JudikaturOGH

11Os3/20f – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. März 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen H***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 29. Oktober 2019, GZ 37 Hv 65/19v 20, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde H***** je mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I/1) und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I/2) sowie je eines Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (II) und nach § 83 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er in He*****

(I) zwischen Anfang 2015 und Ende August 2018 zumindest monatlich G***** dadurch, dass er

1) ihr Schläge gegen den Körper versetzte, sie aufforderte sich zu entkleiden und ihre Scheide digital, teils mit mehreren Fingern penetrierte, während er seinen Penis an ihrem Gesäß rieb, mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung genötigt,

2) ankündigte, ihr ansonsten „Türken vorbeizuschicken“, die sie „zusammenschlagen“ würden und ihr Schläge gegen den Körper versetzte, sie aufforderte sich zu entkleiden, ihre Scheide betastete und seinen Penis im Bereiche ihres Gesäßes rieb, außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt,

(II) im April 2018 G***** dadurch, dass er ihr Ohrfeigen gegen das Gesicht versetzte und sie gegen einen Küchenkasten stieß, wodurch sie zu Sturz kam und eine Verletzung am Steißbein erlitt, am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt,

(III) im August 2018 G***** dadurch, dass er ihr einen Schlag gegen den Kopf versetzte, wodurch sie einen Bluterguss im Augenbereich erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Schuldsprüche I/1 und I/2 richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 (lit) a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Entgegen der Kritik offenbar unzureichender Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) entspricht die Ableitung (US 11) der Feststellungen zum vorsätzlichen Einsatz von Gewalt und gefährlicher Drohung (Schuldspruch I) durch den Angeklagten (US 5 f) aus den Angaben der (geistig retardierten – US 4) G*****, die Schläge unabhängig von den Taten laut Schuldsprüche II sowie III und die Ankündigung von Schlägen im Fall ihrer (vom Angeklagten zugestandenen – ON 14 S 47 f, US 13 f) Weigerung und Gegenwehr schilderte (ON 2 insbes S 41 f iVm ON 8 S 3, 29, 41), und der Aussage deren Mutter zur Verknüpfung von Gewalt und sexuellen Handlungen im Rahmen von (auch schriftlich dokumentierten – ON 2 S 69 ff [S 71]) Erzählungen der Tochter (ON 14 S 28 ff [S 35]), den Kriterien logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS-Justiz RS0099413).

Ebenso mängelfrei haben die Tatrichter die Konstatierungen zur digitalen Vaginalpenetration auf die Aussage des Opfers im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung (und zwar ohnedies unter Berücksichtigung der in der Rüge relevierten Angaben zu einer Tatbegehung mit der Hand) gegründet (ON 8 S 27, 49 f – US 10 f).

Soweit die Rüge gegen die (vom Schöffensenat eingehend erörterte – US 7 ff) Annahme der Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben der G***** einwendet, das Erstgericht habe sich mit deren „in weiten Strecken widersprüchlichen, teilweise wirren Angaben im Rahmen der kontradiktorischen Einvernahme“ nicht auseinandergesetzt und wäre begründungslos den (im Übrigen mit ausführlichen Erwägungen für widerlegt erachteten – US 12 ff) Angaben des Angeklagten „hinsichtlich gewaltfreier sexueller Handlungen“ nicht gefolgt, übersieht sie, dass die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen ist (vgl RIS Justiz RS0099419, RS0106588).

Zudem verkennt die Rüge (Z 5 zweiter Fall), dass die Tatrichter mit Blick auf das Gebot zu bestimmter, jedoch gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht dazu verhalten sind, jedes Aussagedetail zu erörtern, noch verpflichtet sind, sich mit jedem gegen ihre Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde dann konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinanderzusetzen (vgl RIS Justiz RS0106295).

Insgesamt wird mit dem (unter weitwendiger Wiedergabe der tatrichterlichen Erwägungen auch zu Besonderheiten der G***** [US 7 ff] erstatten) Vorbringen gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Opfers bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bekämpft.

Die den Schuldspruch I/1 tragenden Konstatierungen zur subjektiven Tatseite (US 6) haben die Tatrichter aus den äußeren Tatumständen abgeleitet, was der das Fehlen von Beweisergebnissen für einen „Penetrationsvorsatz beim Angeklagten“ reklamierenden Rüge zuwider unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden ist (RIS Justiz RS0116882).

Die vermissten Feststellungen zur kognitiven Beeinträchtigung des Opfers sowie zur geistigen und körperlichen Befähigung des Angeklagten („Kräfteverhältnis zwischen Täter und Opfer“) finden sich in US 4 und 6, jene zum fehlenden Einverständnis des Opfers zur Vergewaltigung (der Sache nach Z 9 lit a – vgl Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 38 f; RIS-Justiz RS0095071) in US 5, wonach G***** ihren Widerwillen äußerte, den der Angeklagte durch Schläge brach.

Angesichts der rechtlichen Gleichwertigkeit der Nötigungsmittel des § 201 Abs 1 StGB (vgl Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 11) ist es nicht entscheidend, ob der Angeklagten das Opfer (auch) festhielt, womit der Einwand (Z 5 vierter Fall), die entsprechende Urteilspassage (im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – US 18) sei unbegründet geblieben, ins Leere geht.

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige, in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (vgl RIS-Justiz RS0118780).

Mit ihrem – zudem nicht auf Fundstellen in den Akten gegründeten (vgl jedoch RIS Justiz RS0124172) – Vorbringen, der Angeklagte habe sexuelle Handlungen offengelegt und das Erstgericht habe tendenziöse Antworten der G***** durch ihre Beschäftigung mit dem Sachverhalt nicht ausreichend hinterfragt und gleichzeitig die Aussagen des Angeklagten als Schutzbehauptung und unglaubwürdig dargestellt, verkennt die Tatsachenrüge die Reichweite des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (vgl erneut RIS-Justiz RS0106588 [T7]).

Gegenstand von Rechts und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) herangezogen werden kann. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnende Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§§ 259, 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen (vgl RIS Justiz RS0099810 [T31], RS0116565).

Inwiefern die Konstatierungen zum Schuldspruch I, nach denen der Angeklagte seinen erigierten Penis im Bereich des Gesäßes und des Steißbeins der G***** rieb und gleichzeitig mit seiner Hand an ihrer Scheide manipulierte, wobei er diese teilweise betastete und teilweise mit seinen Fingern digital penetrierte und deren geäußerten Widerwillen durch Schläge und Drohungen mit auf sämtliche Tatbestandselemente gerichtetem Vorsatz brach (US 4 ff), fallbezogen nach der Summe der Auswirkungen und Begleiterscheinungen und unter Berücksichtigung der Unerfahrenheit des Opfers in sexuellen Angelegenheiten (US 4) die vom Erstgericht vorgenommene Subsumtion nicht zu tragen vermögen sollten, leitet die Rüge (Z 9 [lit] a) mit dem Hinweis auf die – ihren Standpunkt gerade nicht stützende – (jüngere) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und der selektiven Hervorhebung einer einzelnen älteren Entscheidung (14 Os 61/95) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS Justiz RS0116962 [T3]). Im Übrigen erfüllt nach der gefestigten jüngeren Rechtsprechung jede digitale Penetration das Tatbild einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung (RIS Justiz RS0095004 [T17]; Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 25 ff).

Weshalb davon ausgehend Feststellungen zu einem auf „intensives“ Penetrieren gerichteten Vorsatz des Angeklagten zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich gewesen wären, erklärt die Rüge nicht.

Ebensowenig legt sie prozessordnungskonform dar, warum es sich bei der Äußerung, „Türken vorbeizuschicken, die G***** 'zusammenschlagen' werden, bzw ihr Schläge gegen den Kopf versetzen werden,“ bloß um eine Beleidigung im Sinn des § 115 StGB handeln sollte und inwiefern dies trotz der Konstatierungen zu der vom Angeklagten zur Willensbeugung als Nötigungsmittel (zudem) eingesetzten Gewalt entscheidungswesentlich sein sollte (vgl Philipp in WK 2 StGB § 202 Rz 8).

Die Feststellungen „zu einem auf fehlendes Einverständnis des Opfers gerichteten Vorsatz des Angeklagten“ finden sich in US 5, wonach der Angeklagte es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass er G*****, die oftmals ihren Widerwillen äußerte (US 4 – vgl Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 39, § 202 Rz 17), durch Schläge und Drohungen zur Duldung – teils dem Beischlaf gleichzusetzender – geschlechtlicher Handlungen nötigte. Dass (weitere) Konstatierungen zu einem „wirklichen oder vermuteten Widerstand“ und einem dahingehenden Vorsatz des Angeklagten erforderlich gewesen wären, behauptet die Rüge erneut ohne methodengerechte Darstellung.

Der abschließende Einwand, aus dem festgestellten Sachverhalt sei „der Schuldspruch nach § 201 bzw. 202 StGB“ nicht ableitbar, es bleibe „lediglich die Verurteilung nach § 83 Abs. 1 bzw. 83 Abs 2 StGB und wäre hinsichtlich dieser mit Diversion vorzugehen gewesen“, verkennt den Gegenstand einer Diversionsrüge (Z 10a) schon im Ansatz (vgl RIS-Justiz RS0124801, RS0119091, RS0116823).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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