6Nc3/21z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon. Prof. Dr. Gitschthaler sowie Univ. Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel und Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei ***** Bank AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 203.714,74 EUR sA, in dem zu AZ 45 Cg 78/20z des Landesgerichts Feldkirch anhängigen Verfahren über den Delegierungsantrag der klagenden Partei in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Zur Verhandlung und Entscheidung in dieser Rechtssache wird anstelle des Landesgerichts Feldkirch das Handelsgericht Wien bestimmt.
Text
Begründung:
[1] Die 92 jährige Klägerin , die in einem Pflegeheim in Wien lebt, begehrt mit der vom Bezirksgericht Hernals als Erwachsenenschutzgericht genehmigten Klage – Erwachsenenvertreterin der Klägerin ist deren in Wien lebende Tochter – von der beklagten Bank mit Sitz in Feldkirch die Zahlung von insgesamt 203.714,74 EUR; diesen Betrag habe ein in ***** bei Wien lebender Neffe der Klägerin anlässlich mehrerer Besuche einer Geschäftsstelle der Beklagten in Wien behoben, ohne von der Klägerin hiezu bevollmächtigt gewesen zu sein. Angesichts dieser Situation meint die Klägerin, die sich auf die zeugenschaftliche Einvernahme ihrer Tochter beruft, es sei zweckmäßig, das Verfahren nach Wien zu delegieren, was sie auch gemäß § 31 Abs 1 JN beantragte.
[2] Diesem Antrag trat die Beklagte , die sich neben der Einvernahme der Parteien auf die zeugenschaftliche Einvernahme des Neffen der Klägerin und jene eines ihrer Mitarbeiter beruft, bei dem sie zunächst eine Adresse in Wien nannte, dann aber ausführte, der Mitarbeiter habe „zwischenzeitlich“ seinen Hauptwohnsitz im Sprengel des Landesgerichts Feldkirch, wo er sich „auch überwiegend [ aufhalte ]“, mit der Begründung entgegen, auch ihre informierten Vertreter hätten ihre Wohnsitze im Sprengel des Landesgerichts Feldkirch, sodass eine Delegierung nach Wien insgesamt weder eine Verkürzung des Verfahrens noch eine Kostenverringerung oder eine Erleichterung des Gerichtszugangs bewirken würde; eine Delegierung solle nur im Ausnahmefall erfolgen. Im Übrigen könnten sowohl der Neffe der Klägerin als auch deren Tochter im Wege der Videokonferenz einvernommen werden.
[3] Das Landesgericht Feldkirch bejahte in einer Stellungnahme die Delegierung des Verfahrens nach Wien, weil nicht nur Neffe und Tochter der Klägerin ihre Wohnsitze in bzw bei Wien, sondern auch die Geldbehebungen in Wien stattgefunden hätten, während ein informierter Vertreter der Beklagten im Wege der Videokonferenz einvernommen werden könne.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Delegierungsantrag ist berechtigt .
[5] 1. Nach § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden, wobei nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RS0046441; RS0046589; RS0046324 [T5, T11, T16]) eine Delegierung zwar nur den Ausnahmefall bilden und keinesfalls durch eine großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden soll, jedoch eine Delegierung zweckmäßig ist, wenn die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht eine wesentliche Verkürzung des Prozesses, eine Erleichterung des Gerichtszugangs und der Amtstätigkeit oder eine wesentliche Verbilligung des Rechtsstreits zu bewirken verspricht (RS0046333 [T20]; RS0053169 [T13, T14]). Zweckmäßigkeitsgründe sind vor allem der Wohnort (Sitz) der Parteien und der zu vernehmenden Zeugen (RS0046540; RS0046333 [T5, T8, T15, T21]; RS0053169 [T12, T14, T21]).
[6] 2. Im vorliegenden Fall leben sowohl der Neffe als auch die Tochter der Klägerin in oder bei Wien, desgleichen bis vor Kurzem auch der als Zeuge geführte Mitarbeiter der Beklagten, der zwar seinen Hauptwohnsitz zwischenzeitlich im Sprengel des Landesgerichts Feldkirch hat, sich dort aber auch bloß überwiegend aufhält. Dem steht gegenüber, dass die hochbetagte Klägerin, der eine Erwachsenenvertreterin zur Seite gestellt wurde, in einem Pflegeheim in Wien lebt, aufgrund welcher Umstände die Durchführung einer Parteieneinvernahme im Wege einer Videokonferenz wohl nicht in Betracht kommen wird; dass von Klagsseite auf die Einvernahme der Klägerin verzichtet wurde, ändert nichts daran, dass sich die Beklagte ausdrücklich auf Parteieneinvernahme berufen hat, von welchem Antrag auch die Klägerin erfasst ist ( Spenling in Fasching/Konecny ³ III/1 § 374 ZPO Rz 1, § 376 ZPO Rz 3). Auf die „informierten Vertreter“ der Beklagten kann nicht näher eingegangen werden, wurden diese doch bislang nicht namhaft gemacht; wo potenzielle, aber (noch) nicht beantragte Personen ihren Wohnsitz haben könnten, kann bei der Entscheidung über einen Delegierungsantrag nicht berücksichtigt werden (5 Nc 13/18h mwN). Damit verbleibt aber lediglich der erwähnte Mitarbeiter der Beklagten, dem entweder eine Anreise nach Wien oder eine Videokonferenz eher zumutbar ist als eine solche der Klägerin; eine Anreise der Klägerin nach Feldkirch kommt aufgrund deren Gesundheitszustands offensichtlich überhaupt nicht in Betracht.
[7] Die Sach und Beweisnähe eines Wiener Gerichts (konkret: des Handelsgerichts Wien; § 51 Abs 1 Z 1 JN) übersteigt jene des Landesgerichts Feldkirch, in dessen Sprengel die Beklagte ihren Sitz hat, eindeutig (vgl 6 Nc 8/18f), wobei die Einvernahme vor dem erkennenden Gericht jener im Weg der Videokonferenz jedenfalls dann vorzuziehen ist, wenn – wie hier – praktisch das gesamte Beweisverfahren auf diese Weise durchgeführt werden müsste (6 Nc 3/18w; 5 Nc 13/18h).
[8] Dem Antrag war daher stattzugeben.