8Ob42/20i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H* R*, 2. J* R*, 3. M* R*, ebendort, alle vertreten durch Draxler Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei B* S*, vertreten durch Dr. Franz Linsinger, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau, wegen Feststellung und Leistung (Interesse 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. Oktober 2019, GZ 53 R 156/19a 31, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 10. Mai 2019, GZ 5 C 47/17w 27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 4.002 EUR (darin 392,66 EUR USt und 1.645,65 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Kläger und die Beklagte sind Eigentümer aneinander grenzender bebauter Grundstücke. Der Erstkläger ist Alleineigentümer der EZ *4 mit den Grundstücken 342/5 und 345/3, die Zweit- und Drittkläger, bei denen es sich um Schwester und Schwager des Erstklägers handelt, sind je zur Hälfte Eigentümer der EZ *3 mit den Grundstücken 342/4, jeweils des Grundbuchs des Erstgerichts. Im Eigentum der Beklagten steht die EZ *0 mit den Grundstücken 344 und 355/1.
Die Streitteile haben ihre Liegenschaften in den Jahren 2005 (Kläger) und 2007 (Beklagte) jeweils durch Schenkung von ihren Eltern bzw Schwiegereltern übertragen erhalten. Davon ausgenommen ist das Grundstück Nr 345/3 des Erstklägers, das er erst im Jahre 2011 von der Beklagten gekauft hat.
Über die Grundstücke der Streitteile verläuft ein Abwasserkanal, der aufgrund einer im Jahre 1991 geschlossenen schriftlichen Vereinbarung ihrer Rechtsvorgänger errichtet wurde. Der Kanal beginnt auf dem Grundstück der Beklagten und führt anschließend über die Grundstücke 345/3 und 342/5 des Erstklägers sowie 342/4 der Zweit- und Drittkläger zum öffentlichen Gut.
Die Vereinbarung über die Errichtung des Kanals hat folgenden für das Verfahren maßgeblichen Wortlaut:
„ Vereinbarung
abgeschlossen zwischen den Ehegatten (...)(Rechtsvorgänger der Klagsseite) und den Ehegatten (...) (Rechtsvorgänger der Beklagtenseite) andererseits, über die Herstellung eines Hausanschlusskanals für das neue Bauernwohnhaus des (...) gutes, zu nachstehenden Bedingungen:
I.
Die Ehegatten (...) (Klagsseite) gestatten den Ehegatten (...) (Beklagtenseite) die Verlegung eines Abwasserkanals entlang der ostseitigen bzw südseitigen Grundgrenze der o.a. Parzellen. (...)
II.
Dieser Hausanschlusskanal ist im Bereich der Parzellen der Ehegatten (..., Klagsseite) mit 2 Schächten herzustellen. Wo diese Schächte errichtet werden, wird gesondert vereinbart. Diese Schächte sollen dazu dienen, dass die dzt. Grundeigentümer bzw deren Rechtsnachfolger im Besitze dieser Liegenschaften jederzeit kostenlos an diesen Kanal anschließen können (...).
IV.
Die Ehegatten (..., Klagsseite) gestatten den Ehegatten (..., Beklagtenseite) bzw deren Rechtsnachfolger die o.a. Grundstücke zu betreten, um Reparatur- bzw Instandhaltungsarbeiten durchzuführen. Die Ehegatten (..., Klagsseite) bzw deren Rechtsnachfolger übernehmen keinerlei Haftung für diesen Hauskanal im Bereich ihrer Liegenschaft. “
Im Jahre 1991 befand sich auf der herrschenden Liegenschaft lediglich das „neue Bauernwohnhaus“, dessen Abwässer wie vereinbart in den neu errichteten Kanal geleitet wurden.
In den Jahren 1999/2000 errichteten die Eltern der Beklagten daneben auf demselben (erst später bücherlich geteilten) Grundstück ein sogenanntes Austragswohnhaus. Auch die Abwässer dieses Hauses werden seit seiner Fertigstellung in den streitgegenständlichen Kanal geleitet. Die Kläger haben davon nach den (in zweiter Instanz bekämpften) Feststellungen erst seit 2007 Kenntnis.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Rechtsvorgänger der Streitteile im Jahre 1991 bei Abschluss der Vereinbarung über den Kanal darüber gesprochen haben, dass außer dem Bauernwohnhaus zumindest ein weiteres Haus oder Objekt der Beklagtenseite angeschlossen werden soll. Es steht auch nicht fest, dass sie den Kanalanschluss des Austragshauses wahrgenommen haben.
In dem im Jänner 2011 geschlossenen Kaufvertrag zwischen Erstkläger und Beklagter über das Grundstück Nr 345/3 ist (auszugsweise) festgehalten:
„ Über das Kaufobjekt Grundstück Nr. 345/3 führt weiters auch eine Kanalleitung. Eine Verlegung der Kanalleitung hat jedenfalls nicht auf Kosten der Verkäuferin (...) zu erfolgen und ist es ausschließlich Angelegenheit des Käufers (...).
Die Reparatur- und Instandhaltungskosten am Kanal sind nicht vom Käufer, sondern weiterhin von den Eigentümern bzw Benützern des Kanals zu übernehmen... “
Die Kläger begehren (zusammengefasst) die Feststellung, dass die Beklagte durch Einleitung der Abwässer des Austragshauses in den streitgegenständlichen Kanal unzulässig in ihr jeweiliges Eigentum eingegriffen habe, sowie die Abtrennung der Zuleitung und künftige Unterlassung dieser Nutzung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
In seiner rechtlichen Begründung kam es zu dem Ergebnis, dass die Erweiterung der nur für Zwecke des neuen Bauernwohnhauses vereinbarten Nutzung des Kanals auf die Ableitung der Abwässer eines weiteren Gebäudes zwar von der ursprünglichen Vereinbarung nicht umfasst gewesen sei, aber von den Klägern durch jahrelange bewusste Duldung schlüssig genehmigt wurde.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Kläger Folge und änderte die angefochtene Entscheidung im zur Gänze klagsstattgebenden Sinn ab.
Rechtlich billigte es die Auffassung, dass die Vereinbarung aus dem Jahre 1991 eine gemessene Servitut enthalte, die sich nur auf die Einleitung der Abwässer des damals projektierten Gebäudes beschränkt habe. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts reiche das längere Stillschweigen der Kläger noch nicht aus, um eine Dienstbarkeit auch für die Zwecke des weiteren Gebäudes schlüssig zu begründen. Durch eine allzu großzügige Annahme einer schlüssigen Zustimmung könnten die zeitlichen Voraussetzungen für eine Ersitzung in unzulässiger Weise umgangen werden.
Über Antrag der Beklagten nach § 508a ZPO erklärte das Berufungsgericht die ordentliche Revision für zulässig, weil eine unrichtige Lösung der Rechtsfrage der schlüssigen Genehmigung der Erweiterung der Dienstbarkeit möglich erscheine.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil das rechtliche Ergebnis des Berufungsgerichts schon im Hinblick auf die Anspruchsgrundlage einer Überprüfung bedarf. Das Rechtsmittel ist dementsprechend auch berechtigt.
1. Es ist schon auf den von den Vorinstanzen bisher nicht beachteten Aspekt einzugehen, dass der Erstkläger sich bezüglich seines Grundstücks Nr 345/3, das er erst im Jahre 2011 von der Beklagten gekauft hat, überhaupt nicht auf die Servitutsvereinbarung aus dem Jahre 1991 berufen kann.
Dieses Grundstück war vor dem Verkauf ein Teil der herrschenden Liegenschaft und damit nicht servitutsbelastet. Die Beklagte war als Eigentümerin zur uneingeschränkten Nutzung dieses Grundstücks und des darin verlaufenden Kanals berechtigt.
Die vom Erstkläger nach dem Eigentumsübergang zu duldenden Leitungsrechte ergeben sich daher nicht aus der Servitutsvereinbarung von 1991, sondern nur aus dem Kaufvertrag des Jahres 2011. Mit diesem Kaufvertrag wurde in Bezug auf dieses Grundstück – wenn auch nicht ausdrücklich so im Vertragstext bezeichnet – erstmals eine Dienstbarkeit begründet.
Der Kaufvertrag enthält keine Einschränkung bezüglich der Anzahl von Anschlüssen auf der herrschenden Liegenschaft. Es wird im Gegenteil in der Vereinbarung über die Erhaltungskosten des Kanals darin im Plural von „den Benützern“ gesprochen. Dem Kläger war im Jahre 2011 jedenfalls durch Erkundigung erkennbar, dass auch die Abwässer des sogenannten Austragwohnhauses in den Kanal abgeleitet werden. Der Erstkläger hat diese Nutzung des Kanals, soweit er auf seinem Grundstück Nr 345/3 gelegen ist, daher schon aufgrund des Kaufvertrags zu dulden.
Der weitere Fluss der Abwässer vom Grundstück Nr 345/3 auf das benachbarte Grundstück Nr 342/5 derselben EZ *4, das der Erstkläger von seinen Eltern geschenkt erhalten hat, erfolgt innerhalb seiner eigenen Liegenschaft. Der Erstkläger kann sich gegenüber der Beklagten nach Treu und Glauben bei dieser Sachlage nicht darauf berufen, dass er die Weiterleitung der Abwässer, deren Fluss er auf dem ersten Grundstück aufgrund des Kaufvertrags obligatorisch zu dulden hat, auf dem benachbarten Grundstück verbieten könne.
Unabhängig davon, ob die ursprüngliche Vereinbarung überhaupt im Sinne des Klagsvorbringens beschränkt war, wozu im Folgenden Stellung genommen wird, ist das Erstgericht aufgrund dieses Sachverhalts zumindest bezüglich des Erstklägers zu Recht von einer schlüssigen Genehmigung der Ableitung der Abwässer in dem im Jahre 2011 tatsächlich ausgeübten Umfang ausgegangen.
2. Die Zweit- und Drittkläger können im Unterschied zum Erstkläger als Einzelrechtsnachfolger der ursprünglichen Eigentümer ihren Klagsanspruch auf die Vereinbarung über die Einräumung der Dienstbarkeit der Abwasserleitung aus dem Jahre 1991 stützen.
2.1. Auf die vom Berufungsgericht für erheblich erachtete Rechtsfrage kommt es für das rechtliche Ergebnis hier allerdings nicht an.
Der aufrechte Bestand der Dienstbarkeit der Führung eines Abwasserkanals über die Grundstücke der Zweit- und Drittkläger ist im Verfahren ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass der Kanal in der Natur in einem vom Konsens der Streitteile umfassten, technisch einwandfreien Zustand und Verlauf vorhanden ist.
Die Rechtsfrage, ob eine Servitut durch schlüssiges Verhalten begründet wurde, insbesondere durch die stillschweigende Duldung einer kostspieligen Investition, stellt sich unter diesen Umständen nicht. Fraglich ist vorweg nur, ob die Beklagte eine unzulässige Ausweitung der Servitut vorgenommen hat, indem sie das vorhandene Kanalrohr nicht nur zur Ableitung der Abwässer des ursprünglich auf der herrschenden Liegenschaft errichteten Hauses, sondern eines weiteren, dort erst später erbauten, Austragshauses benützt.
Für diese Beurteilung kommt es darauf an, ob sich die konkret festgestellte Benützung noch innerhalb der vertraglich definierten Grenzen hält oder nicht.
3. Da eine mündliche Absprache und ein konkreter Parteiwille nicht festgestellt werden konnten, kann dies nur durch die Auslegung der schriftlichen Vereinbarung beantwortet werden und bildet eine Rechtsfrage (RIS Justiz RS0044298; RS0017911).
3.1. Grundsätzlich ist die Auslegung des Wortlauts einer Erklärung nach § 914 ABGB am Empfängerhorizont zu messen, wobei die aus der Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen nicht danach zu beurteilen sind, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage durch einen redlichen und verständigen Menschen zu verstehen war. Dabei ist auf konkrete Umstände, etwa den Geschäftszweck und die Interessenlage, Bedacht zu nehmen ( Rummel in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 914 ABGB Rz 8 f mwN; RS0113942; RS0014160 ).
3.2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze vermag die Auslegung der zwischen den Eltern der Streitteile geschlossenen Servitutsvereinbarung durch die Vorinstanzen nicht zu überzeugen.
Die im Einleitungssatz der Vereinbarung enthaltene Wortfolge „über die Herstellung eines Hausanschlusskanals für das neue Bauernwohnhaus“ nimmt bei der gebotenen objektiven Betrachtung vor allem auf den damals aktuellen Anlass der Kanalerrichtung Bezug, sagt aber nichts Näheres über die Möglichkeiten des Anbaues dieses Hauses oder der Errichtung eines „Austraghauses“ aus.
Die konkreten Bedingungen, zu denen die Dienstbarkeit eingeräumt werden sollte, werden ausdrücklich erst in den folgenden, jeweils nummerierten Vetragspunkten erläutert. Von einer Beschränkung der Nutzung des Kanals im Sinne eines Verbots künftiger weiterer Anschlüsse auf dem herrschenden Grundstück ist darin aber keine Rede.
3.3. Das Argument des Erstgerichts, es sei im Punkt II. der Vereinbarung eine Anschlussmöglichkeit der Eigentümer der dienenden Grundstücke vereinbart worden, woraus umgekehrt zu schließen wäre, dass eine weitere Anschlussbefugnis auf dem herrschenden Grundstück, wenn sie von der Servitut umfasst werden sollte, wohl ebenfalls erwähnt worden wäre, überzeugt nicht.
Der Zweck des Punktes II. der Vereinbarung besteht bei gebotener objektiver Betrachtung nur darin die Verpflichtung der Rechtsvorgänger der Beklagten festzulegen, entsprechende Anschlussschächte auf dem fremden Grundstück zu errichten.
3.4. Eine zukünftige Beschränkung der Zuleitungsbefugnis auf ein einziges konkret bereits vorhandenes Haus hätte, worauf die Beklagte zumindest im Ergebnis hingewiesen hat, auch dem Geschäftszweck und der Interessenlage der Parteien der Vereinbarung nicht entsprochen.
Der Zweck der Aufschließung einer Liegenschaft mit einem Abwasserkanal bezieht sich im Zweifel auf die gesamte zulässig bebaubare Fläche. Andererseits liegt die konkrete Beeinträchtigung der dienenden Grundstücke bei einer Kanalleitungsservitut im Vorhandensein des Kanals an sich. Auf die durchfließende Abwassermenge bzw auf die Anzahl der Hausanschlüsse kommt es – sofern, wie hier, die maximale Leitungskapazität nicht einmal annähernd erreicht wird und eigene Interessen am Anschluss an den Kanal nicht berührt werden – für das Ausmaß der Belastung des dienenden Grundstücks nicht an.
3.5. Der eng gefassten Auslegung der Dienstbarkeitsvereinbarung durch die Vorinstanzen kann daher nach dem festgestellten Sachverhalt nicht beigetreten werden. Von einer ausschließlich auf die Einleitung von Abwässern für den Bedarf des konkreten „neuen Bauernwohnhauses“ begrenzten Berechtigung der Beklagtenseite ist nicht auszugehen.
Unbedeutende Änderungen der Benützungsart muss der Belastete hinnehmen. Die Art der Ausübung findet ihre Grenzen in einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Eigentümers des dienenden Gutes (RS0011733; RS0016370; RS0034295; RS0016369; 4 Ob 25/14a).
3.6. Nach den hier getroffenen Feststellungen ist die Einleitung der Abwässer des „Austragwohnhauses“ in den dafür weit mehr als ausreichend dimensionierten Kanal mit überhaupt keiner zusätzlichen Belastung für die Kläger verbunden. Die Beklagte überschreitet mit ihrer Nutzung das Ausmaß der bestehenden Dienstbarkeit somit nicht.
4. Bei diesem Ergebnis kommt es auf die Frage, ob die Zweit- und Drittbeklagten den Kanalanschluss des Austragswohnhauses durch jahrelanges bewusstes Stillschweigen außerdem schlüssig genehmigt haben, nicht mehr an.
Das Klagebegehren erweist sich damit als nicht berechtigt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.