9Ob55/19g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Mag. Martin Nemec, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. G*****, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, wegen 84.527,85 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 15. Juli 2019, GZ 13 R 72/19g 30, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 2. November 2016, GZ 25 Cg 111/16w 9, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.327,94 EUR (darin enthalten 387,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die auf Zahlung von 84.527,85 EUR sA, in eventu Feststellung der Haftung des Beklagten gerichtete Klage wurde zusammen mit dem Auftrag zur Klagebeantwortung am 28. 9. 2016 an den Beklagten an der Adresse ***** Wien, *****, durch Hinterlegung zugestellt. Nachdem keine Klagebeantwortung erstattet wurde, erließ das Erstgericht am 2. 11. 2016 über Antrag des Klägers ein Versäumungsurteil, das an der genannten Adresse am 29. 12. 2016, wiederum durch Hinterlegung, zugestellt wurde. Am 1. 2. 2017 bestätigte das Erstgericht die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Versäumungsurteils.
Am 20. 12. 2018 kam der Beklagte zu Gericht, wo ihm von einer Kanzleimitarbeiterin unter anderem die Klage und das Versäumungsurteil übergeben wurden.
Mit Schriftsatz vom 2. 1. 2019 beantragte der Beklagte I. die zum Versäumungsurteil erteilte Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung aufzuheben, das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären und die Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung erstmals zuzustellen, in eventu II. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, insbesondere in die Klagebeantwortungsfrist, erhob III. die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit und erstattete IV. eine Klagebeantwortung.
Nach Durchführung eines Bescheinigungs-verfahrens hob das Erstgericht mit Beschluss vom 14. 2. 2019 die Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung des Versäumungsurteils auf. Dabei nahm es als bescheinigt an, dass der Beklagte seit 11. 2. 2015 an der Zustelladresse nicht mehr gemeldet und aufhältig war. Nach Rechtskraft dieses Beschlusses verfügte das Erstgericht die Zustellung des Versäumungsurteils an den Beklagtenvertreter, die am 18. 3. 2019 erfolgte.
Mit Schriftsatz vom 29. 3. 2019 erhob der Beklagte Berufung gegen das Versäumungsurteil, in eventu Widerspruch.
Mit Beschluss vom 15. 7. 2019 wies das Berufungsgericht die Berufung als verspätet zurück. Gemäß § 7 ZuStG gelte eine Zustellung, auch wenn im Verfahren der Zustellung Mängel unterlaufen seien, dennoch als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen sei. Das Versäumungsurteil sei am 20. 12. 2018 dem Beklagten bei Gericht übergeben worden, ihm an diesem Tag daher tatsächlich zugekommen. Damit habe die vierwöchige Berufungsfrist an diesem Tag zu laufen begonnen. Die erst am 29. 3. 2019 eingebrachte Berufung sei daher verspätet.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Einleitung des Berufungsverfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
1. Ein Beschluss des Berufungsgerichts, mit welchem es die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat, ist zufolge § 519 Abs 1 Z 1 ZPO immer mit Rekurs (Vollrekurs) anfechtbar (RS0098745 [T3]).
2. Zur Klärung, welche Aktenstücke dem Beklagten bei seiner Vorsprache bei Gericht am 20. 12. 2018 in welcher Form konkret ausgefolgt wurden, wurden dem Erstgericht nach § 509 Abs 3 ZPO entsprechende Erhebungen aufgetragen.
Aufgrund der Einvernahme des Beklagten und der Kanzleibediensteten ist davon auszugehen, dass dem Beklagten unter anderem eine elektronische Ausfertigung des Versäumungsurteils übergeben wurde, wobei nicht mehr feststellbar ist, ob diese unmittelbar aus dem Register ausgedruckt wurde oder ob es sich um eine Kopie eines Ausdrucks aus dem Register handelte.
Der Beklagte selbst legte eine elektronisch gefertigte Ausfertigung vor, die offenkundig nachträglich kopiert wurde. Die Kanzleimitarbeiter hatten keine konkreten Erinnerungen, was dem Beklagten übergeben wurde.
3. Gemäß § 416 Abs 1 ZPO wird das Urteil den Parteien gegenüber erst mit der Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung wirksam. Diese „Wirksamkeit“ der Entscheidung gegenüber den Parteien liegt darin, dass die Rechtsmittelfrist (§ 464 Abs 2 ZPO) und die Leistungsfrist (§ 409 Abs 3 ZPO) zu laufen beginnen.
Die Herstellung schriftlicher Ausfertigungen ist in den §§ 144 ff Geo und § 79 GOG geregelt. Urteilsausfertigungen werden gemäß § 149 Abs 1 lit b Geo unter dem Abdruck der Unterfertigungsstampiglie des Richters (Senatsvorsitzenden) vom Leiter der Geschäftsabteilung unterschrieben. § 149 Abs 5 Geo sieht abweichend davon vor, dass Ausfertigungen gerichtlicher Urteile, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt und über die Poststraße abgefertigt werden, weder der Unterschriftsstampiglie des Richters noch einer Unterschrift des Leiters der Geschäftsabteilung bedürfen.
Auch nach § 79 Abs 1 GOG werden die schriftlichen Ausfertigungen der Urteile, Beschlüsse, Vergleiche und Bestätigungen der Rechtskraft oder Vollstreckbarkeit bei allen Gerichten von der Gerichtskanzlei unter dem Vermerk unterschrieben: „Für die Richtigkeit der Ausfertigung.“ Ausfertigungen, die mittels automationsunterstützter Datenverarbeitung erstellt werden, bedürfen weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung.
Die vom Beklagten vorgelegte Ausfertigung enthält den Hinweis „Elektronische Ausfertigung gemäß § 79 GOG“. Eine Unterschrift oder Beglaubigung ist für diese Ausfertigung daher weder vorgesehen noch erforderlich.
Damit kann es aber für die Beurteilung als zulässige Ausfertigung einer gerichtlichen Entscheidung keinen Unterschied machen, ob die Ausfertigung unmittelbar automationsunterstützt erstellt wurde oder eine automationsunterstützt erstellte Ausfertigung kopiert wurde. Beide Arten der Ausfertigung weisen keine Originalunterschriften auf.
Stumvoll (in Fasching/Konecny ³ II/2 § 7 ZustG, Rz 11/1) führt dazu aus, dass bei einer rechtlich zulässigen Zustellung, die kein Original (iSv Unterschrift oder physisch auf dem Dokument angebrachter Stampiglie) produziert, kein Zustellfehler vorliegt. Werden daher die rechtlichen Erfordernisse der Gestalt einer Ausfertigung erfüllt, dürfen zur Wirksamkeit der Zustellung diesbezüglich auch keine weiteren Kriterien des Dokuments gefordert werden. Derartige Ausfertigungen sind jenen gleichwertig, die nach früheren rechtlichen Ausfertigungserfordernissen als rechtlich einwandfrei zu beurteilen waren.
Allein der Umstand, dass dem Beklagten daher allenfalls eine Kopie einer automationsunterstützt erstellten Ausfertigung übergeben wurde, kann daher nicht dazu führen, dass keine wirksame Zustellung vorliegt.
4. Nach § 13 Abs 1 ZuStG sind Dokumente dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. § 2 Z 4 ZustG definiert die „Abgabestelle“ als die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, den Sitz, den Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch den Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder einen vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebenen Ort.
Weiters können nach § 24 Z 1 ZustG versandbereite Dokumente dem Empfänger unmittelbar bei der Behörde ausgefolgt werden.
5. Die erste Zustellung des Versäumungsurteils erfolgte an einer Adresse, an der der Beklagte weder wohnte noch aufhältig war, und ist damit unwirksam.
Ob es durch die Ausfolgung einer Ausfertigung bei Gericht zu einer Heilung dieses Zustellmangels kommen kann, auch wenn dem Beklagten dabei nicht genau die Ausfertigung des Urteils zugekommen ist, die ihm im Rahmen des Zustellvorgangs hätte zukommen sollen, ist nicht von Relevanz.
Die Übergabe einer Ausfertigung des Versäumungsurteils bei der Vorsprache des Beklagten bei Gericht stellt jedenfalls einen eigenen Zustellvorgang dar, dessen Wirksamkeit unabhängig vom vorangehenden Zustellversuch zu beurteilen ist. Wie bereits dargelegt, stellt die Ausfolgung eines Dokuments unmittelbar bei der Behörde grundsätzlich eine wirksame Zustellung dar. Dem Beklagten wurde dabei eine Ausfertigung des Versäumungsurteils übergeben, die den Erfordernissen eines automationsunterstützt erstellten Dokuments entsprach. Damit ist aber zu diesem Zeitpunkt eine wirksame Zustellung des Versäumungsurteils erfolgt.
Die mangelnde Beurkundung einer Zustellung berührt ihre Gültigkeit nicht (RS0084001; vgl auch RS0006957 [T4]; Stumvoll in Fasching/Konecny 3 II/2 § 24 ZustG Rz 12).
6. Mit der Ausfolgung des Versäumungsurteils am 20. 12. 2018 an den Beklagten begann daher die Frist zur Erhebung einer Berufung gegen das Versäumungsurteil zu laufen. Die erst am 29. 3. 2019 erhobene Berufung des Beklagten war damit verspätet und wurde zu Recht vom Berufungsgericht zurückgewiesen.
Dem Rekurs des Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.