2Nc32/20h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger und die Hofrätin Dr. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj R***** T*****, geboren am *****, aufgrund der vom Bezirksgericht Graz West verfügten Vorlage des Aktes AZ 81 Ps 36/18h zur Entscheidung gemäß § 111 JN, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Graz West vom 6. August 2020, GZ 81 Ps 36/18h 46, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Traun wird genehmigt.
Text
Begründung:
[1] Am 20. 11. 2018 beantragte der Vater, ihn mit der Mitobsorge für den Minderjährigen zu betrauen. Die Mutter sprach sich dagegen aus. In der Folge trafen die Eltern eine vorläufige Vereinbarung über die gemeinsame Obsorge bis zum 31. 8. 2019 und einigten sich auf ein Kontaktrecht des Vaters. Nach Durchführung einer Tagsatzung zur Erörterung der weiteren Vorgangsweise und Einholung einer Stellungnahme der Familiengerichtshilfe, die sich bis Mai 2020 verzögerte, einigten sich die Eltern in der Tagsatzung vom 8. 7. 2020 wiederum auf eine vorläufige gemeinsame Obsorge, gültig bis 8. 1. 2021, und die Fortsetzung des „gelebten“ Kontaktrechts. Das Gericht trug den Eltern weiters auf, in näher bestimmter Weise Erziehungsberatung in Anspruch zu nehmen. In dieser Tagsatzung stellte sich auch heraus, dass die Mutter mit dem Minderjährigen zwischenzeitig nach Traun verzogen war, weshalb das Bezirksgericht Graz West beschloss, die Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Traun zu übertragen.
[2] Das Bezirksgericht Traun verweigerte die Übernahme unter Hinweis auf den offenen Obsorgeantrag. Daraufhin stellte das Bezirksgericht Graz West seinen Übertragungsbeschluss beiden Elternteilen zu, die kein Rechtsmittel erhoben. In der Folge legte es den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Rechtliche Beurteilung
[3] 1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.
[4] 2. Lehnt dieses Gericht die Übernahme ab, was auch ohne formellen Beschluss geschehen kann und wozu es genügt, dass es seine Weigerung dem übertragenden Gericht kundtut, so ist der Übertragungsbeschluss den Parteien zuzustellen und seine Rechtskraft abzuwarten. Danach ist der Akt dem gemeinsam übergeordneten Gericht zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vorzulegen (RS0128772).
[5] 3. Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN ist stets das Kindeswohl (RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenen und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (8 Nc 2/08y mwN; 10 Nc 18/13y; 9 Nc 10/14s ua).
[6] Offene Anträge hindern eine Übertragung grundsätzlich nicht, doch kann im Einzelfall eine Entscheidung durch das schon bisher zuständige Gericht zweckmäßiger sein, insbesondere wenn dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt oder es sich bereits eingehend mit dem offenen Antrag befasst und dazu Vernehmungen durchgeführt hat, weil die gewonnenen Eindrücke am besten von ihm selbst verwertet werden können (9 Nc 10/14s; RS0047074 [T10]).
[7] 4. Im vorliegenden Fall hat das übertragende Gericht zwar den Obsorgeantrag mit den Eltern erörtert und eine Stellungnahme der Familien und Jugendgerichtshilfe eingeholt, infolge der wiederholten Einigung der Eltern auf eine vorläufige gemeinsame Obsorge war eine nähere Auseinandersetzung mit der Sache aber bisher entbehrlich. Da sich mittlerweile weder das minderjährige Kind noch seine Mutter in Graz aufhalten, ist eine Belassung der Pflegschaftssache beim übertragenden Gericht auch nicht der wirksamen Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes dienlich.
[8] Diese Umstände sprechen dafür, dass eine Verfahrensfortsetzung durch das Bezirksgericht Traun zweckmäßiger ist, weshalb die Übertragung iSd § 111 Abs 2 JN zu genehmigen ist.