu drei Sparbüchern identifiziert worden sei. Weitere Auskünfte könnten jedoch erst nach näherer Spezifikation der Sparbücher durch Angabe der Sparbuchbezeichnung oder Kontrollnummer sowie Bestätigung der materiellen Berechtigung des Betroffenen erteilt werden. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass die Spareinlagen auch dem Kontoregister gemeldet werden.
[5] Dem Rekurs der Bank gegen den Gerichtsauftrag ON 6 gab das Rekursgericht nicht Folge. Den Rekursausführungen lasse sich entnehmen, dass es sich bei den Sparbüchern, zu denen der Betroffene identifiziert worden sei, um Spareinlagen nach § 31 Abs 3 BWG (also sogenannte „Kleinbetragssparbücher“) handle. Allein schon die Identifikation des Betroffenen sei ein gewichtiges Indiz dafür, dass es sich bei den jeweiligen Guthaben um Vermögen des Betroffenen handle. Somit bestehe die Pflicht des Erstgerichts, auch dieses Vermögen zu erforschen, und stehe dem das Bankgeheimnis nicht entgegen (§ 38 Abs 2 Z 4 BWG). Würde die Zulässigkeit der Mitteilung der Existenz dieser drei Sparguthaben tatsächlich von der Nennung der Kontonummer und der Vorlage der Sparurkunde abhängig sein, so würde dies die Kenntnis des Pflegschaftsgerichts von diesen Vermögenswerten voraussetzen, was hier ja gerade nicht der Fall sei. Bei Richtigkeit des Rechtsstandpunkts der Rekurswerberin wäre der Vermögenserforschung durch das Erstgericht jeglicher Boden entzogen und die Erfüllung dieses gesetzlichen Auftrags unmöglich gemacht.
[6] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig sei, weil ein Sachverhalt wie der vorliegende vom Höchstgericht noch nicht beurteilt worden sei.
Rechtliche Beurteilung
[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Bank , der auf eine Aufhebung des Gerichtsauftrags, in eventu auf eine Einschränkung dahin abzielt, dass Spareinlagen iSd § 31 Abs 3 BWG von diesem Auftrag ausgenommen werden.
[8] Das Erstgericht stellte die Rechtsmittelentscheidung und den Revisionsrekurs zwar wiederum dem Rechtsbeistand und einstweiligen Erwachsenenvertreter, nicht aber dem Betroffenen selbst zu, „dies zum Schutz des Betroffenen […] damit keine Malversationen betreffend seine Vermögenswerte stattfinden“ (Aktenvermerke vom 24. 11. 2020 und 16. 12. 2020).
[9] 1. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine vertretene Person ein nennenswertes Vermögen hat, so hat das Gericht dieses gemäß § 133 Abs 1 AußStrG von Amts wegen zu erforschen. Zur Erforschung des Vermögens und zur Überwachung seiner Verwaltung, einschließlich zu seiner Sicherung, kann es nach Abs 4 leg cit insbesondere auch Auskünfte von Kreditinstituten einholen und die Sperre von Guthaben anordnen sowie einstweilige Vorkehrungen treffen.
[10] Diese Vorschrift, auf die schon das Erstgericht seinen Beschluss gegründet hat, findet sich im 10. Abschnitt des II. Hauptstücks des AußStrG unter der Überschrift „Vermögensrechte von Personen unter gesetzlicher Vertretung“.
[11] 2.1 § 139 Abs 1 erster Satz AußStrG bestimmt nun, dass der vertretenen Person – so wie nach § 116a Abs 2 erster Satz AußStrG im 9. Abschnitt des II. Hauptstücks der betroffenen Person – sämtliche Beschlüsse zuzustellen sind. § 116a Abs 1, 3 und 4 AußStrG gilt sinngemäß für minderjährige Personen ab Vollendung des 14. Lebensjahres.
[12] § 116a Abs 1 AußStrG, auf den verwiesen wird, stellt klar, dass die betroffene Person in Erwachsenenschutzverfahren unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit Verfahrenshandlungen vornehmen kann. Stimmen ihre Anträge nicht mit jenen ihres Vertreters überein, so sind bei der Entscheidung alle Anträge inhaltlich zu berücksichtigen.
[13] 2.2 Die Regelung des § 139 Abs 1 AußStrG wurde durch das 2. ErwSchG grundlegend geändert: Nach der bis dahin in Kraft stehenden Bestimmung war „der Pflegebefohlene von Verfügungen des Gerichts unabhängig von seiner Verfahrensfähigkeit in Kenntnis zu setzen, soweit dies seinem Wohl dient“ ( Mondel in Rechberger/Klicka , AußStrG³ § 139 Rz 1).
[14] Nach § 139 Abs 1 AußStrG idF des 2. ErwSchG ist „die vertretene Person nicht mehr nur von getroffenen Maßnahmen in Kenntnis zu setzen, und zwar noch dazu nur soweit dies ihrem Wohl dient“ (ErlRV 1461 BlgNr 25. GP 76). Vielmehr sind ihr sämtliche Beschlüsse über die nach dem 10. Abschnitt des II. Hauptstücks des AußStrG, daher nach den §§ 132 bis 138 AußStrG getroffenen Maßnahmen zuzustellen ( Beck in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I 2 § 139 Rz 3). § 116a AußStrG findet sinngemäße Anwendung, „weil auch Verfügungen nach diesem Hauptstück (Genehmigungen von Rechtshandlungen in der Vermögenssorge, Bestätigungen der Rechnungslegung, Entscheidungen über Anträge auf Entschädigung, Entgelt und Aufwandersatz) die vertretene Person – wie im Erwachsenenschutzrecht – unmittelbar in ihrer Rechtssphäre berühren. Sie soll daher stets als verfahrensfähig gelten und Adressat der gerichtlichen Zustellungen sein. Ferner soll ihr hier die Möglichkeit, sehr vereinfacht ein Rechtsmittel zu erheben, zustehen“ (ErlRV 1461 BlgNr 25. GP 76).
[15] Die betroffene (= vertretene) Person ist Partei des Verfahrens, ihr ist rechtliches Gehör zu gewähren ( Weitzenböck in Deixler-Hübner/Schauer , Handbuch Erwachsenenschutzrecht Rz 6.127).
[16] 3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 3 Ob 87/19v vom 23. 5. 2019 zu der Bestimmung des § 116a AußStrG festgehalten, dass ein Vertreter bzw Rechtsbeistand die Möglichkeit der betroffenen Person nicht einschränkt, im Verfahren selbständig zu handeln. Der in § 119 AußStrG geschaffene Zwang zur Bestellung eines Vertreters schließt die Fähigkeit der betroffenen Person, eigene Verfahrenshandlungen neben dem Vertreter vorzunehmen, nicht aus.
[17] 4. Aus all dem ist zu folgern, dass der betroffenen bzw vertretenen Person in einem Verfahren nach § 133 Abs 1 und Abs 4 AußStrG nicht nur ein eigenes Rechtsmittelrecht, sondern auch ein Recht auf Einbringung einer Rechtsmittelbeantwortung zusteht.
[18] Durch die Nichtzustellung der Beschlüsse und Rechtsmittel in diesem Verfahren hat das Erstgericht den Betroffenen in diesen Rechten beschnitten. Die Entscheidung über die Zustellung der Beschlüsse liegt seit der Änderung der Rechtslage durch das 2. ErwSchG nicht mehr im – auf das Wohl der vertretenen Person abstellenden – Ermessen des Gerichts. Das Gesetz sieht nicht vor, dass eine Zustellung von Beschlüssen an den Betroffenen zu dessen Schutz unterbleiben kann.
[19] 5. Das Erstgericht wird daher den angefochtenen Beschluss und den Revisionsrekurs der Bank an den Betroffenen zur allfälligen Einbringung eines Revisionsrekurses bzw einer Revisionsrekursbeantwortung zuzustellen haben, wobei der Betroffene darüber zu belehren sein wird, dass er sich im (seine Vermögensrechte betreffenden) Revisionsrekursverfahren gemäß § 6 Abs 2 iVm § 65 Abs 3 AußStrG durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten lassen muss. Erst nach Einlangen eines Rechtsmittels oder einer Rechtsmittelbeantwortung bzw nach fruchtlosem Ablauf der hierfür offenstehenden Fristen wird der Akt neuerlich dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein.