JudikaturOGH

5Ob11/21k – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Februar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. MMag. A***** T*****, 2. Mag. A***** T*****, beide vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 16.296,90 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 24. Mai 2019, GZ 5 R 43/19m 19, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 1. Februar 2019, GZ 29 Cg 52/18t 15, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das Revisionsrekursverfahren wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.387,48 EUR (darin 231,25 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger haben von einem Vertragshändler der Beklagten in Villach ein von der Beklagten produziertes Kraftfahrzeug gekauft.

[2] Die Kläger begehren von der Beklagten die Zahlung von 16.296,90 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs, in eventu die Zahlung von 6.000 EUR samt Zinsen, in eventu die Feststellung, dass die Beklagte für jeden Schaden haftet, welcher den Klägern aus dem Kauf des Kraftfahrzeugs und dem darin verbauten Dieselmotor entsteht. Zur Begründung ihrer Ansprüche brachten die Kläger vor, dass der in ihrem Fahrzeug verbaute Dieselmotor von dem von der Beklagten zu verantwortenden Abgasmanipulationsskandal betroffen sei. Der Anspruch auf Zahlung des um ein Benützungsentgelt reduzierten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs stütze sich auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, insbesondere auf arglistige Irreführung nach § 874 ABGB, deliktischen Schadenersatz in Form der Naturalrestitution (§ 1295 iVm § 1323 ABGB, § 2 UWG sowie Verletzung von Schutzgesetzen). Sollte eine Naturalrestitution nicht möglich sein, werde als erstes Eventualbegehren Geldersatzanspruch aus dem Titel der Vermögensschädigung gemäß § 1331 und § 1295 Abs 2 ABGB gefordert. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass aufgrund des mittlerweile erfolgten Updates ein heute nicht einschätzbarer erhöhter Verschleiß im Bereich des Abgassystems eintrete, werde als weiteres Eventualbegehren ein Feststellungsbegehren erhoben. Die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für diese primär auf deliktische Schadenersatzansprüche gestützte Klage ergebe sich (insbesondere) aus Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.

[3] Die Beklagte erhob die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit, bestritt das Klag e vorbringen und beantragte die Abweisung der Klage. Ihre Unzuständigkeitseinrede begründete die Beklagte (unter anderem) damit, dass die Voraussetzungen für eine Zuständigkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 nicht vorlägen.

[4] Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler und örtlicher Unzuständigkeit zurück.

[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger Folge und verwarf die von der Beklagten erhobene Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit. Die Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 sei gegeben.

[6] Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der vom Rekursgericht für zulässig erklärte ordentliche Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts abzuändern, die internationale und örtliche Unzuständigkeit des Landesgerichts Klagenfurt auszusprechen und die Klage zurückzuweisen. Hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

[7] Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs nicht zuzulassen, in eventu diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.:

[8] Mit Beschluss vom 22. Oktober 2019, 5 Ob 11 3 /19 g , unterbrach der Senat das Revisionsrekursverfahren bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren zu C 343/19 (Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Klagenfurt zu AZ 21 Cg 74/18v, Rechtssache C 343/19, vom 17. April 2019). Nunmehr hat der EuGH mit Urteil vom 9. Juli 2020, C 343/19, VKI , die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsrekursverfahren ist daher fortzusetzen.

Zu II.:

[9] Der Revisionsrekurs ist zulässig, nach dem Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens aber nicht berechtigt.

[10] 1. Mit Urteil vom 9. Juli 2020, C 343/19, VKI , hat der EuGH ausgesprochen, dass Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 dahin auszulegen ist, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenerfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet wurden, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden, in diesem letztgenannten Mitgliedstaat befindet. Dazu führte der EuGH aus, dass der geltend gemachte Schaden (nach der Aktenlage) in einer Wertminderung der gekauften Fahrzeuge bestehe, die sich aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis des jeweiligen Fahrzeugs und dessen tatsächlichem Wert aufgrund des Einbaus einer Software, in der die Daten über den Abgasausstoß manipuliert werden, erg e be. Der geltend gemachte Schaden habe sich daher erst zum Zeitpunkt des Erwerbs der fraglichen Fahrzeuge zu einem Preis, der über ihrem tatsächlichen Wert lag, verwirklicht, auch wenn diese Fahrzeuge bereits beim Einbau der Software mit einem Mangel behaftet gewesen seien. Ein solcher Schaden, der vor dem Kauf des Fahrzeugs durch den geschädigten Endabnehmer nicht bestanden habe, sei ein Primärschaden und nicht bloß eine mittelbare Folge des ursprünglich von anderen Personen erlittenen Schadens. Es handle sich um keinen reinen Vermögensschaden, weil es um einen Mangel an Sachgütern gehe und der Schaden nicht nur die Verringerung der finanziellen Vermögenswerte einer Person ohne jeden Bezug zu Sachgütern betreffe (Rn 29 bis 35).

[11] 2. Der EuGH gelangt somit zum Ergebnis, dass bei Geltendmachung der Wertminderung (des Wertverlustes) aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache (hier: eines mangelhaften Fahrzeugs) aufgrund einer Täuschungshandlung (hier: Verschweigen der Manipulation der Abgaswerte bzw eines wissentlichen Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften) der Primärschaden erst mit dem Erwerb der Sache durch den Geschädigten von einem Dritten eintritt, wobei es gleichgültig ist, ob der Dritte Händler oder privater Verkäufer (eines Gebrauchtwagens) ist. Ein solcher Schaden ist kein reiner Vermögensschaden.

[12] 3. Diese Grundsätze, die der EuGH aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens zu einem vergleichbaren Sachverhalt formuliert hat, gelten auch hier. Daraus folgt, dass sich die Kläger auf den Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 am Erfolgsort in Österreich berufen können. Die Entscheidung des Rekursgerichts steht damit im Einklang. Dem Revisionsrekurs der Beklagten war daher der Erfolg zu versagen.

[13] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Zur Frage der internationalen örtlichen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (9 Ob 42/20x mwN), in dem d ie Kläger obsiegt ha ben . Besondere Gründe für einen Zuschlag nach § 21 Abs 1 RATG liegen nicht vor.

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