4Ob171/20f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. Dr. Brenn, Hon. Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Hajek Boss Wagner, Rechtsanwälte OG in Eisenstadt, gegen die beklagte und widerklagende Partei S***** Import und Handelsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Stanek Raidl Konlechner Rechtsanwälte OG in Wien, hier wegen 23.929,33 EUR sA (Klage), aus Anlass der „außerordentlichen Revision“ der beklagten Partei auch gegen die Entscheidung über das Zahlungsbegehren (Klage) im Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juli 2020, GZ 1 R 56/20t 34, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Die Verbindung der Verfahren zu AZ 19 Cg 4/19p und AZ 19 Cg 11/19t je des Handelsgerichts Wien wird aufgehoben.
II. Zur „außerordentlichen Revision“ der beklagten Partei gegen das Zahlungsbegehren im Verfahren zu AZ 19 Cg 4/19p des Handelsgerichts Wien (Klage) werden die Akten dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
[1] Am 9. Oktober 2001 schlossen die Streitteile eine Lizenzvereinbarung betreffend das Arzneimittel Dolorex. Aufgrund der Erfordernisse nach der AMG Novelle 2005 stellte der Geschäftsführer der Klägerin am 20. September 2010 im Namen der Klägerin einen Antrag auf Folgezulassung des Arzneimittels in einer geänderten Zusammensetzung; nachträglich erfolgte die Änderung der Bezeichnung des Arzneimittels auf Algofina. Mit Bescheid des BASG vom 22. Dezember 2017 wurde das Arzneimittel Algofina unter der Zulassungsnummer 138036 zugelassen. Mit Bescheid vom selben Tag wurde die Zulassung für Dolorex für erloschen erklärt.
[2] Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage restliche Lizenzgebühr in Höhe von 18.316,11 EUR netto (21.979,33 EUR brutto) sowie den Ersatz der Kosten für die Beiziehung des Wirtschaftsprüfers in Höhe von 1.625 EUR netto (1.950 EUR brutto).
[3] Die Beklagte begehrte mit Widerklage (in Form einer Stufenklage) von der Klägerin Rechnungslegung über die erzielten Einnahmen und die verkauften Stückzahlen aus dem Vertrieb des Arzneimittels Algofina ab 22. Dezember 2017.
[4] Das Erstgericht verband die beiden Rechtssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und gab mit Teilurteil dem Zahlungsbegehren der Klägerin im Ausmaß von 6.557,06 EUR sA sowie dem Rechnungslegungsbegehren der Beklagten (als Widerklägerin) statt.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und ihrem Klagebegehren im Ausmaß von 8.507,06 EUR sA statt; zudem wies es das Widerklagebegehren auf Rechnungslegung ab. Dazu sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands betreffend die Widerklage 30.000 EUR übersteige und die außerordentliche Revision (insgesamt) nicht zulässig sei.
[6] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts sowohl zum Klagebegehren als auch zum Widerklagebegehren richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die dem Obersten Gerichtshof vom Erstgericht vorgelegt wurde.
[7] In Bezug auf das Zahlungsbegehren (Klage) ist die Aktenvorlage an den Obersten Gerichtshof verfehlt.
Rechtliche Beurteilung
Zu I.
[8] Die Verbindung zweier Rechtssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung hat nicht zur Folge, dass deren Streitwerte zusammenzurechnen sind (RIS Justiz RS0037271). Die Verbindung ist für die jeweils getrennt zu beurteilende Rechtsmittelzulässigkeit vielmehr ohne Belang (4 Ob 105/17w).
[9] Der Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht zum Zahlungsbegehren (Klage) entschieden hat, beläuft sich auf 17.372,27 EUR. In diesem Fall richtet sich die Rechtsmittelzulässigkeit nach § 502 Abs 3 iVm § 508 ZPO. Im Hinblick auf die unterschiedliche funktionelle Zuständigkeit zur Entscheidung über die Zulässigkeit der von der Beklagten (und Widerklägerin) in beiden Verfahren (Klage und Widerklage) erhobenen außerordentlichen Revision ist die Aufhebung der Verbindung beider Rechtssachen zweckmäßig.
Zu II.
[10] Nach § 502 Abs 3 ZPO ist die Revision – außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert zwar 5.000 EUR, nicht aber insgesamt 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO – wie hier – für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen ist auch ein außerordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. In einem solchen Fall kann eine Partei nur nach § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Berufungsurteils den – beim Erstgericht (§ 508 Abs 2 erster Satz ZPO) einzubringenden – Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Zulässigkeitsausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde. Ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Diese Vorgangsweise ist auch dann einzuhalten, wenn das Rechtsmittel als „außerordentliches Rechtsmittel“ bezeichnet wurde (RS0109623).
[11] Im Anlassfall hat der Entscheidungsgegenstand, über den das Berufungsgericht zum Klagebegehren entschieden hat, 17.372,27 EUR betragen. Im Hinblick auf die dargelegte Rechtslage hat das Erstgericht den Rechtsmittelschriftsatz zum Klagebegehren dem Gericht zweiter Instanz zur Entscheidung nach § 508 ZPO vorzulegen. Sollte das Erstgericht der Auffassung sein, eine solche Vorgangsweise sei etwa wegen des Fehlens eines ausdrücklichen Antrags nach § 508 ZPO nicht möglich, so wird es der Beklagten einen Verbesserungsauftrag zu erteilen haben.