2Ds1/20z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Dr. Jensik und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Höllwerth und Dr. Nordmeyer als weitere Richter in der Disziplinarsache gegen die Richterin des Landesgerichts ***** über deren Beschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte vom 29. Jänner 2020, GZ 134 Ds 1/19i 11, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 OGH Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird in seinem Punkt 2. dahin abgeändert, dass die Einleitung der Disziplinaruntersuchung gegen ***** aufgrund der durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts ***** erstatteten (Nachtrags )Disziplinaranzeige vom 18. Februar 2019, GZ 1 Jv 8980/18z 17d, der der Verdacht zugrundeliegt, sie habe die sie als Richterin gemäß § 57 Abs 1 RStDG treffende Verpflichtung, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft zu erfüllen und die ihr übertragenen Amtsgeschäfte raschestmöglich zu erledigen, dadurch verletzt, dass sie im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts ***** einen am 30. Oktober 2017 eingelangten Fortsetzungsantrag, der aufgrund eines Versehens von der zuständigen Kanzleileiterin nicht registermäßig erfasst worden war, vorerst nicht bearbeitete, diesen nach Rücklangen des Aktes von der Innenrevision am 22. Dezember 2017 zum Akt gab, diesen in einen Schrank legte und dort vergaß, und den Akt erst am 28. November 2018 der nach der Änderung der Geschäftsverteilung bereits seit 1. Juli 2018 zuständigen Richterin vorlegte, gemäß § 123 Abs 4 erster Fall RStDG abgelehnt wird.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen – gemäß § 110 Abs 2 erster Satz RStDG ohne mündliche Verhandlung gefassten – Beschluss wurde die Beschuldigte (zu 2.) eines Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 RStDG schuldig erkannt und über sie die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt. D ie Ablehnung der Einleitung der Disziplinaruntersuchung hinsichtlich eines weiteren Vorwurfs (zu 1.) erwuchs in Rechtskraft.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat sie die sie gemäß § 57 Abs 1 RStDG treffende Verpflichtung, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft zu erfüllen und die ihr übertragenen Amtsgeschäfte raschestmöglich möglich zu erledigen, dadurch verletzt, dass sie in einem bestimmten Verfahren einen am 30. Oktober 2017 eingelangten Fortsetzungsantrag, der aufgrund eines Versehens von der zuständigen Kanzleileiterin nicht registermäßig erfasst worden war, vorerst nicht bearbeitete, diesen nach Rücklangen des Aktes von der Innenrevision am 22. Dezember 2017 zum Akt gab, diesen in einen Schrank legte und dort vergaß, und den Akt erst am 28. November 2018 der nach einer Änderung der Geschäftsverteilung bereits seit 1. Juli 2018 zuständigen Richterin vorlegte.
Bei der Strafbemessung wertete das Disziplinargericht die bisherige disziplinarrechtliche Unbescholtenheit als mildernd, erschwerend hingegen keinen Umstand.
Dagegen wendet sich die Beschwerde der Beschuldigten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Einleitung der Disziplinaruntersuchung gemäß § 123 Abs 4 RStDG abgelehnt werde, hilfsweise von der Verhängung einer Disziplinarstrafe gemäß § 101 Abs 3 RStDG abzusehen.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist berechtigt.
Grundlage für die Verhängung einer Disziplinarstrafe über den Richter oder Staatsanwalt, der seine Standes- oder Amtspflichten verletzt, ist ein Schuldspruch (vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) wegen eines Dienstvergehens; dieses liegt (nur) vor, wenn die Pflichtverletzung mit Rücksicht auf die Art und Schwere der Verfehlung, auf die Wiederholung oder auf andere erschwerende Umstände unter Einbeziehung general- und spezialpräventiver Aspekte einer disziplinarrechtlichen Ahndung bedarf (§ 101 Abs 1 RStDG; Fellner/Nogratnig RStDG 4 § 101 Anm 2; vgl RIS Justiz RS0118560).
Dies ist nach dem hinreichend geklärten Sachverhalt hier nicht der Fall.
Der Beschuldigten ist eine Verzögerung anzulasten, die nach den festgestellten Umständen jedoch nicht besonders gravierend und für die betroffenen Parteien ohne Nachteil geblieben ist:
Das Versehen der Kanzlei, den Fortsetzungsantrag im Register zu erfassen, ist der Beschuldigten ebensowenig vorzuwerfen wie die unterlassene Bearbeitung bis zum Rücklangen des Aktes von der Innenrevision. Die mit dem Klagevertreter in der Folge besprochene weitere Vorgehensweise, ein Normprüfungsverfahren an Hand eines von ihm vorzulegenden Entwurfs einzuleiten, entsprach der auch in bei dem Gerichtshof anhängigen Parallelverfahren gewählten; sie ist nicht Gegenstand des disziplinären Vorwurfs. Mit Blick auf die telefonische Mitteilung des Klagevertreters, der den Fortsetzungsantrag gestellt hatte, die Verfahrensfortsetzung und die Einleitung eines Normprüfungsverfahrens beim VfGH wegen eines in einem Parallelverfahren zwischenzeitig ergangenen Erkenntnisses des VfGH nicht anzustreben, und den Wunsch beider Verfahrensparteien, wegen der hohen Pauschalgebühren die Klärung der auch in den Parallelverfahren zu beurteilenden Rechtsfragen durch den Obersten Gerichtshof abzuwarten, ist auch das Kalendieren des Aktes mit 1. Juli 2018 noch nicht pflichtwidrig. Der Beschuldigten ist daher (nur) vorzuwerfen, dass sie den Akt, der im Register nicht als offen aufschien und von keiner Partei urgiert wurde, danach im Schrank „vergaß“.
Dieses Versehen ist bei gebotener Gesamtbetrachtung als geringfügig zu beurteilen, es blieb auch ohne negative Folgen (den Parteien entstand festgestelltermaßen kein Nachteil, die klagende Partei ersparte sich vielmehr die Bezahlung hoher Gerichtsgebühren).
Der Beschuldigten ist daher zwar eine Pflichtverletzung anzulasten, die aber noch kein Dienstvergehen begründet. Es war iSd § 123 Abs 4 erster Fall RStDG vorzugehen.