18OCg4/20t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, Rumänien, vertreten durch Baier Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei E*****, Italien, wegen Teilaufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 11.975.284,47 EUR), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der klagenden Partei wird gegen die Versäumung der Frist zur Verbesserung der Klage durch Vorlage einer Übersetzung des Schiedsspruchs vom 1. Februar 2019 in die deutsche Sprache die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Der Beschluss vom 18. Juni 2020, mit dem der Oberste Gerichtshof die Klage als zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung ungeeignet zurückgewiesen hat, wird aufgehoben.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt in ihrer am 6. Mai 2019 eingebrachten Klage die Aufhebung des Schiedsspruchs des ICC International Court of Arbitration vom 1. Februar 2019, AZ 22185/MHM, in mehreren Punkten. Die Klägerin legte den Schiedsspruch nur in englischer Sprache vor, wobei sie gleichzeitig Verfahrenshilfe (auch) für dessen Übersetzung beantragte.
Mit Beschluss vom 6. März 2020 wies der Senat den Verfahrenshilfeantrag ab. Am gleichen Tag wurde mit Beschluss des Vorsitzenden (§ 84 Abs 4 ZPO) der Klägerin die Klage mit dem Auftrag zurückgestellt, diese binnen vier Wochen durch Vorlage einer deutschen Übersetzung des Schiedsspruchs zu verbessern, wobei ausgesprochen wurde, dass die Klagefrist bei rechtzeitiger Wiedervorlage gewahrt sei. Dieser Beschluss wurde damit begründet, dass die geschäftsordnungsgemäße Behandlung von Eingaben grundsätzlich nur dann möglich ist, wenn sie in deutscher Sprache verfasst sind. In Bezug auf Beilagen zu Eingaben gilt das jedenfalls dann, wenn sie nicht (nur) Beweisurkunden sind, sondern (auch) den Gegenstand des Verfahrens bilden. Das betrifft auch einen Schiedsspruch, dessen Aufhebung begehrt wird.
Mit Beschluss vom 8. Mai 2020 bewilligte der Vorsitzende der Klägerin die Erstreckung der Frist zur neuerlichen Einbringung der Klage und Vorlage einer Übersetzung des Schiedsspruchs bis zum 12. Juni 2020.
Am 12. Juni 2020 legte die Klägerin die Klage samt teilweise übersetzten Beilagen neuerlich vor. Eine Übersetzung des bekämpften Schiedsspruchs wurde nicht vorgelegt.
Mit der Begründung, dass die Klägerin damit den erteilten Verbesserungsauftrag nicht zur Gänze erfüllt habe, wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 18. Juni 2020 die Klage als zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung ungeeignet zurück. Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 31. Juli 2020 (Zustellungszeitpunkt gemäß § 89d Abs 2 GOG: 3. August 2020) zugestellt.
Am 4. August 2020 beantragte die klagende Partei – unter Vorlage des ERV Übermittlungsprotokolls vom 12. Juni 2020, eines Screenshots betreffend die am 12. Juni 2020 übermittelten Dokumente, einer Eidesstättigen Erklärung einer Kanzleiassistentin und des mit der Klagevertretung wegen der Übersetzung geführten Schriftverkehrs – die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Verbesserung der Klage, die Aufhebung des Beschlusses über die Zurückweisung der Klage und die Zulassung der Klage zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung.
Aufgrund der vorgelegten Bescheinigungsmittel wird folgender Sachverhalt als bescheinigt festgestellt:
Die rumänischen Rechtsvertreter der Klägerin übermittelten der in Österreich ansässigen Klagevertreterin am 12. Juni 2020 eine von einem rumänischen Übersetzungsbüro erstellte Übersetzung des in englischer Sprache abgefassten Originalschiedsspruchs in die deutsche Sprache.
Die erfahrene Kanzleiassistentin der Klagevertreterin, die seit 1999 durchgehend in der Kanzlei beschäftigt ist und am 12. Juni 2020 mit der Fertigstellung der Eingabe zur Verbesserung der Klage beauftragt war, hängte durch ein Versehen – unter der richtigen Beilagenbezeichnung „Übersetzung Beilage B – Endschiedsspruch“ – nicht die Übersetzung des Schiedsspruchs in die deutsche Sprache, sondern den Endschiedsspruch in der englischsprachigen Originalfassung an die ERV Sendung an. In der Kanzlei wird – auch für die Übermittlung von Schriftsätzen im ERV – eine in Österreich weit verbreitete Kanzlei-Software verwendet. Da in der Vorabansicht des ERV Übermittlungsprotokolls die aus seiner Sicht „richtige“ Beilagenbezeichnung aufschien und auch die „richtige“ Beilage angezeigt wurde, fiel dem die Sendung freigebenden Rechtsanwalt nicht auf, dass der Sendung tatsächlich nicht die Übersetzung in die deutsche Sprache, sondern der Originalschiedsspruch in englischer Sprache angehängt worden war.
Diese Feststellungen beruhen auf den von der Klagevertreterin zur Bescheinigung des Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag vorgelegten Urkunden, von denen der Screenshot (Blg ./CC) und die Eidesstättige Erklärung der Kanzleiassistentin (Blg ./DD) hervorzuheben sind. Der seit 1999 durchgehend in der Kanzlei beschäftigten Kanzleiassistentin ist es unerklärlich, dass sie unter der grundsätzlich richtigen und zur Vorlage intendierten Beilagenbezeichnung irrtümlich das falsche PDF Dokument an den zur Versendung vorbereiteten Schriftsatz angehängt hat. Aus dem Screenshot ist ersichtlich, dass in der Vorabansicht des ERV Übermittlungsprotokolls unter „Übersetzung – Beilage B“ die Übersetzung des Endschiedsspruchs in die deutsche Sprache aufscheint, sodass nachvollziehbar ist, dass dem Rechtsanwalt nicht auffiel, dass der Sendung eine falsche Beilage angehängt war.
Rechtliche Beurteilung
Rechtlich folgt daraus:
1. Die klagende Partei wurde durch ein unvorhergesehenes Ereignis – nämlich durch das Anhängen eines „falschen“ Dokuments an die ERV Sendung, mit der die Klage verbessert werden sollte – an der rechtzeitigen Vornahme der Verbesserung verhindert. Entscheidend ist im vorliegenden Fall allein, ob das Verschulden an der unrichtigen Vornahme der Verbesserung über den Grad der leichten Fahrlässigkeit hinausgeht oder nicht (§ 146 Abs 1 letzter Satz ZPO).
2. Das Anwaltsverhalten, insbesondere das Verschulden des Rechtsvertreters wird von der Rechtsprechung der Partei zugerechnet (RIS Justiz RS0036729). Dagegen wird ein Verschulden von Kanzleiangestellten nach nun herrschender Auffassung ( Gitschthaler in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 146 Rz 20; Deixler Hübner in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 § 146 Rz 53; vgl 1 Ob 119/17g) nicht der Partei angelastet. Den Parteienvertreter selbst trifft im Zusammenhang mit dem Tätigwerden seiner Bediensteten ein Verschulden, wenn ihm Nachlässigkeiten bei der Überwachung, Kontrolle und Belehrung vorzuwerfen sind. In diesem Zusammenhang geht beispielsweise der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Rechtsanwalt rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen kann (zB 2011/07/0081; siehe die Nachweise bei Liebhart , Wiedereinsetzung bei Rechtsanwaltsfehler, AnwBl 2013, 584 [587]; 2011/07/0081 uva), vorausgesetzt, er hat zuvor eindeutige Aufträge erteilt. In diesem Sinn ist der Anwalt beispielsweise dazu verhalten, sein Augenmerk darauf zu richten, ob dem Schriftsatz die vorgesehenen Beilagen angeschlossen werden.
3. Im vorliegenden Fall war für den Rechtsanwalt aus der Vorabansicht des ERV Übermittlungsprotokolls erkennbar, dass dem Schriftsatz die „richtige“ Beilage angeschlossen schien; für tiefergehende Kontrollen bestand daher für ihn kein Anlass, weshalb keinesfalls ein grobes Verschulden seinerseits vorliegt.
4. Dieser Beurteilung steht auch nicht der Beschluss 14 Os 93/18k (14 Os 94/18g) entgegen: In dem dieser Entscheidung zugrunde liegende Fall war das WebERV System des Rechtsanwalts so organisiert, dass nicht erkennbar war, ob Schriftsätze tatsächlich abgesendet wurden und beim Adressaten einlangten.
5. Da der Rechtsvertreterin der Klägerin kein Verschulden vorzuwerfen ist, das über den Grad eines minderen Versehens hinausgeht, ist die Wiedereinsetzung zu bewilligen und (deklarativ) auszusprechen, dass der Beschluss vom 18. Juni 2020, mit dem der Oberste Gerichtshof die Klage als zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung ungeeignet zurückgewiesen hat, aufgehoben wird.