6Ob250/20p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon. Prof. Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin W***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Haslinger Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Erlagsgegnerin M*****, über den Revisionsrekurs der Erlegerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 23. September 2020, GZ 43 R 364/20b 10, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 18. Juni 2020, GZ 16 Nc 44/20b 4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Erlegerin erlegte bei der Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht Wien 18.950 EUR. Sie beantragte, den hinterlegten Entschädigungsbetrag zu Gunsten der Antragsgegnerin anzunehmen; dies unter der Bedingung, dass eine Ausfolgung ausschließlich über einen gemeinsamen Antrag der Erlegerin und der Erlagsgegnerin oder auf Grundlage einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung erfolge. Sie brachte dazu im Wesentlichen vor, aufgrund des Bescheids des Landeshauptmanns der Stadt Wien sei sie dazu verpflichtet, diesen Betrag an die Erlagsgegnerin als Enteignungsentschädigung im Zuge der Errichtung des neuen Südastes der U Bahn Linie 2 auszubezahlen. Die Antragsgegnerin sei mit eingeschriebenem Brief ersucht worden, den Entschädigungsbetrag entgegenzunehmen, habe darauf aber nicht reagiert.
[2] Das Erstgericht nahm den Erlag gemäß § 1425 ABGB zu Gericht an, ordnete dessen Verwahrung an und sprach aus, dass die Ausfolgung über schriftlichen Antrag des Erlagsgegners oder aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung erfolge.
[3] Gegen diesen Beschluss erhob die Erlegerin Rekurs. Das Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichts daraufhin dahingehend ab, dass es den Erlagsantrag zur Gänze abwies. Der Zweck der Hinterlegung liege in der Befreiung der Erlegerin von ihrer Verbindlichkeit. Dieser Zweck werde nicht erfüllt, wenn die Ausfolgung von der Zustimmung der Erlegerin abhängig gemacht werde. Daher sei der Erlagsantrag zur Gänze abzuweisen.
[4] Nachträglich ließ das Rekursgericht den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, dass in der Zulassungsvorstellung eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht werde, sodass eine Klarstellung in Ansehung der stets zu wahrenden Rechtssicherheit angezeigt erscheine.
Rechtliche Beurteilung
[5] Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
[6] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[7] 1.1. Gemäß § 35 Abs 2 EisbEG ist der Vollzug der Enteignung auf Antrag des Eisenbahnunternehmens zu bewilligen, wenn es die im rechtskräftigen Enteignungsbescheid festgesetzte Entschädigung geleistet oder gerichtlich hinterlegt und die in diesem Bescheid festgesetzte Sicherheit geleistet hat.
[8] 1.2. Der Antrag ON 1 ist als „Antrag auf Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB“ bezeichnet, im Antragsvorbringen wird aber unter Punkt 4. auf § 35 Abs 2 EisbEG Bezug genommen. § 35 Abs 2 EisbEG stellt jedoch nach seinem völlig eindeutigen Wortlaut keinen eigenständigen Erlagsgrund dar. Vielmehr wird in dieser Bestimmung die Hinterlegungsmöglichkeit nach § 1425 ABGB vorausgesetzt und daran angeknüpft.
[9] 1.3. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 1 Ob 263/03p SZ 2003/167 zur vergleichbaren Rechtslage nach dem Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964 (LStVG 1964) im Anschluss an Rummel (Zur Hinterlegung der Entschädigung bei Enteignung nach dem Bundesstraßengesetz, JBl 1994, 390) darauf hingewiesen, dass die verzögerte Ausfolgung des Entschädigungsbetrags – erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens – für einen Enteigneten allenfalls ruinös sein könne. Der wirtschaftliche Druck, der beim Enteigneten bewirkt werde, sei mit der Zielsetzung des Eisenbahnenteignungsgesetzes (EisbEG), auf das § 20 BstG – ebenso wie übrigens § 50 LStVG – mehrfach verweise, unvereinbar. Werde der Erlagsbetrag vorläufig „eingefroren“, könne er also weder an den Erlagsgegner noch an den Erleger ausgefolgt werden, so widerspräche dies dem einem Enteignungsverfahren immanenten generellen Prinzip, dass die Zahlung der Entschädigungssumme und der Vollzug der Enteignung Zug um Zug zu erfolgen hätten. Die in der Entscheidung SZ 61/97 verwendeten Argumente seien rein formaler Natur; es finde sich keine sachliche Rechtfertigung dafür, warum der Enteignete nicht trotz eines Neufestsetzungsantrags die von der Behörde ermittelte Entschädigungssumme sofort erhalten könnte.
[10] Zwar sei der Bescheid der Behörde im Ausspruch über die Höhe der zu leistenden Entschädigung mit dem Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts gemäß § 50 Abs 3 LStVG 1964 außer Kraft getreten. Das bedeute aber nicht, dass die Enteignung rückgängig gemacht worden wäre; vielmehr könne ein rechtskräftiges Enteignungserkenntnis gemäß § 50 Abs 4 LStVG 1964 im Falle des Erlags des von der Behörde ermittelten Entschädigungsbetrags sogar vollzogen werden. Lediglich die Höhe der zu leistenden Entschädigung sei aufgrund der Bestimmung des § 50 Abs 3 LStVG 1964 völlig offen, wenn die gerichtliche Entscheidung begehrt wird. Es stehe aber fest, dass eine Entschädigung zu leisten sei , die dem Enteigneten, der aufgrund des massiven Eingriffs in seine Rechte besonders schützenswert sei , raschestmöglich zukommen sollte. Müsste in der Folge, wenn die Entschädigung vom Gericht niedriger als im Enteignungserkenntnis festgesetzt werden sollte, der Enteignete einen Teil des ihm ausgefolgten Betrags zurückzahlen, so rechtfertigte es ein solcher (eher seltener) Verfahrensgang noch nicht, dem Enteigneten die Auszahlung einer wenn auch nur vorläufig behördlich festgelegt gewesenen Entschädigungssumme unter Umständen langfristig zu verwehren und ihn so gegebenenfalls großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auszusetzen. Diese Überlegungen lassen sich auf den vorliegenden Fall übertragen.
[11] 1.4. D ie Ausführungen des Revisionsrekurses zur Leistung der Entschädigung und Ausstellung einer Quittung sind im vorliegenden Fall nicht präjudiziell: Wenn die Antragstellerin einen zulässigen Erlagsantrag stellt und der Erlag rechtskräftig zu Gericht angenommen wird, kann die Enteignung auch im Grundbuch vollzogen werden. (Auch) insofern ist die Rechtslage völlig eindeutig, sodass es der Befassung des Obersten Gerichtshofs nicht bedarf.
[12] 2.1. Das Rekursgericht hat den Erlagsantrag im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass es unzulässig sei, die Ausfolgung an die Zustimmung der Antragstellerin zu knüpfen; deshalb könne der Erlag keine schuldbefreiende Wirkung haben und sei der Erlagsantrag abzuweisen. Der Revisionsrekurs steht demgegenüber auf dem Standpunkt, die schuldbefreiende Wirkung sei keine Voraussetzung, sondern vielmehr eine Folge des Erlags.
[13] 2.2. Nach dem Wortlaut des § 1425 ABGB befreit auch eine gerichtliche Hinterlegung, wenn sie rechtmäßig geschehen und dem Gläubiger bekannt gemacht worden ist, den Schuldner von seiner Verbindlichkeit. Demnach ist die Hinterlegung nach § 1425 ABGB auf die Schuldbefreiung des Erlegers gerichtet (RS0033640 [T3]; 8 Ob 31/11h ErwGr 2.1.). Der gerichtliche Erlag nach § 1425 ABGB soll dem leistungsbereiten Schuldner, der sich aus wichtigen Gründen nicht von seiner Schuld befreien kann, als Erfüllungssurrogat dienen (RS0033636 [T6]).
[14] 2.3. Weiters wurde bereits ausgesprochen, dass eine Bindung der Ausfolgung an die Zustimmung des Erlegers dazu führt, dass dem Erlag keine schuldbefreiende Wirkung zukommt (4 Ob 170/12x ErwGr 3.2; 8 Ob 31/11h). Die Hinterlegung ist unzulässig, wenn sie von vornherein nicht geeignet ist, die Tilgung einer Schuld herbeizuführen (8 Ob 117/18s ErwGr 1 mit Verweis auf 3 Ob 88/14h mwN; Koziol/Spitzer in KBB 6 § 1425 ABGB Rz 1 mwN; vgl auch Heidinger in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 1425 Rz 2; vgl auch RS0033640; 5 Ob 135/03v; 4 Ob 246/07s).
[15] 2.4. In der Entscheidung 8 Ob 117/18s hat sich der Oberste Gerichtshof auch eingehend mit der Judikatur auseinandergesetzt, wonach ein Erlag unter Widerrufsvorbehalt zulässig sein kann (RS0033540 [T1]). Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Widerrufsvorbehalt zeitlich befristet und damit eine Schuldtilgung absehbar ist; ausdrücklich hielt der Oberste Gerichtshof aber am Erfordernis der Tilgungswirkung fest und führte aus, dass bei einem Erlag, mit dem keine Schuldtilgung verbunden sein kann, nicht erkennbar ist, welcher Zweck damit verfolgt wird. Diese Ausführungen stehen mit dem Rechtssatz in Einklang, wonach das Gericht einen Erlag nicht annehmen darf, der den mit der Hinterlegung verfolgten Zweck gar nicht erreichen kann, so etwa dann, wenn die beabsichtigte Schuldtilgung ausbleibt (RS0033640 [T1]).
[16] 3.1. Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit dieser Judikatur im Einklang: Die Ausfolgung wurde zu Unrecht an die Zustimmung der Erlegerin geknüpft; damit kann der Erlag keine schuldbefreiende Wirkung haben und somit sein Ziel nicht erreichen. Wenn das Rekursgericht den somit zwecklosen Erlag abgelehnt hat, dann entspricht dies der Rechtslage. Wieso das Erfordernis der Schuldtilgung beim Erlag gerade einer Enteignungsentschädigung nicht gelten sollte, wird vom Revisionsrekurs nicht überzeugend erklärt, zumal ein Schutzbedürfnis der Antragstellerin nicht erkennbar ist, hätte sie doch auch die Möglichkeit, den Erlag ohne unzulässige Bedingungen zu beantragen.
[17] 3.2. Auch aus dem vom Revisionsrekurs zitierten Rechtssatz RS0087237 ist nichts zugunsten der Antragstellerin zu gewinnen, weil die einzige dort verzeichnete Entscheidung 4 Ob 507/88 bloß festhält, dass die Auffassung, die Ausfolgung des Erlags könne an Bedingungen geknüpft werden, nicht offenbar gesetzwidrig iSd § 16 AußStrG aF sei; welche Bedingungen zulässig sind, wird in dieser Entscheidung hingegen nicht behandelt.
[18] 3.3. Soweit der Revisionsrekurs geltend macht, dass die Antragstellerin vor Gericht einen Antrag auf Neufestsetzung des Entschädigungsbetrags eingebracht habe, hat das Rekursgericht bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Vorbringen um eine unzulässige Neuerung handelt.
[19] 3.4. Im Übrigen ist dieses Argument auch inhaltlich nicht überzeugend, weil jedenfalls hinsichtlich des Teilbetrags, den die Erlegerin als Entschädigungssumme zugesteht, nicht erkennbar ist, wieso dessen Ausfolgung an ihre Zustimmung gebunden werden sollte.
[20] 4. Zusammenfassend bringt die Revisionsrekurswerberin sohin keine Rechtsfrage der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität zur Darstellung, sodass der Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.