10Ob29/20t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen J*, über den Revisionsrekurs der eingetragenen gesetzlichen Erwachsenenvertreterin K*, vertreten durch Mag. Helmut Kröpfl, Rechtsanwalt in Jennersdorf, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 28. April 2020, GZ 20 R 32/20k 39, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Güssing vom 2. März 2020, GZ 5 P 353/18k 24, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Revisionsrekurswerberin (eine Tochter der Betroffenen) wurde am 4. 2. 2020 als gesetzliche Erwachsenenvertreterin für die Bereiche nach § 269 Abs 1 Z 1 bis 8 ABGB im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) registriert. Zu diesem Zeitpunkt lag das ärztliche Gutachten vom 24. 2. 2020 noch nicht vor. Auf dem Konto der Betroffenen waren seit 2013 ihr Sohn und eine andere Tochter zeichnungsberechtigt gewesen. Die gesetzliche Erwachsenenvertreterin entzog diese Zeichnungsberechtigung. Die Betroffene hatte im November 2019 ihren Wunsch geäußert, von der zeichnungsberechtigten Tochter vertreten zu werden, sollte eine Vertretung notwendig sein.
[2] Das Erstgericht ordnete die Beendigung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung an und leitete das Verfahren zur Überprüfung, ob eine Erwachsenenvertretung benötigt werde, ein.
[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der eingetragenen gesetzlichen Erwachsenenvertreterin nicht Folge. Es ließ den Revisionsrekurs mangels gesicherter höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den rechtlichen Folgen bei Mängeln des Bestellungsakts (Registrierung) bei der gesetzlichen Erwachsenenvertretung sowie zur Frage, ob eine eingeräumte Zeichnungsberechtigung auf einem Konto (Vollmacht gemäß § 1002 ABGB) der Bestellung eines gesetzlichen Erwachsenenvertreters entgegenstehe, zu.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der nicht beantwortete Revisionsrekurs der eingetragenen gesetzlichen Erwachsenenvertreterin ist entgegen diesem nach § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
[5] Die gesetzliche Erwachsenenvertretung ist in den §§ 268 ff ABGB geregelt.
[6] Die Vertretungsbefugnisse des gesetzlichen Erwachsenenvertreters können nach § 269 Abs 1 ABGB folgende Bereiche betreffen: 1. Vertretung in Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, 2. Vertretung in gerichtlichen Verfahren, 3. Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten, 4. Abschluss von Rechtsgeschäften zur Deckung des Pflege und Betreuungsbedarfs, 5. Entscheidung über medizinische Behandlungen und Abschluss von damit im Zusammenhang stehenden Verträgen, 6. Änderungen des Wohnortes und Abschluss von Heimverträgen, 7. Vertretung von nicht in Z 5 und 6 genannten personenrechtlichen Angelegenheiten sowie 8. Abschluss von nicht in Z 4 bis 6 genannten Rechtsgeschäften.
[7] Die gesetzliche Erwachsenenvertretung ist nach § 268 Abs 1 ABGB ausgeschlossen, wenn die zu vertretende volljährige Person für die betreffende Angelegenheit bereits einen Vertreter hat (Z 2) oder keinen solchen wählen kann oder will (Z 3). Nach den Gesetzesmaterialien kann es sich bei dem Vertreter um einen Vorsorgebevollmächtigten, um einen gewählten Erwachsenenvertreter oder um einen Kurator handeln (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 41).
[8] Nach übereinstimmender Meinung im Schrifttum wird die gesetzliche Erwachsenenvertretung auch durch eine gewöhnliche Vollmacht im Sinn der §§ 1002 ff ABGB ausgeschlossen, welche die schutzberechtigte Person vor dem Verlust der Entscheidungsfähigkeit erteilt hatte ( Schauer in Deixler Hübner/Schauer , Handbuch Erwachsenenschutzrecht Rz 4.54; Weitzenböck in Schwimann/Kodek , Praxiskommentar ABGB 5 § 268 Rz 6; Barth/Maier in Barth / Ganner , Handbuch des Erwachsenenschutzrechts 3 695).
[9] Zur vom Rekursgericht gestellten Frage, ob und in welchem Umfang eine auf einer gewöhnlichen Vollmacht beruhende Vertretungsbefugnis, die lediglich einen Teilbereich des Tatbestands nach § 269 Abs 1 Z 3 ABGB abdeckt, wie die Zeichnungsberechtigung auf einem Konto, eine gesetzliche Erwachsenenvertretung in diesem Bereich ausschließt, finden sich folgende Meinungen:
[10] Schauer (Handbuch Erwachsenenschutzrecht Rz 4.55) sieht die denkbare Lösung, dass sich die Vertretungsbefugnis des nächsten Angehörigen auf die nicht bereits von der bestehenden Vertretungsbefugnis abgedeckten Teilbereiche beschränkt, durch eine klare Wertungsentscheidung des Gesetzgebers verhindert. Die einzelnen Tatbestände des § 269 Abs 1 ABGB beruhten auf dem Konzept des Typenzwangs und könnten nicht für Teilbereiche, sondern nur jeweils in vollständigem Umfang in Anspruch genommen werden. Für jene Bereiche, in denen Vertretungsbedarf besteht, muss seiner Ansicht nach ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt werden, sollte die schutzberechtigte Person die bestehende Vertretungsbefugnis nicht widerrufen.
[11] Nach Weitzenböck in Schwimann/Kodek § 268 Rz 6 kann der Wirkungsbereich nach § 269 Abs 1 Z 3 ABGB nicht eingetragen werden, wenn die zu vertretende Person vor Verlust ihrer Entscheidungsfähigkeit die Zeichnungsberechtigung für ihr Bankkonto erteilt hat.
[12] Barth/Maier (Handbuch des Erwachsenenschutzrechts 3 694) verweisen auf das in § 240 Abs 2 ABGB zum Ausdruck gebrachte, für jede Form der Erwachsenenvertretung geltende Subsidiaritätsprinzip. Nach den Gesetzesmaterialien zu § 269 ABGB solle an den einzeln angeführten Wirkungsbereichen festgehalten werden. Um widerstreitende Erklärungen von Erwachsenenvertretern mit deckungsgleichen Wirkungsbereichen zu verhindern, könnten nicht Ausschnitte der in den Z 1 bis 8 angeführten Bereiche als zum Wirkungsbereich gehörig gebildet werden.
[13] Eine abschließende Auseinandersetzung mit diesem Problem erübrigt sich im vorliegenden Einzelfall. Das Rekursgericht hat sich in seiner rechtlichen Beurteilung den Lehrmeinungen angeschlossen, die eine gesetzliche Erwachsenenvertretung für den Teilbereich des § 269 Abs 1 Z 3 ABGB bei Bestehen einer Zeichnungsberechtigung zugunsten einer bestimmten Person ausschließen. Es verwies außerdem auf den Clearingbericht. In diesem habe die Betroffene klar deponiert, dass sie sich für den Fall, dass eine Vertretung nötig werden sollte, als Vertreterin ihre zeichnungsberechtigte Tochter wünsche. Nach der Einschätzung im Clearingbericht gäbe es auch keine konkreten Angelegenheiten, welche nicht ohnehin durch die subsidiäre Hilfe dieser Tochter und des sonstigen familiären Umfelds erledigt werden könne.
[14] Diese Beurteilung der zweiten Instanz wird im Revisionsrekurs der gesetzlichen Erwachsenenvertreterin nicht bekämpft. Insbesondere das Subsidiaritätsprinzip wird überhaupt nicht angesprochen. Zur Notwendigkeit der gesetzlichen Erwachsenenvertretung verweist die Revisionsrekurswerberin lediglich auf angebliche finanzielle Ungereimtheiten bei der Kontoführung. Diese konnten jedoch – wie schon zuvor in einem eingestellten Vorverfahren – mangels Vorlage der angebotenen Urkunden nicht festgestellt werden. Der im Revisionsrekurs enthaltene Verweis auf Ausführungen im Rekurs ist unzulässig (RS0007029; RS0043616).
[15] Da jene rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts, die das erzielte Ergebnis trägt, nicht wirksam bekämpft wurde, ist die im Revisionsrekurs behandelte Frage, ob der Mangel bei der Registrierung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung rechtlich nicht mehr relevant war oder durch die nachträgliche Vorlage eines ärztlichen Gutachtens geheilt wurde, nicht zu beantworten.