6Nc14/20s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon. Prof. Dr. Gitschthaler sowie Univ. Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen R*, geboren am * 2007, und K*, geboren am * 2010, beide *, vertreten durch das Land Tirol (Bezirkshauptmannschaft Schwaz Kinder- und Jugendhilfe, 6130 Schwaz, Franz-Josef-Straße 25) als Kinder und Jugendhilfeträger, AZ 13 Pu 296/17d des Bezirksgerichts Floridsdorf, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 8. Juni 2020, GZ 13 Pu 296/17d 63, gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Schwaz wird genehmigt.
Text
Begründung:
Mit Beschluss vom 8. 6. 2020 (ON 63) übertrug das Bezirksgericht Floridsdorf die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache dem Bezirksgericht Schwaz, das die Übernahme jedoch ablehnte (ON 66). Das Bezirksgericht Floridsdorf legte den Akt – nunmehr nach Eintritt der Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses – zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof vor.
Die Kinder leben bei ihrer Mutter, und zwar – jedenfalls (vgl Beschluss ON 44) – seit März 2019 im Sprengel des Bezirksgerichts Schwaz, wo sie seit 13. 12. 2019 auch hauptwohnsitzgemeldet sind (ON 62). Dennoch verweigerte das Bezirksgericht Schwaz die Übernahme der Pflegschaftssache mit der Begründung, es sei über Anträge der Kinder bzw des Vaters auf Unterhaltserhöhung und Bewilligung von Unterhaltsvorschüssen bzw Unterhaltsherabsetzung noch nicht rechtskräftig entschieden worden; aufgrund der vom Bezirksgericht Floridsdorf „umfangreich“ vorgenommenen Beweisaufnahmen, dessen „Befassung mit dem Akt“ und dessen Erlassung von Unterhaltsbeschlüssen sei davon auszugehen, dass das Bezirksgericht Floridsdorf effizienter geeignet sei, die Pflegschaftssache zu bearbeiten, sei es doch mit dem Unterhaltsverfahren umfassend vertraut.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung der Zuständigkeit ist gerechtfertigt.
1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass „offene Anträge“ nicht grundsätzlich einer Zuständigkeitsübertragung entgegenstehen ( RS0047032 ); vielmehr hängt es von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob die Entscheidung über solche Anträge durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (RS0046929 [T10]). Zu berücksichtigen sind offene Anträge (unabhängig davon, um welche Art des Antrags es sich konkret handelt [6 Ob 16/18g]) dann, wenn zu deren Erledigung das bisher zuständige Gericht effizienter geeignet ist, also etwa dann, wenn das übertragende Gericht bereits unmittelbar Beweise aufgenommen, vielleicht gar schon die Ermittlungen abgeschlossen hat, nicht aber, wenn ein Beweisverfahren noch gar nicht begonnen hat oder sich die Ermittlungen in einem sehr frühen Stadium befinden (stRsp, siehe bloß 6 Ob 16/18g).
2. Im vorliegenden Fall setzte das Bezirksgericht Floridsdorf mit Beschluss vom 27. 3. 2019 (ON 44) die Unterhaltsverpflichtung des Vaters, der in dessen Sprengel lebte und lebt, gegenüber den Kindern nach Durchführung eines Beweisverfahrens, das sich lediglich auf Urkundenbeweise gestützt hatte (vgl AS 17 in Bd II), fest. Diesen Beschluss hob das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht mit Beschluss vom 20. 12. 2019 (ON 52) teilweise auf und trug dem Pflegschaftsgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf, indem es zwar die Unterhaltsfestsetzung der Höhe nach bestätigte, jedoch bemängelte, dass das Bezirksgericht Floridsdorf keine Feststellungen zu vom Vater behaupteten Zahlungen auf seine Unterhaltsverpflichtung vor Beschlussfassung getroffen hatte.
Damit geht aber die Argumentation des Bezirksgerichts Schwaz ins Leere, das Bezirksgericht Floridsdorf sei effizienter geeignet, die Unterhaltssache zu bearbeiten, sei es doch mit dem Unterhaltsverfahren umfassend vertraut. So wie das vom Bezirksgericht Floridsdorf geführte (bisherige) Unterhaltsverfahren ein reines Urkundenverfahren war, wird dies wohl auch hinsichtlich der festzustellenden Zahlungen des Vaters zu gelten haben.
3. Der seit 3. 4. 2020 gerichtsanhängige Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters stützt sich auf dessen Behauptung einer wesentlichen Änderung seines Einkommens, wobei der Vater hiefür mehrere Urkunden vorgelegt hat. Hinsichtlich dieses Antrags ist das Bezirksgericht Floridsdorf bislang nicht tätig geworden.
4. Über die Unterhaltsvorschussanträge der Kinder vom 21. 4. 2020 hat das Bezirksgericht Floridsdorf bereits entscheiden (ON 69 und 70).
5. Damit liegen hier aber insgesamt keine ausreichenden Gründe dafür vor, die Pflegschaftssache nicht an das Bezirksgericht Schwaz zu übertragen, in dessen Sprengel die Kinder nunmehr bereits mehr als (zumindest) 1,5 Jahre leben. Die Übertragung ist daher vom Obersten Gerichtshof als dem den beiden Gerichten zunächst übergeordneten Gericht gemäß § 111 Abs 2 JN zu genehmigen.