1Ob132/20y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** S*****, vertreten durch Univ. Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen den Beklagten DI (FH) K***** R*****, vertreten durch Mag. Ing. Peter Huber, Rechtsanwalt in Hallein, wegen 11.371,63 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 19. April 2020, GZ 22 R 51/20h 29, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 7. Jänner 2020, GZ 10 C 778/18v 24, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Das Erstgericht gab dem Begehren der Klägerin auf Zahlung eines Benützungsentgelts von (restlichen) 11.371,63 EUR für die nach Beendigung des Mietvertrags erfolgte weitere Nutzung eines Seeufergrundstücks durch den Beklagen in der Zeit vom 1. 1. 2016 bis 1. 3. 2018 statt.
[2] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Der Oberste Gerichtshof sei noch nicht mit der Frage konfrontiert worden, welche Grundlagen bei der Ermittlung des angemessenen „Mietzinses“ heranzuziehen seien, wenn ein Eigentümer für die Nutzung seiner Ufergrundstücke ein neues Seeufer-Bewirtschaftungskonzept ausgearbeitet habe, aus dem sich wegen der geänderten Grenzziehung zwischen Wasserbett und Ufergrund auch andere Flächenmaße als im beendeten Mietvertrag ergeben.
Rechtliche Beurteilung
[3] Entgegen der – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig; der Beklagte vermag keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Zurückweisung der Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[4] 1. Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt nur vor, wenn die Fassung des Urteils so mangelhaft ist, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, wenn das Urteil mit sich selbst im Widerspruch ist oder für die Entscheidung keine Gründe angegeben sind. Nur der gänzliche Mangel der Gründe, nicht aber eine mangelhafte Begründung bildet den Nichtigkeitsgrund (RIS Justiz RS0042206).
[5] Entgegen der Ansicht des Beklagten ist das Berufungsurteil nicht mit einer solchen Nichtigkeit wegen „fehlender Begründungen in den wesentlichen und entscheidenden Fragen dieses Verfahrens“ bzw wegen Vorliegens einer Scheinbegründung behaftet. Vielmehr enthält das Berufungsurteil eine eingehende Begründung, sodass von einer fehlenden Begründung überhaupt nicht die Rede sein kann. Soweit der Beklagte den behaupteten Begründungsmangel auch als wesentlichen Verfahrensmangel geltend macht, liegt dieser aus diesem Grund ebenfalls nicht vor.
[6] 2. Nach ständiger Rechtsprechung können angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht bereits verneint hat, im Revisionsverfahren nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371). Das Berufungsgericht hat sich mit den vom Beklagten behaupteten Verfahrensfehlern des Erstgerichts ausführlich auseinandergesetzt und eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens verneint. Die vom Revisionswerber neuerlich relevierten Fragen des erstinstanzlichen Verfahrens können daher im Revisionsverfahren nicht mehr aufgegriffen werden.
[7] 3.1. Zu den Erfüllungspflichten des Mieters gehört die Rückstellung des Bestandobjekts an den Vermieter. Fälligkeitszeitpunkt für die Rückstellung ist gemäß § 1109 ABGB das Ende des Bestandverhältnisses, also beispielsweise – wie hier – der Endzeitpunkt eines befristeten Vertrags. Der Mieter gerät nicht nur in Schuldnerverzug, stellt er das Bestandobjekt nicht zum Beendigungszeitpunkt an den Vermieter zurück (2 Ob 164/12z mwN); für die Zeit der titellosen Benützung hat der Vermieter Anspruch auf Zahlung eines auf § 1041 ABGB gestützten Benützungsentgelts (vgl RS0030282). Dabei ist – anders als der Beklagte meint – nicht entscheidend, ob der Bestandnehmer, der sich mit der Rückstellung in Verzug befindet, seinerseits einen messbaren Nutzen vom Bestandobjekt hat; allein der Entgang der Nutzungschance des Eigentümers führt zur Verpflichtung zur Zahlung eines angemessenen Benützungsentgelts (RS0019883). Vereitelt ein Bestandnehmer diese Nutzungschance dadurch, dass er das Objekt vertragswidrig nicht zurückstellt und – in welcher konkreten Form auch immer – weiter benutzt, hat er dafür eine angemessene Vergütung zu leisten (1 Ob 39/03x = RS0019883 [T11]; 8 Ob 158/18w mwN).
[8] 3.2. Die Höhe des angemessenen Benützungsentgelts entspricht zwar häufig dem bisher vereinbarten Mietzins. Das schließt aber die Berücksichtigung besonderer Verhältnisse des Einzelfalls – entsprechende Behauptungen und Beweis nach allgemeinen Beweislastregeln vorausgesetzt – nicht aus. So wie durch eine anderweitige Vermietung ein höherer Bestandzins erzielbar sein kann, bildet der bisherige Mietzins auch nicht immer die Untergrenze des erzielbaren oder angemessenen Entgelts (RS0019961).
[9] 3.3. Ebenso wie die Frage, ob ein Entgelt nach den im konkreten Fall gegebenen Umständen angemessen ist, regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat (RS0110750), gilt das auch für die Höhe des angemessenen Benützungsentgelts, das jenem Mietzins entspricht, der bei einer Anmietung als ortsüblich zu zahlen gewesen wäre (RS0019813 [T7]).
[10] 3.4. Das Berufungsgericht hat die Festsetzung des Benützungsentgelts in Höhe des ortsüblichen Bestandszinses von 6.000 EUR im Jahr, der über dem Mietzins des beendeten Bestandverhältnisses liegt, damit begründet, dass sich dieser aus den Parametern des von der Klägerin für den See erstellten Bewirtschaftungskonzepts und – darauf aufbauend – aus den von ihr inzwischen mit sämtlichen (mehr als 300) Mietern des Seeufers neu abgeschlossenen Mietverträgen ergebe. Der von ihr im Jahr 2013 beigezogene Sachverständige habe im Rahmen des Seeufer Bewirtschaftungskonzepts im Vergleichswert-verfahren angemessene Mietzinse (richtig:) abhängig von der Verbauung von 12 EUR bis 24 EUR je m² ermittelt; das von der Klägerin erarbeitete neue Bewirtschaftungskonzept für ihren See sehe einerseits eine Flächenmiete auf Basis eines gemittelten Wasserstands über die vergangenen 33 Jahre und andererseits Mietpreise zwischen 6 EUR und 10 EUR je m² vor. Die Annahme einer gemittelten Wasserstandslinie führe dazu, dass ein Teil der Bestandflächen unter dem derzeitigen Wasserniveau liege. Außerdem seien im Bewirtschaftungskonzept ein Mindestmietzins von 300 EUR und ein maximaler Mietzins von 6.000 EUR vorgesehen.
[11] Für diese Beurteilung spricht, dass die (außerhalb des Wassers gelegene) Bestandfläche des Beklagten (entsprechend dem bis 31. 12. 2015 bestehenden Mietvertrag) 500 m² betrug und selbst, wenn man die Untergrenze des im Vergleichswertverfahren erhobenen Mietzins von 12 EUR je m² ansetzt, 6.000 EUR dem ortsüblich erzielbaren Mietzins für diesen unstrittig weiter genutzten Bereich entsprechen. Auf den Umstand, dass sich aufgrund des neuen Seeufer Bewirtschaftungskonzepts der Klägerin wegen der geänderten Grenzziehung zwischen Wasserbett und Ufergrund bei einer Neuvermietung auch ein anderes Flächenmaß als im beendeten Mietvertrag ergäbe, kommt es demnach gar nicht an.
[12] 4. Gemäß § 1114 ABGB werden Bestandverträge dadurch stillschweigend verlängert, dass der Bestandnehmer das Bestandobjekt über den Endtermin hinaus benützt und der Bestandgeber es dabei bewenden lässt. Die Fortsetzung des Bestandverhältnisses wird durch jedes widersprechende Verhalten einer Partei verhindert, aus dem sich eine ernstliche Ablehnung einer Vertragserneuerung ableiten lässt (vgl RS0020764). Eine solche Erklärung kann bereits vor dem Endtermin, aber nur im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit diesem wirksam abgegeben werden (RS0032945).
[13] Noch vor Beendigung des zwischen den Parteien bestehenden befristeten Mietverhältnisses übermittelte die Klägerin dem Beklagten betreffend den Seeuferstreifen der Entwurf für einen neuen Mietvertrag, wobei entsprechend der im Bewirtschaftungskonzept ermittelten Parameter – abweichend vom bisherigen Mietvertrag – nunmehr eine größere Mietfläche und ein gedeckelter Mietzins von jährlich 6.000 EUR angesetzt wurde. Bereits aufgrund dieses neuen Vertragsanbots hat die Klägerin in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise – wie das Berufungsgericht ohne Fehlbeurteilung ausführte – dem Beklagten zu erkennen gegeben , dass sie keinesfalls bereit ist , den ursprünglichen Vertrag fortzusetzen, in dem ein Mietzins von nur 822,25 EUR vereinbart worden war. Entgegen der Ansicht des Beklagten gab es damit keine Verlängerung des Mietverhältnisses nach Ablauf der Bestandzeit.
[14] 5. Da der Beklagte nach Ablauf des Mietvertrags mit 31. 12. 2015 die Seeuferfläche weiter mieten wollte, kam es zwischen den Parteien zu einer umfangreichen Korrespondenz, die jedoch nicht zu einer Einigung über die neuerliche Miete des vom Beklagten weiterhin genützten Seeuferstreifens führte.
[15] Für die Schlüssigkeit eines Verhaltens ist im Hinblick auf einen rechtsgeschäftlichen Willen nach § 863 ABGB ein strenger Maßstab anzulegen (RS0014146). Dass das Berufungsgericht in der Zeit der Vertragsverhandlungen keinen schlüssig zustande gekommenen Bestandvertrag annahm, ist nicht zu beanstanden. Das Zustandekommen eines Bestandvertrags setzt die Einigung auf den Mietzins und das Bestandobjekt voraus. Der Beklagte vermag nicht darzulegen, warum es während der Dauer der – letztlich gescheiterten – Vertragsverhandlungen zu einer „konkludenten Vertragsverlängerung“ oder zur „schlüssigen Fortführung der bisherigen Bedingungen“ gekommen sein sollte. Auf die von ihm im Zusammenhang mit dem Vertragspunkt im ursprünglichen Mietvertrag, dass die stillschweigende Verlängerung des Vertragsverhältnisses ausgeschlossen ist, angestellten Überlegungen in Bezug auf § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 1 Z 2 KSchG kommt es nicht an.
[16] 6. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
[17] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.