9Ob27/20s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien M*****, vertreten durch Draxler Rexeis Sozietät von Rechtsanwälten OG in Graz, gegen die beklagte Partei D*****, vertreten durch Mag. Walter Krautgasser, Rechtsanwalt in Graz, wegen 12.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 1.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 11. Februar 2020, GZ 6 R 253/19y 33, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Deutschlandsberg vom 3. Oktober 2019, GZ 3 C 497/18g 29, nicht Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 939,24 EUR (darin enthalten 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger und der Beklagte nahmen als Spieler verschiedener Mannschaften an einem Hobbyfußballturnier teil. Im Zuge einer Attacke des Beklagten während eines Spiels wurde der Kläger am rechten Fuß verletzt.
Der Kläger lief dabei auf der linken Seite des Spielfeldes mit dem Ball in Richtung des gegnerischen Tores. Der Beklagte kam von der rechten Seite des Spielfeldes quer auf den Kläger zu. Als sich der Kläger bereits vor der Laufrichtung des Beklagten befand, trat der Beklagte von hinten mit dem rechten Fuß zunächst gegen den rechten und in der Folge auch gegen den linken Fuß des Klägers. Dadurch wurde der Kläger „ausgehoben“. Er stürzte, wodurch er einen verrenkten Bruch des Wadenbeins rechts und einen Syndesmoseriss des vorderseitigen rechten Sprunggelenks erlitt.
Der Beklagte hatte keine Möglichkeit mehr, den Ball zu erreichen, was ihm auch bewusst war. Er hätte ausreichend Zeit gehabt, den Kontakt mit dem Kläger zu vermeiden bzw hätte er ohne Berührung hinter dem Kläger vorbeilaufen können.
Der Kläger begehrt 12.000 EUR Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung des Beklagten für Spät- und Dauerfolgen aus dem Vorfall. Beim Verhalten des Beklagten handle es sich um einen Regelverstoß, der nicht spieltypisch und unangebracht aggressiv gewesen sei.
Der Beklagte bestritt und brachte vor, er habe lediglich den Ball spielen wollen, sei aber zu langsam gewesen und beim Zusammenstoß mit dem Kläger über dessen Bein gefallen. Ihm sei kein rechtswidriger Regelverstoß vorzuwerfen.
Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt.
Die Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich zugelassen, weil der Beklagte sich zwar in erster Instanz nicht auf ein „taktisches Foul“ berufen habe, es könne aber auch vertreten werden, dass die Attacke des Beklagten einen bewussten Regelverstoß darstelle, der als spieltypisch zu betrachten sei.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz. Fragen der Beweiswürdigung sind nicht revisibel (RS0042903 [T1, T2, T10]). Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht oder nur so mangelhaft befasst hätte, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (RS0043150), ist sein Verfahren mangelhaft. Eine bloß mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden (RS0043371).
Entgegen der Darstellung in der Revision hat sich das Berufungsgericht im vorliegenden Fall mit der Beweisrüge auseinandergesetzt und dargestellt, aufgrund welcher Überlegungen es die Beweiswürdigung des Erstgerichts als überzeugend erachtet. Insbesondere konnte sich aufgrund des vorliegenden Videos auch das Berufungsgericht einen persönlichen Eindruck vom Geschehen verschaffen.
2. Auf dem Video ist auch zu sehen, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Körperkontakts ausgehend von der Bewegungsrichtung des Klägers hinter ihm war. Zusätzlich wurde die seitliche Annäherungsrichtung festgestellt. Damit liegt auch keine Aktenwidrigkeit vor.
3. Handlungen oder Unterlassungen im Zuge sportlicher Betätigung, durch die ein anderer Teilnehmer in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet oder am Körper verletzt wird, sind insoweit nicht rechtswidrig, als sie nicht das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößern (RS0023039).
Ob der konkrete Unfallshergang die Beurteilung rechtfertigt, dass das Verhalten des Schädigers über einen bei einem Kampf um den Ball im Zuge eines Fußballspiels immer wieder vorkommenden typischen Regelverstoß hinausgeht, hängt aber von den jeweiligen besonderen Umständen des konkreten Falls ab und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (6 Ob 169/04b; 2 Ob 7/08f).
4. Auch der Beklagte verweist im Wesentlichen nur auf Einzelfallentscheidungen mit unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen. Dabei zeigt sich aber auch, dass eine Haftung im Allgemeinen nur in den Fällen verneint wurde, in denen der Schädiger versuchte, den Ball zu spielen, nicht festgestellt werden konnte, dass dies von vornherein aussichtslos war oder eine unrichtige Einschätzung der Situation mit Rücksicht darauf vorlag, dass Chancen und Risken oft im Bruchteil einer Sekunde abgewogen werden müssen und der Entschluss zur Durchführung oder Unterlassung des Attackierens des Gegners in eben dieser Zeit gefasst werden muss (vgl 6 Ob 546/82; 5 Ob 578/87; 9 Ob 1604/94; 3 Ob 81/06t).
5. Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass das Verhalten des Beklagen, der den Kläger attackierte und gegen die Füße trat, obwohl ihm bewusst war, dass er den Ball nicht mehr erreichen werde, und obwohl er noch die Möglichkeit gehabt hätte, einen Kontakt mit dem Kläger zu vermeiden, nicht mehr spieltypisch, sondern rechtswidrig ist, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.
6. Auf die Frage, ob das Verhalten des Beklagten als bewusst begangenes „taktisches Foul“ anzusehen ist und als solches einen spieltypischen Regelverstoß darstellt, muss schon deshalb nicht eingegangen werden, weil sich der Beklagte darauf in erster Instanz nicht berufen hat. Vielmehr hat er nur vorgebracht, dass er beabsichtigt habe, den Ball zu spielen. Bei den Ausführungen in der Revision, er habe den Angriff des Klägers auf das Tor durch ein bewusst begangenes Foul unterbinden wollen, handelt es sich daher um eine unzulässige Neuerung.
7. Die Revision des Beklagten ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.