4Ob56/20v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. Dr. Brenn, Hon. Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin A* H*, vertreten durch Dr. Manfred Rath, Rechtsanwalt in Graz, gegen die Antragsgegnerin A* B*, vertreten durch Dr. Peter Fürnschuß, Rechtsanwalt in Stainz, wegen Einräumung eines Notwegs, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 25. Februar 2020, GZ 6 R 18/20s 38, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Deutschlandsberg vom 16. Dezember 2019, GZ 101 Nc 2/17h 34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 902,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt und 246 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Antrag der Antragstellerin, ihr die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen, wird abgewiesen.
Text
Begründung:
Die Antragstellerin erwarb 1997 von ihren Eltern zwei Grundstücke schenkungsweise, die vom übrigen Gutsbestand der Eltern bücherlich abgeschrieben wurden. Diese Grundstücke sind nur über einen Weg erreichbar, der nach Osten über die Grundstücke der Antragsgegnerin führt. Diesbezüglich behaupteten die Eltern der Antragstellerin das Bestehen einer (außerbücherlichen) Servitut. Im Zuge der Abschreibung wurde 1997 ein Teilungsplan erstellt, aus dem ein entsprechender Servitutsweg ersichtlich ist. Aufgrund der Behauptung ihrer Eltern und ihrer grundbücherlichen Einsicht in den Teilungsplan ging die Antragstellerin davon aus, dass ihr in Bezug auf die Grundstücke der Antragsgegnerin (bzw deren Rechtsvorgänger) seit 30 Jahren ein Geh- und Fahrrecht zukommt. Die Eltern der Antragstellerin verkauften ihre an die (nunmehrige) Liegenschaft der Antragstellerin im Westen und Südwesten angrenzenden Grundstücke in den Jahren 1974 und 2015 an Dritte. Gestützt auf Ersitzung erhob die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin im Jahr 2014 vor dem Erstgericht eine Klage auf Feststellung einer Servitut und Zustimmung zur Einverleibung. Diese Klage wurde 2015 mit Urteil rechtskräftig abgewiesen.
Die Antragstellerin begehrt die Einräumung eines Notwegs nach dem NWG über einen bereits in der Natur bestehenden Weg. Sie brachte vor, dass sie über keine Zufahrt zu ihren Grundstücken verfüge und ihre Liegenschaft nicht nutzen könne. Da die Antragsgegnerin bereits eine Dienstbarkeit für ein Grundstück eines Dritten eingeräumt habe, überwögen bei Einräumung eines Notwegs die Vorteile der Antragstellerin die Nachteile der Antragsgegnerin. Die von der Antragstellerin für bestehend erachtete Servitut sei für sie völlig überraschend gerichtlich verneint worden.
Die Antragsgegnerin warf der Antragstellerin auffallende Sorglosigkeit vor. Es wäre ihr ua noch möglich gewesen, von ihren Eltern als damaligen Eigentümern der angrenzenden Grundstücke eine andere Zufahrtsmöglichkeit Richtung Westen einzufordern.
Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang . Der Senat hat im ersten Rechtsgang (vgl 4 Ob 232/18y ) den Rechtsstandpunkt des Rekursgerichts gebilligt, dass in unterlassenen Recherchen der Antragstellerin zum Zeitpunkt des Schenkungsvertrags keine relevante (auffallende) Sorglosigkeit liege, weil bereits zu diesem Zeitpunkt das Erfordernis der Erwirkung eines Notwegs bestanden habe. Im zweiten Rechtsgang war nur noch zu klären , ob eine auffallende Sorglosigkeit der Antragstellerin deshalb vorliegt, weil sie es verabsäumt habe, von den Geschenkgebern (ihren Eltern) eine allfällige mögliche Zufahrt einzufordern.
Die Vorinstanzen räumten der Antragstellerin einen Notweg ein. Es wurde ergänzend festgestellt, dass der Antragstellerin und ihren Eltern zum Zeitpunkt des Abschlusses des Schenkungsvertrags 1997 die Herstellung einer Zufahrt zu den geschenkten Grundstücken nur mit einem sehr hohen baulichen und wirtschaftlichen Aufwand möglich gewesen wäre. Die theoretische Zufahrtsmöglichkeit führte durch Wiesen, die nur mit Traktoren zu landwirtschaftlichen Zwecken befahrbar waren. Vor allem wegen der Geländeverhältnisse wäre die Herstellung eines Alternativwegs „überhaupt nur mit einem enormen baulichen und wirtschaftlichen Aufwand“ verbunden gewesen.
Das Rekursgericht ging in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass bei der Frage der Zumutbarkeit einer Alternative auch auf wirtschaftliche Aspekte Bedacht zu nehmen sei, etwa auf die Finanzierbarkeit und den hohen baulichen Aufwand. Es sah im unterbliebenen Bemühen um einen alternativen Zufahrtsweg keine auffallende Sorglosigkeit iSd § 2 NWG der Antragstellerin. Wegen des sehr hohen baulichen und wirtschaftlichen Aufwands für die Errichtung einer derartigen Zufahrtsstraße handle es sich bei Abwägung der wechselseitigen Interessen der Parteien um keine zumutbare Alternative, zumal die Benützung eines bereits vorhandenen Wegs als Notweg keine zusätzliche Belastung zur Folge habe.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs gemäß § 63 Abs 1 AußStrG nachträglich zu, weil nicht ausgeschlossen sei, dass auch eine mit einem sehr hohen baulichen und wirtschaftlichen Aufwand verbundene, aber technisch mögliche Alternative rechtlich als zumutbare Alternative zu qualifizieren sei.
In ihrem dagegen erhobenen Revisionsrekurs beantragt die Antragsgegnerin die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im abweisenden Sinn; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
1. Insoweit die Antragsgegnerin unter Hinweis auf § 25 Abs 1 NWG den Nichtzuspruch ihrer Rekurskosten rügt, ist der Revisionsrekurs absolut unzulässig. Der Ausschluss eines Rekurses gegen Entscheidungen der zweiten Instanz über den Kostenpunkt erstreckt sich auf sämtliche Entscheidungen, mit denen in irgendeiner Form über Kosten abgesprochen wird. Das Gericht zweiter Instanz entscheidet daher in allen mit Kostenansprüchen zusammenhängenden Fragen endgültig (RS0044233; 3 Ob 201/16d).
2. Im Übrigen ist der Revisionsrekurs entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
3.1 Nach § 2 Abs 1 NWG ist das Begehren auf Einräumung eines Notwegs dann unzulässig, wenn der Mangel der Wegverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Die Beurteilung, ob der Eigentümer des notleidenden Grundstücks auffallend sorglos gehandelt hat, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0071051 [T1], RS0071136 [T2; T5; T7]).
3.2 Der Begriff der „auffallenden Sorglosigkeit“ gemäß § 2 Abs 1 NWG entspricht jenem des § 1324 ABGB, dem Antragsteller muss daher grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können (RS0071130). Auffallende Sorglosigkeit wird in der Rechtsprechung immer dann angenommen, wenn die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher Weise vernachlässigt wurde und dieser objektiv besonders schwerwiegende Sorgfaltsverstoß auch subjektiv vorwerfbar ist (RS0071130 [T2]). Der schuldlose und damit schutzwürdige Erwerber oder Eigentümer einer Liegenschaft soll geschützt werden (RS0071074).
3.3 Auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers kann dann vorliegen, wenn der Erwerber bei vorherigem Bemühen um die Erlangung einer Wegeverbindung oder durch Erkundigungen eine an die Stelle der Begründung eines Notwegs tretende zumutbare Alternative zur Herstellung der (die ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung seiner Liegenschaft erst ermöglichenden) Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz hätte in Erfahrung bringen können, wenn es ihm also vor dem Erwerb der Liegenschaft tatsächlich möglich gewesen wäre, den Wegmangel zu verhindern (RS0118156).
3.4 Bereits im ersten Rechtsgang hat der Senat zu 4 Ob 232/18y im Sinne gesicherter Rechtsprechung ( RS0070932 ) darauf abgestellt, ob eine zumutbare Alternative zum Notweg vorliegt. Auch die Frage der Zumutbarkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RS0121872 [T1]).
3.5 Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass es sich beim (nur theoretisch) möglichen Alternativweg wegen des sehr hohen baulichen und wirtschaftlichen Aufwands um keine zumutbare Alternative gehandelt habe, hält sich im Rahmen des Beurteilungsspielraums und bedarf keiner Änderung durch gegenteilige Sachentscheidung.
3.6 Das Rechtsmittel argumentiert nur mit der theoretischen Möglichkeit einer Wegalternative, setzt sich aber nicht näher damit auseinander, ob es für die Antragstellerin eine zumutbare Alternative gegeben hätte. Der Antragsgegnerin gelingt es damit nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.
4. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten in dritter Instanz gründet sich auf § 25 Abs 1 NWG. Eine Kostenersatzpflicht trifft nur den Eigentümer des notleidenden Grundstücks (vgl RS0071335 ; 8 Ob 91/14m ).