JudikaturOGH

11Os10/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Februar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Februar 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in der Strafsache gegen Erich H***** wegen der Verbrechen der Brandstiftung nach § 169 Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 44 HR 124/20s (nunmehr AZ 34 Hv 1/21a) des Landesgerichts Leoben, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 5. Jänner 2021, AZ 8 Bs 443/20p (ON 34 der Hv Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 zu Recht erkannt:

Spruch

Erich H***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Im zu AZ 1 St 243/20t geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Leoben wurde vom Landesgericht Leoben am 11. Dezember 2020 über Erich H***** aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1, Abs 2 Z 3 lit a, lit b StPO die Untersuchungshaft verhängt (ON 23) und am 16. Dezember 2020 aus dem selben Grund fortgesetzt (ON 27).

[2] Am 30. Dezember 2020 brachte die Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Leoben zu AZ 34 Hv 1/21a Anklage (ON 32) gegen H***** ein.

[3] Darin legt sie – soweit hier relevant – dem Angeklagten als die Verbrechen der Brandstiftung nach § 169 Abs 2 StGB und als das Verbrechen des Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 15 StGB zur Last, er habe (zusammengefasst wiedergegeben) am 3. September 2015 und am 19. März 2020 in O***** jeweils an einer eigenen Sache eine Feuersbrunst verursacht und dadurch eine Gefahr für Leib und Leben mehrerer in der Anklage namentlich genannter Personen sowie für das Eigentum Dritter in großem Ausmaß herbeigeführt, indem er das in seinem Alleineigentum stehende Wirtschafts-/Hallengebäude samt darin befindlichen Gerätschaften, Maschinen und Futtermitteln (zu B./I./ zusätzlich ein weiteres Gebäude) je durch Einbringen einer offenen Flamme entzündete, wodurch die umliegenden Gebäude sowie in der Nähe befindliche Fahrzeuge schwer beschädigt bzw zerstört wurden (A./I./ und B./I./ der Anklageschrift) sowie im Anschluss daran mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Versicherungsunternehmen durch Täuschung über Tatsachen zur Auszahlung der Brandschutzversicherungssummen verleitet (560.000 Euro) und zu verleiten versucht (447.192 Euro; C./I./ und C./II./).

Rechtliche Beurteilung

[4] Der gegen den Beschluss auf Fortsetzung der Untersuchungshaft (ON 27) gerichteten Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz am 5. Jänner 2021 nicht Folge und setzte diese seinerseits aus dem Haftgrund der Tatbegebungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, lit b StPO fort (AZ 8 Bs 443/20p ).

[5] Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde, die sich gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts und des zuvor bezeichneten Haftgrundes wendet, Fortsetzung der Untersuchungshaft im elektronisch überwachten Hausarrest anstrebt sowie Substituierbarkeit der Haft durch Anwendung gelinderer Mittel behauptet.

[6] Das Oberlandesgericht ging von einem den vorgenannten Anklagevorwürfen entsprechenden dringenden Tatverdacht (BS 4 bis 8) sowie vom Vorliegen des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr (BS 8) aus.

[7] Gegenstand der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts über eine Haftbeschwerde – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (RIS-Justiz RS0121605). Dabei kann die Begründung des dringenden Tatverdachts in sinngemäßer Anwendung des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO bekämpft werden (RIS Justiz RS0110146, RS0114488). Die rechtliche Beurteilung, welche strafbaren Handlungen durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen begründet werden, unterliegt der Prüfung nach den Kriterien der Z 9 und 10 des § 281 Abs 1 StPO ( Kier in WK 2 GRBG § 2 Rz 26, 32 f; Kirchbacher/Rami , WK-StPO Vor §§ 170–189 Rz 23/2).

[8] Die unter Bezugnahme auf die eigene Verantwortung entwickelten A rgumente der Grundrechtsbeschwerde, der Angeklagte hätte aus den Versicherungsleistungen teilweise keinen wirtschaftlichen Vorteil gezogen und sei auf vielen „Schäden sitzengeblieben“; zu den im Brandgebäude abgestellten Fahrzeugen (etwa sei nur ein alter Traktor verbrannt); zur Erhöhung der Versicherungssummen jeweils knapp vor den Bränden; es gäbe „in keiner Weise einen Hinweis auf die Täterschaft des Angeklagten“ sowie zum zeitlichen Ablauf bei der Entdeckung des Brandes im Jahr 2020 und den damit in Zusammenhang stehenden Zeugenaussagen der Nachbarfamilie wird diesen Kriterien – gemessen an der bekämpften Entscheidung – nicht gerecht. Indem die Grundrechtsbeschwerde anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Angeklagten günstige Schlüsse ableitet, verlässt sie d eren Anfechtungsrahmen ( Kier in WK 2 GRBG § 2 Rz 28).

[9] Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren prüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens (nur) dahin, ob sie aus den vom Oberlandesgericht in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich (mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet) angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806). Vergleichsbasis des Willkürverbots sind – mit Blick auf § 173 Abs 2 StPO, der nur verlangt, dass die angenommenen Haftgründe auf bestimmten Tatsachen beruhen – nur die der Prognoseentscheidung tatsächlich zugrunde gelegten Tatsachen.

[10] Indem die Beschwerde bloß auf die „Unbescholtenheit“ des Angeklagten verweist, vernachlässigt sie die Tatsachenannahmen des Oberlandesgerichts zur Gänze, das sich auch mit der Frage der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft, der hier aufgrund der hohen Intensität der Tatbegehungsgefahr gegebenen Unmöglichkeit des Vollzugs im elektronisch überwachten Hausarrest (welche Vollzugsform im Übrigen mit Grundrechtsbeschwerde nicht releviert werden kann – RIS Justiz RS0126401) und deren Nicht-Substituierbarkeit durch – von der Beschwerde gar nicht konkret bezeichnete (RIS Justiz RS0116422) – gelindere Mittel auseinandersetzte (BS 8).

[11] Der Angeklagte wurde daher nicht im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt, weshalb seine Beschwerde abzuweisen war.

[12] Das Vorbringen im Sinne von § 173 Abs 3 letzter Satz StPO in der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur konnte im Grundrechtsbeschwerde-verfahren keine Beachtung finden.

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