JudikaturOGH

9Ob42/20x – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Hon. Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H***** B*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 6.690 EUR sA und Feststellung (2.000 EUR), über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 9. Mai 2019, GZ 21 R 116/19k 21, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Korneuburg vom 21. Februar 2019, GZ 19 C 445/18g 16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das Revisionsrekursverfahren wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger macht im Zusammenhang mit behaupteten „***** Abgasmanipulationen“ der in Deutschland ansässigen Beklagten gegen diese Ansprüche auf Leistung und Feststellung geltend. Er stützt seine beiden Begehren auf Schadenersatz wegen Sittenwidrigkeit, List und Schutzgesetzverletzung. Die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts ergebe sich aus Art 7 Nr 2 EuGVVO. Das schädigende Ereignis sei durch den Kauf und die Übergabe des Pkw in Korneuburg eingetreten, weshalb auch dort der Erfolgsort liege, an dem sich die Schädigung zuerst auswirke.

Die Beklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts, weil der maßgebliche Erstschaden an ihrem Sitz in Deutschland eingetreten sei. Nach dem Klagsvorbringen handle es sich um einen Folgeschaden, der aber keinen Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO begründe.

Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Der vom Kläger geltend gemachte deliktische Schadenersatz begründe nach Art 7 Nr 2 EuGVVO keine Zuständigkeit der österreichischen Gerichte.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge und verwarf die Einreden der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit. Der Erfolgsort im Sinne des Art 7 Nr 2 EuGVVO für Schadenersatzansprüche des Käufers gegen die Kfz Herstellerin mit Sitz in Deutschland wegen Manipulationen von Abgaswerten sei jener Ort, an dem der Käufer das Kfz vom Händler erworben und übergeben erhalten habe. Der in der Vermögensminderung liegende bloße Vermögensschaden des Käufers stelle nämlich keinen Folge , sondern einen zuständigkeitsbegründenden Primärschaden dar. Der Gerichtsstand sei für die Herstellerin, die sich eines österreichischen Vertragshändlers bediene, auch ausreichend vorhersehbar und in Hinblick auf den Abschluss des Kaufvertrags und die Auslieferung des Kfz in Österreich auch sach und beweisnah.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Deliktsgerichtsstand für Klagen von Pkw Käufern gegen die deutsche Herstellerin wegen des Kaufs manipulierter Fahrzeuge bestehe.

In ihrem Revisionsrekurs macht die Beklagte zusammengefasst geltend, dass bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände der Erfolgsort in Deutschland liege.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs der Beklagten zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.

Mit Beschluss vom 23. 9. 2019, 9 Ob 44/19i, unterbrach der Senat das Revisionsrekursverfahren bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren zu C 343/19 und wies in der Begründung darauf hin, dass über den zulässigen Revisionsrekurs nach Einlangen der Vorabentscheidung zu entscheiden sein wird. Nunmehr hat der EuGH mit Urteil vom 9. 7. 2020, C 343/19, VKI , die Vorabentscheidung getroffen. Das Revisionsrekursverfahren ist daher von Amts wegen fortzusetzen.

Zu II.

1. Mit Urteil vom 9. 7. 2020, C 343/19, VKI , hat der EuGH ausgesprochen, dass Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 dahin auszulegen ist, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenerfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet wurden, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden, in diesem letztgenannten Mitgliedstaat befindet. Dazu führte der EuGH aus, dass der geltend gemachte Schaden (nach der Aktenlage) in einer Wertminderung der gekauften Fahrzeuge bestehe, die sich aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis des jeweiligen Fahrzeugs und dessen tatsächlichem Wert aufgrund des Einbaus einer Software, in der die Daten über den Abgasausstoß manipuliert werden, ergebe. Der geltend gemachte Schaden habe sich daher erst zum Zeitpunkt des Erwerbs der fraglichen Fahrzeuge zu einem Preis verwirklicht, der über ihrem tatsächlichen Wert lag, auch wenn diese Fahrzeuge bereits beim Einbau der Software mit einem Mangel behaftet gewesen seien. Ein solcher Schaden, der vor dem Kauf des Fahrzeugs durch den geschädigten Endabnehmer nicht bestanden habe, sei ein Primärschaden und nicht bloß eine mittelbare Folge des ursprünglich von anderen Personen erlittenen Schadens. Es handle sich um keinen reinen Vermögensschaden, weil es um einen Mangel an Sachgütern gehe und der Schaden nicht nur die Verringerung der finanziellen Vermögenswerte einer Person ohne jeden Bezug zu Sachgütern betreffe (Rn 29 bis 35).

2. Der EuGH gelangt somit zum Ergebnis, dass bei Geltendmachung der Wertminderung (des Wertverlustes) aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache (hier: eines mangelhaften Fahrzeugs) aufgrund einer Täuschungshandlung (hier: Verschweigen der Manipulation der Abgaswerte bzw eines wissentlichen Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften) der Primärschaden erst mit dem Erwerb der Sache durch den Geschädigten von einem Dritten eintritt, wobei es gleichgültig ist, ob der Dritte Händler oder privater Verkäufer (eines Gebrauchtwagens) ist. Ein solcher Schaden ist kein reiner Vermögensschaden.

3. Diese Grundsätze gelten auch für den vorliegenden Fall. Daraus folgt, dass sich der Kläger auf den Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 am Erfolgsort in Österreich berufen kann. Die Entscheidung des Rekursgerichts steht damit im Einklang. Dem Revisionsrekurs der Beklagten ist daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Zur Frage der internationalen örtlichen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (RS0035955 [T4]; RS0109078 [T15]), in dem der Kläger obsiegt hat. Besondere Gründe für einen Zuschlag nach § 21 Abs 1 RATG liegen hinsichtlich der Rechtsmittelbeantwortung allerdings nicht vor.

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