11Os43/20p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen ***** An***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 14. Jänner 2020, GZ 37 Hv 96/19b 82, weiters über die Beschwerde des Angeklagten gegen einen Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** An***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./) und jeweils eines Vergehens der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1a StGB (II./) und der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt.
Danach hat er in M***** und andernorts – gekürzt wiedergegeben –
I./ am 9. Juni 2019 mit der 2009 geborenen A***** eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er sie beim Fuß beginnend über ihr Schienbein – ihr Kleid hochziehend – bis zu ihrem Intimbereich berührte, mit beiden Händen in ihre Unterhose fuhr und sie letztlich intensiv am nackten Scheidenbereich berührte;
II./ am 27. April 2018 (die 2007 geborene) M***** durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt, indem er sie vom Gesäß bis zur Rückseite des Oberschenkels berührte, wobei er im Gesäßbereich seine Streichbewegung deutlich verlangsamte und ihr Gesäß intensiver berührte;
III./ im Sommer 2018 (die 2005 geborene) Ma***** mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich dem Verbleib an Ort und Stelle, zu nötigen versucht, indem er sie kräftig am T-Shirt packte und zu sich zu ziehen versuchte, sie sich jedoch losreißen und flüchten konnte.
Rechtliche Beurteilung
Ausschließlich gegen den (aus Anlass der zu I./ begangenen Tat erfolgten) Ausspruch der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Anordnung einer Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB stellt einen Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 3 StPO dar, der (lediglich) nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 11 StPO mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft werden kann. Dabei sind Überschreitung der Anordnungsbefugnis (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) und Ermessensentscheidungen innerhalb dieser Befugnis zu unterscheiden ( Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 8). Eine Bekämpfung aus Z 2 bis Z 5a des § 281 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten Fall, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 281 Abs 1 Z 11 StPO offen (RIS-Justiz RS0118581; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 669).
Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall iVm – undifferenziert ausgeführt [vgl aber etwa RIS Justiz RS0115902] – Z 5 und 5a) bekämpft den Ausspruch, dass der Angeklagte an einer sexuellen Deviation in Sinn einer Pädophilie (ICD-10: F65.4), demnach an einer einer seelischen oder geistigen Abartigkeit höheren Grades entsprechenden Persönlichkeitsstörung litt und leidet (US 6). Die Kritik (dSn Z 5 vierter Fall), dass der vom Erstgericht beigezogene psychiatrische Sachverständige insoweit bloß eine (wenn auch „dringende“) „Verdachtsdiagnose“ geäußert habe, verschweigt, dass der Angeklagte die Exploration durch diesen verweigerte (US 15) und orientiert sich – der Verfahrensordnung zuwider (RIS-Justiz RS0119370 , RS0116504 ; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 394; vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0090441) – nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (s die eingehenden Erwägungen der Tatrichter auf US 14 bis 16). Insgesamt wird bloß der unzulässige Versuch unternommen, das Beweiswürdigungsermessen des Schöffengerichts nach Art einer nur im einzelrichterlichen Verfahren gesetzlich vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zu bekämpfen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 451).
Solcherart werden weder Begründungsdefizite (Z 11 erster Fall iVm Z 5) noch erhebliche Bedenken (Z 11 erster Fall iVm Z 5a) auch nur ansatzweise dargetan.
Dass der Angeklagte die Anlasstaten „unter dem Einfluss“ der konstatierten Persönlichkeitsstörung begangen hat, er somit dadurch in seiner Willensbildung (jedenfalls) beeinflusst war, wurde – dem weiteren, teilweise jenseits des Gesetzes spekulierenden Vorbringen zuwider – festgestellt (US 6) und (nämlich ua mit Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen) formal einwandfrei begründet (vgl erneut US 14 ff). Dem Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend waren die Tatrichter dabei – dem sinngemäßen Beschwerdeeinwand (Z 11 erster Fall iVm Z 5 zweiter Fall) zuwider – nicht dazu verhalten, sämtliche Details aus den (schriftlichen wie mündlichen) Ausführungen des Sachverständigen im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, wieweit sie für oder gegen diese oder jene Beurteilungsvariante sprechen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 428 mwN).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher nach nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.