JudikaturOGH

11Os39/20z – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Mai 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen A***** J***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 20. Dezember 2019, GZ 38 Hv 117/19a 75, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde A***** J***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1./ und I./2./), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./3./–5./), mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II./), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 „und Abs 2“ StGB (I./1./) und des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, „Abs 2“, Abs 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB (III./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ im Zeitraum von zumindest Herbst 2014 bis Sommer 2017 in R***** in wiederholten Angriffen teils mehrmals monatlich mit bzw an der am ***** 2007 geborenen, sohin unmündigen S***** J*****

1./ wiederholt dadurch, dass er mit dem Mittelfinger in ihre Vagina eindrang, eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen;

2./ wiederholt dadurch, dass er versuchte, mit seinem Penis in ihren Anus einzudringen, eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen;

3./ wiederholt außer dem Fall des § 206 StGB und außer zeitlichem Konnex zu I./1./ und 2./ sowie 4./ und 5./ durch Reiben seines Penis an ihrer Vagina eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

4./ wiederholt außer dem Fall des § 206 StGB und außer zeitlichem Konnex zu I./1./ bis 3./ und 5./ durch Lecken ihrer Vagina eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

5./ einmal außer dem Fall des § 206 StGB und außer zeitlichem Konnex zu I./1./ bis 4./ durch Streicheln ihrer Vagina unter der Kleidung eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;

II./ durch die zu I./1./–5./ geschilderten Tathandlungen mit seiner minderjährigen Tochter geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

III./ in R***** während eines nicht feststellbaren, die Dauer eines Jahres aber jedenfalls übersteigenden Zeitraums bis Juli 2017 gegen Nachgenannte durch fortdauernde körperliche Misshandlungen und Körperverletzungen, zu  1./ zudem durch gefährliche Drohung mit dem Tode, jeweils eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er die Tat zu 2./ gegen eine unmündige Person beging und die Gewalt länger als ein Jahr ausgeübt wurde,

1./ gegen C***** P*****, indem er ihr nahezu täglich teils mit Verletzungsfolgen Schläge mit der flachen Hand oder Faust gegen den Körper versetzte, sie in einem Fall an den Haaren erfasste und ihren Kopf mehrfach so lange gegen eine Tür stieß, bis sich diese öffnete, wobei die Genannte zu diesem Zeitpunkt bewusstlos war, er sie anschließend an den Haaren in die Küche zog und dort mit kaltem Wasser bespritzte, um sie wieder zu Bewusstsein zu bringen, weiters indem er ihrem Bruder eine zu ihrer Kenntnisnahme bestimmte SMS schrieb, wenn er sie oder S***** sehe, bringe er sie um und vergrabe sie im Wald;

2./ gegen N***** J*****, geboren am ***** 2008, indem er diesen mehrmals monatlich an den Haaren zog und ihm Fußtritte und Schläge mit der flachen Hand oder Faust gegen Brust, Bauch, Rücken, Schulter, Beine und Gesicht versetzte, was teilweise Hämatome an den betreffenden Körperstellen zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 3) macht einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 Z 2a StPO geltend, weil der Angeklagte keine Gelegenheit gehabt habe, sich an der kontradiktorischen Vernehmung des Zeugen P***** J***** zu beteiligen, bei welcher dieser von einem durchaus – vor allem durch den Vater des Angeklagten – gewaltgeprägten Familienverhältnis sprach (ON 40; US 15). Sie vernachlässigt allerdings, dass diese Angaben nach dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung mit ausdrücklicher Zustimmung des Verteidigers gemäß § 252 Abs 2a StPO anstelle der Vorlesung oder Vorführung (Abs 1 und 2 leg cit) vorgetragen wurden (ON 74 S 21 f, US 5). Da eine solche Konstellation wie ein Fall des Einverständnisses von Ankläger und Angeklagtem zur Vorlesung gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO zu beurteilen ist ( Kirchbacher , WK-StPO § 252 Rz 134 iVm 101 ff), liegt der behauptete Nichtigkeitsgrund nicht vor (RIS Justiz RS0127712).

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 74 S 20 f) des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens (ON 74 S 20) zum Beweis dafür, dass die Angaben der S***** J***** hinsichtlich der sexuellen Übergriffe (I./1./ bis 5./ und II./) unrichtig wären, Verteidigungsrechte nicht verletzt. Objektive Anhaltspunkte für eine Aussageuntüchtigkeit der unmündigen Zeugin, wie etwa Entwicklungsstörungen oder geistige Defekte, die ausnahmsweise eine Beurteilung durch einen Gerichtssachverständigen indiziert hätten (RIS-Justiz RS0097733; Ratz , WK StPO § 281 Rz 350), wurden seitens des Rechtsmittelwerbers bei der Antragstellung nicht behauptet (und wären nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen auch nicht angezeigt). Ebenso wenig legte der Beweisantrag dar, weshalb anzunehmen sei, dass sich das unmündige Opfer, welches nicht verpflichtet ist, an der Befundaufnahme mitzuwirken, zu einer solchen bereit finden, und dass dessen gesetzlicher Vertreter seine Zustimmung erteilen würde (RIS-Justiz RS0118956, RS0108614).

Da bei der Prüfung der Berechtigung einer Verfahrensrüge stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt der Antragstellung und von den dabei vorgebrachten Gründen auszugehen ist, können die weiteren, erst im Rechtsmittel zur Stützung des Beweisbegehrens angestellten Erwägungen keine Berücksichtigung finden (RIS-Justiz RS0099117).

Die Richtigkeit der Begründung einer abweislichen Entscheidung steht im Übrigen nicht unter Nichtigkeitssanktion, wenn nur – wie fallbezogen – dem auf den Zeitpunkt seiner Stellung bezogenen Antrag keine Berechtigung zukam (RIS-Justiz RS0116749).

Ein in der Hauptverhandlung gestellter Antrag, ein medizinisches Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass bei der (zu III./1./ und 2./) angelasteten fortgesetzten Gewaltausübung für Dritte nicht wahrnehmbare Verletzungen auszuschließen oder nicht nachvollziehbar wären, ist dem ungerügt gebliebenen Hauptverhandlungsprotokoll (ON 74) nicht zu entnehmen. Auf den ausschließlich schriftlich eingebrachten Beweisantrag vom 17. Dezember 2019 (ON 71) kann die Verfahrensrüge hingegen nicht gestützt werden (RIS Justiz RS0099099, RS0099178), sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) wurden die Angaben des Angeklagten ebenso wie jene der Zeugen M***** M*****, T***** M*****, Ma***** M*****, D***** J***** und G***** M***** im durch das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe erforderlichen Umfang (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; RIS-Justiz RS0098377) erörtert (US 12–18). Im Hinblick auf von den Tatrichtern als glaubhaft und nachvollziehbar eingestufte Aussagen der Tatopfer (US 13–16, 20), ein aufgezeichnetes Telefonat zwischen S***** J***** und M***** M*****, ein psychologisches Gutachten sowie Erhebungsergebnisse der Kinder- und Jugendhilfe einerseits und der Familien- und Jugendgerichtshilfe andererseits aus den die Kinder des Angeklagten betreffenden Pflegschaftsakten, Aufzeichnungen des Arztes Dr. G***** und Angaben der Zeugin Pa***** (US 16–20) wurden diese jedoch als unglaubwürdig verworfen. Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) sind diese Urteilserwägungen in keiner Weise zu beanstanden.

Der aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit von Zeugen führende kritisch-psychologische Vorgang ist als solcher einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen (RIS Justiz RS0106588).

Der Sache nach bekämpft die Mängelrüge bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld. Dass allenfalls auch für den Angeklagten günstigere Schlüsse möglich gewesen wären, ist als Akt freier Beweiswürdigung nicht aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO bekämpfbar (RIS Justiz RS0114524).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – bereits nach nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (in Ansehung des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche bloß angemeldete [ON 74 S 24], jedoch nicht ausgeführte) Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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