JudikaturOGH

7Ob91/20p – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon. Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L* K*, geboren am * 2006, in Obsorge der sowie vertreten durch die Mutter A* K*, diese vertreten durch Dr. Franz Rieß, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, Vater G* P*, wegen Kontaktrechts, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Rekursgericht vom 3. März 2020, GZ 6 R 13/20h 258, mit dem der Rekurs des Kindes teilweise zurückgewiesen und im Übrigen der Beschluss des Bezirksgerichts Mattighofen vom 11. Dezember 2019, GZ 9 Ps 79/12p 248, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich des bereits als unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten hat:

„Der Antrag des Vaters G* P* auf Einräumung eines Kontaktrechts zu seinen Kindern F*, A*, M* und L* K* wird abgewiesen.“

Der mj L* K* hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Antragsteller ist der außereheliche Vater der mj F* (geboren am * 2003), A* und M* (beide geboren am * 2005) und L* (geboren am * 2006) K*.

Die Eltern haben sich im Herbst 1998 kennengelernt, sind im Jahr 1999 eine Beziehung eingegangen und lebten bis 2006 in Lebensgemeinschaft. Die Beziehung der Eltern wies in den letzten Jahren ihres Bestehens vermehrt psychosoziale Belastungsfaktoren durch elterliche Differenzen, Spannungen und Streitigkeiten auf. Sie war von verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen und Übergriffen des Vaters auf die Mutter geprägt. Ab 2006 hatte die Kinder- und Jugendhilfe Kontakt zur Mutter und bemühte sich um die Etablierung eines regelmäßigen Kontakts zum Vater.

Das Erstgericht räumte dem Vater im Jahre 2011 ein begleitetes 14 tägiges Kontaktrecht im Ausmaß von drei Stunden ein. Dennoch fanden in weiterer Folge keine Kontakte des Vater zu seinen Kindern statt.

Mit Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 29. 11. 2010 wurde der Vater schuldig erkannt, die Mutter fortgesetzt widerrechtlich beharrlich in einer Weise verfolgt zu haben, die geeignet war, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen. Zudem wurde der Vater einer Körperverletzung zum Nachteil der Mutter schuldig erkannt und zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten verurteilt. Der Vater befand sich bis Oktober 2012 in Haft. Einen vom Vater nach der Haftentlassung gestellten Kontaktrechtsantrag wies das Erstgericht im Jahre 2015 ab. Zuletzt wurde der Vater wegen fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen und des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, welche er 2016 verbüßte.

Die Kinder leben im Haushalt der Mutter. Zum Vater besteht kein Kontakt. Die Mutter ist fähig, die Bedürfnisse der Kinder zu erkennen und diesen entsprechend zu handeln. Sie leidet an keiner psychischen Störung, welche die Erziehungsfähigkeit ausschließen würde. Ihre Persönlichkeit ist durch eine durchwegs positive Lebenseinstellung gekennzeichnet, wodurch sie auch negativen Erlebnissen eine positive Seite abgewinnen kann. Sie neigt dazu, (kleine) Charakterschwächen zu leugnen und sich in ein positives Licht zu stellen. Sie ist sehr selbstsicher und extrovertiert, wenig ängstlich und sozial nicht immer angepasst. Die Mutter hat eine positive und sehr starke Beziehung zu allen vier Kindern. Diese haben sehr hohe Werte auf den Skalen Kohäsion, Identifikation und Autonomieerleben was die Mutterbeziehung betrifft und unauffällige bzw geringe Werte auf den „Risikoskalen“ in Bezug auf die Mutter. Die Bindungstoleranz bei der Mutter, die klar und offen angibt, einen Kontakt der Kinder zum Vater nicht zu unterstützen, ist unterdurchschnittlich ausgeprägt.

Auch der Vater leidet an keiner schweren Persönlichkeitsstörung, welche die Erziehungsfähigkeit ausschließen würde. Die spontane Begeisterungsfähigkeit bei positiven Wahrnehmungen ist bei ihm auffallend gering, die sensorische Erregbarkeit und die motorische Aktivierbarkeit sind unteraktiviert. Der Vater neigt dazu, sich selbst in ein positives Licht zu stellen und (kleine) Charakterschwächen zu leugnen. Er ist angepasst, pünktlich und zuverlässig. Die Beziehungsqualität zum Vater ist genau so wie die Identifikation mit dem Vater bei allen vier Kindern weit unterdurchschnittlich ausgeprägt. Der Vater ist grundsätzlich in der Lage, Bedürfnisse Anderer zu erkennen und diesen entsprechend zu handeln. Alle vier Kinder lehnen den Vater massiv ab. Sie erlebten den Vater ihnen gegenüber als ablehnend und gaben an, keinen Kontakt zum Vater haben zu wollen. Sie begründeten ihre Entscheidung mit Konflikten, die über die üblichen Konflikte hinausgehen, von Bestrafungen und davon, in Paarkonflikte der Eltern involviert gewesen zu sein. An Grenzüberschreitungen des Vaters berichteten sie von „Watschen“, lautem Schreien und Auseinandersetzungen des Vaters mit der Mutter. Der Wille, jeden – auch telefonischen – Kontakt zum Vater abzulehnen, ist bei allen vier Kindern stabil, zielorientiert und intensiv. Die Willensbildung erfolgte ernsthaft und selbständig. Die familiendynamische Situation und die Involvierung der Kinder in den Paarkonflikt wirken verstärkend. Die Minderjährigen haben wenig Feinfühligkeit oder elterliche Sensitivität durch den Vater erfahren; bislang haben sie keine Möglichkeit erhalten, ein positiveres Vaterbild zu generieren. Wenngleich die Elterndiskrepanz hoch ist, ist jedoch bislang noch keine Entfremdung eingetreten.

Ein regelmäßiger persönlicher Kontakt gegen den geäußerten Kindeswillen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit das Vertrauen der Kinder in Behörden und Hilfsangebote erschüttern. Aus psychologischer Sicht wäre es jedoch zur Vermeidung psychischer Belastungen wichtig und sinnvoll, eine zumindest neutrale Vater-Kind-Beziehung herzustellen und einige positive Ankererlebnisse zu schaffen, wozu mittelfristig ein begleiteter Kontakt angebahnt werden sollte. Der Vater müsste zur Vorbereitung dieses Termins, insbesondere zum Umgang mit Ablehnung, Handlungsmöglichkeiten/Strategien in schwierigen Situationen und Schaffen von Ankererlebnissen zumindest sechs Einheiten einer Elternberatung in Anspruch nehmen.

Der Vater beantragte zur Wiederherstellung der Beziehung zu seinen Kindern ein 14-tägiges Kontaktrecht jeweils samstags von 13:00 Uhr bis 18:00 Uhr.

Die Mutter sprach sich ebenso wie die Kinder gegen ein Kontaktrecht aus. Der Vater habe der Mutter und den Kindern Gewalt angetan. Die Meinung der Kinder, ihren Vater nicht sehen zu wollen, sei zu respektieren.

Das Erstgericht wies die Kontaktrechtsanträge betreffend F*, A* und M* gestützt auf § 108 AußStrG – unbekämpft – ab (Punkt 1.). Es trug dem Vater den Besuch von 6 Einheiten einer Elternberatung auf (Punkt 2.) und räumte ihm danach einen einmaligen begleiteten Kontakt zu L* in der Dauer von einer Stunde ein (Punkt 3.). Es war rechtlich der Ansicht, dass dieser vorbereitete und geschützte Kontakt ein Ankererlebnis für eine neutrale Vater-Kind-Beziehung schaffen könne.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Sohnes L* gegen die Einräumung des einmaligen Kontaktrechts nicht Folge. Es war der Rechtsansicht, dass diesem Kind damit ermöglicht werde, sich ein eigenes Bild von dem ihm bisher ausschließlich aus Erzählungen bekannten Vater zu machen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil dieser speziellen Kontaktrechtsregelung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Sohnes L* mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Abweisung des Kontaktrechtsantrags. Hilfsweise stellte das Kind auch einen Aufhebungsantrag.

Der Vater erstattete keine – ihm freigestellte – Revisionsrekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.

1. Das Recht auf persönlichen Kontakt zwischen Eltern und Kindern ist zwar ein allgemein anzuerkennendes Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung, das aber im Konfliktfall gegenüber dem Wohl des Kindes zurückzustellen ist, wenn die nachteiligen Auswirkungen für das Kind klar jenes Maß überschreiten, das als Folge einer zerrütteten Familienbeziehung ganz allgemein in Kauf genommen werden muss (vgl RS0048068, RS0047777).

2.1. Lehnt ein Minderjähriger, der das 14. Lebensjahr bereits vollendet hat, ausdrücklich die Ausübung der persönlichen Kontakte ab und bleiben eine Belehrung über die Rechtslage und darüber, dass die Anbahnung oder Aufrechterhaltung des Kontakts mit beiden Elternteilen grundsätzlich seinem Wohl entspricht, sowie der Versuch einer gütlichen Einigung erfolglos, so ist nach § 108 AußStrG der Antrag auf Regelung der persönlichen Kontakte ohne weitere inhaltliche Prüfung abzuweisen und von der Fortsetzung der Durchsetzung abzusehen. Diese Rechtslage kam betreffend die bereits mündigen minderjährigen Geschwister des Sohnes L* zum Tragen und führte diesen gegenüber zur Abweisung der Kontaktrechtsanträge des Vaters.

2.2. Wenn auch § 108 AußStrG auf ein noch nicht 14 jähriges Kind, wie hier den mj L*, keine Anwendung findet, kommt dennoch der Verweigerung des Kontakts mit dem Vater ein gewisses Gewicht bei der Beurteilung zu, inwieweit gegen dessen feststehenden Willen die Ausübung eines Kontaktrechts ermöglicht werden soll. Die Mündigkeit bildet nämlich keine starre Grenze für die Beachtlichkeit der Verweigerung der persönlichen Kontakte durch Minderjährige. Diese ablehnende Einstellung zum Kontaktrecht hat mit zunehmendem Alter größeres Gewicht (vgl RS0047981 [T9]) und zwar namentlich dann, wenn diese einem ernstlichen, unbeeinflussten Willen des Kindes entspricht und dafür plausible Gründe zu erkennen sind. Dies trifft im vorliegenden Fall zu:

3. Der Sohn L* hat seine Mündigkeit beinahe erreicht. Seine ablehnende Haltung gegenüber Kontakten zum Vater beruhte auf einer ernsthaften und selbständigen Willensbildung. Die familiendynamische Situation und die Involvierung der Kinder in den Paarkonflikt der Eltern verstärken nachvollziehbar diese Einstellung. Der Sohn hatte bislang keine Möglichkeit, ein positives Vaterbild zu generieren, wozu nicht zuletzt der Vater selbst beigetragen hat, blieb doch ein im Jahr 2011 eingeräumtes Kontaktrecht in der Folge ungenutzt. Durch den von den Vorinstanzen gegen seinen erklärten Willen eingeräumten, gegebenenfalls erzwungenen – einmaligen und einstündigen – Kontakt zu dem ihm bislang unbekannten Vater müsste L* eine für ihn nicht verständliche Ungleichbehandlung gegenüber seinen Geschwistern miterleben, die sein Vertrauen in Behörden und Hilfsangebote verständlicherweise erschüttern würde. Unter diesen Umständen muss die damit beabsichtigte, nach den gegebenen Umständen wohl auch wenig wahrscheinliche Möglichkeit eines positiven Ankererlebnisses der künftig eigenen Entscheidung des ehest mündigen Kindes überlassen bleiben.

4.1. Aus den dargestellten Gründen ist in Stattgebung des Revisionsrekurses der Kontaktrechtsantrag auch gegenüber dem mj L* abzuweisen.

4.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 107 Abs 5 AußStrG.

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