1Ob229/19m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr.
Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. W*****, vertreten durch die MM Metzler Musel Rechtsanwälte GmbH, Linz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, Linz, Gruberstraße 77, vertreten durch Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, wegen 92.468,03 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 19. November 2019, GZ 4 R 161/19b 7, mit dem ihr Rekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz vom 8. Oktober 2019, GZ 31 Cg 51/19i 3, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird auf „Österreichische Gesundheitskasse“ berichtigt.
2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.
Text
Begründung:
Die Bezeichnung der ursprünglich beklagten Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse ist gemäß §§ 23 Abs 1 und 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf „Österreichische Gesundheitskasse“ zu berichtigen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadenersatz. Sie habe ihn vom 1. 1. 1994 bis zum 30. 11. 2002 nicht (auch nicht nachträglich) als Arbeitnehmer angemeldet und keine Pensionsversicherungsbeiträge für ihn einbezahlt, sodass ihm ein künftiger Pensionsausfall entstehe. Die Beklagte habe dabei in ihrer Doppelfunktion sowohl ihre Pflichten als Arbeitgeber, als auch jene als Sozialversicherungsträger verletzt. Während der auf die Arbeitgeberfunktion der Beklagten gestützte Ersatzanspruch in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht worden sei, werde die Haftung der Beklagten (für denselben Schaden) mit der vorliegenden Amtshaftungsklage darauf gestützt, dass sie in ihrer Eigenschaft als Sozialversicherungsträger (und daher in Vollziehung der Gesetze) im Rahmen ihrer regelmäßigen Beitragsprüfungen die gesetzwidrig unterlassene Anmeldung des Klägers nicht erkannt (und aufgezeigt) habe.
Der Schaden des Klägers ergebe sich daraus, dass er – in Erfüllung der ihm obliegenden Schadensminderungspflicht – Beiträge zur Pensionsversicherung nachzuentrichten habe, um dadurch den durch die unterlassene Anmeldung drohenden Pensionsentgang abzuwenden. Ersatzweise geltend gemacht werde der von ihm im Rahmen der Nachzahlung zu tragende Dienstgeberanteil sowie der Entgang des Steuervorteils, der sich daraus ergebe, dass er den ebenfalls nachzuzahlenden Dienstnehmeranteil nicht – wie bei laufender Entrichtung – von der Steuer absetzen könne.
Die Beklagte erhob im Hinblick auf das vom Kläger eingeleitete arbeitsgerichtliche Verfahren, in dem er die Beklagte mit einer weitgehend identen Begründung für die aus der unterlassenen Anmeldung als Dienstnehmer entstandenen – auch im vorliegenden Verfahren geltend gemachten – Schäden in Anspruch nehme, den Einwand der Streitanhängigkeit, zumal sich der Kläger auch im arbeitsrechtlichen Verfahren (hilfsweise) auf eine Amtshaftung der Beklagten gestützt habe. Hilfsweise erhob die Beklagte die „Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs“ (gegründet auf eine behauptete Nichtausschöpfung von Rechtsbehelfen iSd § 2 Abs 2 AHG) sowie eine Reihe inhaltlicher Einwände gegen den Amtshaftungsanspruch. Wiederum hilfsweise wurde die Unterbrechung des vorliegenden Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens beantragt, „zumal der Kläger nicht ernsthaft erwarten dürfe, den jeweils in diesem und im Cga Verfahren eingeklagten Betrag zweimal zugesprochen zu erhalten“. Die Anträge der Beklagten lauteten konkret, die Klage zurückzuweisen, hilfsweise abzuweisen, in eventu das Verfahren zu unterbrechen.
Der Kläger entgegnete, dass mit der vorliegenden Klage kein „doppelter Anspruch“ erhoben werde, sondern der Ersatzanspruch jeweils (im Hinblick auf das arbeitsgerichtliche Verfahren) auf unterschiedliche Rechtsgründe gestützt werde. Hier sei die Amtshaftung der Beklagten als Sozialversicherungsträgerin zu beurteilen, die im Rahmen ihrer „Beitragsprüfungen“ (also in Vollziehung der Gesetze) die Unzulässigkeit der unterlassenen Anmeldung des Klägers als Dienstnehmer erkennen hätte müssen, wohingegen im arbeitsgerichtlichen Verfahren nur Ansprüche aus dem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis geltend gemacht würden. Der Einwand der Streitanhängigkeit sei daher unberechtigt. Aus „prozessökonomischen Gründen“ werde dem Unterbrechungsantrag der Beklagten beigetreten.
Das Erstgericht unterbrach das Verfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des vom Kläger eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Verfahrens, ohne dies zu begründen. Der Beschluss enthielt lediglich einen Hinweis auf § 190 ZPO.
Das Rekursgericht wies den Rekurs der Beklagten mangels Beschwer zurück, weil sie selbst die Unterbrechung beantragt habe; dieser Antrag sei nicht als Eventualantrag in dem Sinn aufzufassen, dass er nur bei Verwerfung der Einrede der Streitanhängigkeit zum Tragen käme. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Beklagten ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch zulässig und berechtigt.
1. Gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO sind Beschlüsse unanfechtbar, mit denen der angefochtene erstrichterliche Beschluss zur Gänze bestätigt worden ist, es sei denn, dass die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden wäre. Eine Bestätigung der Entscheidung durch das Rekursgericht liegt vor, wenn beide Instanzen nach meritorischer Prüfung zum selben Ergebnis gelangen (RIS Justiz RS0044215 [T1]), auch wenn sie sich unterschiedlicher Entscheidungsformen bedienen (RS0044215 [T7]). Wesentlich ist, ob das Rekursgericht eine inhaltliche Änderung des (erkennbaren) Entscheidungswillens des Erstgerichts vorgenommen hat (vgl RS0044456 [T2]). Hier hat sich das Rekursgericht mit dem Rekurs der Beklagten inhaltlich nicht auseinandergesetzt, sondern diesen ohne meritorische Prüfung des (nicht begründeten) angefochtenen Beschlusses zurückgewiesen, sodass von keiner bestätigenden Entscheidung iSd § 528 Abs 2 Z 2 ZPO und daher von keiner Unzulässigkeit des Revisionsrekurses nach dieser Bestimmung auszugehen ist.
2. Inhaltlich kann der Argumentation des Rekursgerichts nicht gefolgt werden, weil die Beklagte die Unterbrechung des vorliegenden Verfahrens (im Hinblick auf das arbeitsgerichtliche Verfahren) nur „hilfsweise“ begehrt hat. Primär wurde klar erkennbar eine Entscheidung über die geltend gemachten Prozesseinreden und den daraus abgeleiteten Antrag auf Zurückweisung der Klage angestrebt. Das Rekursgericht durfte daher nicht davon ausgehen, dass die Beklagte primär die Unterbrechung des Verfahrens beantragt hat, und ihren gegen den erstinstanzlichen Unterbrechungsbeschluss gerichteten Rekurs daher nicht mangels Beschwer zurückzuweisen. Die das Rechtsmittel der Beklagten aus formellen Gründen zurückweisende Entscheidung ist daher aufzuheben und dem Rekursgericht die inhaltliche Entscheidung darüber aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.