15Os139/19h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schöll als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Johannes N***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 6. August 2019, GZ 21 Hv 72/19k 33, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die (implizite) Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Johannes N***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB abgewiesen.
Dem Antrag (ON 18) zufolge hat Johannes N***** am 2. Dezember 2018 in L***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhte, nämlich einer akuten drogeninduzierten Psychose,
I./ Martin R***** mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme von einer Verständigung der Polizei zu nötigen versucht, indem er ihn mit beiden Händen zu Boden stieß und ihm gegenüber äußerte, ob er „sterben“ wolle und er solle „ja nicht die Bullen rufen“;
II./ Pascal S***** und Maureen Michelle T*****, Polizeibeamte der Polizeiinspektion L*****, mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit dem Tod an einer Amtshandlung, nämlich der Erhebung des zu I./ geschilderten Sachverhalts und seiner Festnahme zu hindern versucht, indem er zunächst gegenüber den Genannten äußerte, dass er sie „umbringen“ werde, wenn sie ihm näherkommen würden, und sich schließlich unter Aufbietung erheblicher Körperkraft aus dem Festhaltegriff des S***** losriss,
sohin Taten begangen, die als (I./) Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und (II./) als (richtig:) Verbrechen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 (richtig:) zweiter Fall StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die nominell auf Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der keine Berechtigung zukommt:
Das Erstgericht ging – soweit hier wesentlich – davon aus (US 2 ff), dass der Betroffene seit längerer Zeit an einer cannabinoid-induzierten Psychose leidet, welche in akut-psychotischen Erkrankungsphasen eine seelische Abartigkeit höheren Grades darstellt, sodass im Tatzeitpunkt seine Dispositions- und Diskretionsfähigkeit aufgehoben war. Mit Blick auf die – weil eine Bedrohung mit dem Tod nicht festgestellt wurde (US 3 f) – verbleibende, als relativ geringfügig eingestufte Anlasstat (2./; US 9), die Krankheitseinsicht und die im Urteilszeitpunkt gegebene Behandlungs- und Betreuungssituation des Genannten verneinten die Tatrichter eine real-konkrete Befürchtung, dass der Betroffene ohne Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher unter dem Einfluss seiner seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde (US 4 f, 8 f).
Unter Berufung auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO reklamiert die Anklagebehörde „Feststellungsmängel“ betreffend die „Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose“, weil – aus ihrer Sicht – die Ausführungen des beigezogenen Sachverständigen zur Annahme hätten führen müssen, dass „nach wie vor latent“ die Gefahr bestehe, dass die Psychose im Fall eines Absetzens von Medikamenten oder eines erneuten Drogenkonsums zurückkehre. Überdies sei aus der Krankengeschichte des Betroffenen abzuleiten, dass er bereits wiederholt in stationärer Behandlung sowie in Wohngemeinschaften untergebracht war, es aber immer wieder zu Konflikten und zur Beendigung der Betreuung kam, weil er langfristig nicht vom Drogenkonsum abgehalten werden konnte.
In Bezug auf die Gefährlichkeitsprognose liegt Urteilsnichtigkeit (Z 11 zweiter Fall) dann vor, wenn eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Anlasstat) zur Gänze außer Acht gelassen wird oder die aus den gesetzlich angeordneten Erkenntnisquellen gebildete Feststellungs-grundlage die Ableitung oder die Verneinung der Befürchtung einer Tatbegehung mit schweren Folgen als willkürlich erscheinen lässt (RIS Justiz RS0118581 [T7, T13], RS0113980 [T2, T3, T7]).
Mit der Kritik, das Erstgericht habe einzelnen Passagen der Ausführungen des Sachverständigen (ON 12 S 19 f und ON 32 S 7) zur Krankengeschichte des Betroffenen keine ausreichende Beachtung geschenkt (vgl aber US 7 f), zeigt die Rüge weder das Übergehen einer gesetzlich angeordneten Erkenntnisquelle noch „Willkür“ (im oben aufgezeigten Sinn) auf, sondern spricht nur das tatrichterliche Prognoseermessen an, das ausschließlich mit Berufung zu bekämpfen ist (RIS Justiz RS0090341, RS0113980 [T1], RS0118581 [T11, T14]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Da der Sache nach der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 11 StPO geltend gemacht wurde, waren die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zur Erledigung der – somit implizit erhobenen (§ 290 Abs 1 letzter Satz StPO; Ratz , WK StPO § 290 Rz 28) – Berufung weiterzuleiten (§ 285i StPO).