9ObA35/20t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag.
Korn als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI M*****, vertreten durch Mag. Florian Mitterbacher, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, wegen 15.500 EUR sA (hier: wegen Delegation), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 31. März 2020, GZ 4 Nc 7/20w 1, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 914,40 EUR (darin enthalten 152,40 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu zahlen.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrt mit seiner beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht eingebrachten Klage von der Beklagten Schadenersatz aufgrund von Mobbing durch seine Vorgesetzte.
Die Beklagte bestreitet die Vorwürfe und beantragt die Delegation der Arbeitsrechtssache an das Landesgericht Klagenfurt als Arbeits und Sozialgericht.
Zuständig für den Kläger sei die Bildungsdirektion für Kärnten, die in Klagenfurt etabliert sei. Für sämtliche von der Beklagten beantragten Zeugen entstünden bei einer Anreise nach Graz höhere Gebührenansprüche. Zudem seien bereits mehrere Verfahren betreffend die Schule, an der der Kläger beschäftigt gewesen sei, beim Landesgericht Klagenfurt anhängig und sollten die Themenkomplexe dort konzentriert bleiben.
Der Kläger sprach sich gegen eine Delegation aus. Sein Hauptwohnsitz liege im Sprengel des angerufenen Gerichts. Die Delegation sei nicht eindeutig zweckmäßig. Er werde weitere Zeugen, die ihren Wohnsitz in der Steiermark oder Wien hätten, beantragen. Zahlreiche Zeugen der Beklagten hätten ihren Wohnsitz ebenfalls nicht in Klagenfurt, weshalb sich deren Zeugengebühren nicht wesentlich unterscheiden würden.
Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht erklärte, die Delegation für zweckmäßig zu erachten, dies in Anbetracht des erheblichen Verfahrensaufwands im Zusammenhang mit den zahlreichen Zeugen, und legte den Delegierungsantrag dem zuständigen Oberlandesgericht Graz vor (§ 31 Abs 1 JN).
Das Oberlandesgericht Graz wies den Antrag ab. Nach § 31 Abs 1 JN könne aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei von dem Oberlandesgericht, in dessen Sprengel das zuständige Gericht gelegen sei, an Stelle desselben ein anderes im Sprengel des Oberlandesgerichts gelegenes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Die Zweckmäßigkeit wäre etwa dann zu bejahen, wenn beide Parteien oder zumindest eine von ihnen und die überwiegende Zahl der Zeugen im Sprengel des Gerichts wohnen, dessen Delegierung beantragt werde. Dies sei hier nicht der Fall, weil jedenfalls der Kläger seinen Wohnsitz im Sprengel des angerufenen Gerichts habe. Die Zeugen könnten per Videokonferenz einvernommen werden, wodurch die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gewahrt bleibe. Dass gleichgelagerte Beweisaufnahmen die Verbindung mit Parallelverfahren zweckdienlich machen könnten, lasse sich dem Antrag nicht entnehmen. Um die Schutzvorschrift des § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG nicht auszuhöhlen, sei hier ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Da die Zweckmäßigkeit zu Gunsten beider Parteien nicht gegeben sei, sei der Antrag abzuweisen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten, mit einem Abänderungsantrag. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
Das Oberlandesgericht wird bei Entscheidungen über einen Delegierungsantrag als Erstgericht tätig (§ 31 Abs 1 JN; RS0046243). Damit im Zusammenhang stehende Beschlüsse sind ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO mit Rekurs bekämpfbar (RS0046269 [T2]).
1. Der erkennende Senat teilt die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts, auf dessen Ausführungen gemäß § 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO verwiesen wird. Diese Ausführungen sind daher nur kurz zu ergänzen.
2. Nach § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden, wobei derartige Zweckmäßigkeitsgründe insbesondere in einer wesentlichen Verkürzung und/oder Verbilligung des Verfahrens sowie einer Erleichterung des Gerichtszugangs oder der Amtstätigkeit liegen können (vgl RS0046333 [T6]).
3. Der Kläger hat den Gerichtsstand nach § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG in Anspruch genommen. Die Beklagte weist in ihrem Rekurs ausdrücklich darauf hin, dass sie diesbezüglich keine Unzuständigkeit geltend gemacht hat.
Es würde aber den Intentionen des Gesetzes widersprechen, würde in einer Arbeitsrechtssache, die vom Arbeitnehmer anhängig gemacht worden ist und für die er den Gerichtsstand nach § 4 Abs 1 Z 1 lit a ASGG in Anspruch genommen hat, über Antrag des Arbeitgebers die ausschließlich in dessen Interesse gelegene Delegierung verfügt werden. Vor der Intention des Gesetzes, dem Arbeitnehmer die Durchsetzung seiner Ansprüche zu erleichtern, müssen Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu Gunsten des Arbeitgebers zurücktreten. Eine Verschiebung der Zuständigkeit ist nur dann zu bewilligen, wenn die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme eindeutig zu Gunsten beider Parteien beantwortet werden kann (RS0046357 [T1, T6]).
4. Richtig ist, dass die von der Beklagten namhaft gemachten Zeugen im Sprengel des Landesgerichts Klagenfurt wohnen, allerdings zum überwiegenden Anteil nicht in Klagenfurt selbst, weshalb eine (wenn auch kürzere) Anreise jedenfalls erforderlich wäre. Eine Einvernahme im Wege einer Videokonferenz kann daher für beide Landesgerichte zweckdienlich erscheinen.
Demgegenüber wohnt der Kläger im Sprengel des angerufenen Gerichts. Inwiefern eine Delegation auch seinen Interessen Rechnung tragen würde, wird im Rekurs der Beklagten allerdings nicht aufgezeigt.
Insoweit ist der vorliegende Fall auch nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, der der von der Beklagten zitierten Entscheidung 9 Nc 48/19m zugrunde lag, in dem auch der Kläger seinen Wohnsitz im Sprengel des Gerichts hatte, an das das Verfahren delegiert werden sollte.
5. Soweit die Beklagte auf „nahezu inhaltsgleiche Verfahren“ verweist, wird auch im Rekurs nicht aufgezeigt, inwieweit in den in Betracht kommenden Verfahren überschneidende oder gleichgelagerte Sachverhalte zu beurteilen sein könnten. Allein der Umstand, dass verschiedene Prozesse dieselbe Schule betreffen, legt dies ebenso wenig nahe, wie der Hinweis, dass auch von anderen Lehrern Mobbingvorwürfe erhoben wurden. Aus welchen Gründen eine Verbindung mit anderen Verfahren oder die Bestellung eines – nicht beantragten – Sachverständigen für mehrere Verfahren gemeinsam zweckdienlich sein könnte, wird von der Beklagten nicht dargelegt.
6. Spricht die Zweckmäßigkeit aber nicht eindeutig für die Durchführung des Verfahrens vor dem Gericht, das zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden soll, so ist – nach ständiger Rechtsprechung – der Partei, die der Delegierung widerspricht, der Vorzug zu geben (RS0046324; RS0046589). Dem Rekurs der Beklagten ist daher ein Erfolg zu versagen.
7. Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.