JudikaturOGH

7Nc34/19p – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon. Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Gerhard Podovsovnik LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** D*****, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel, Rechtsanwalt in Wien, wegen 55.092,54 EUR sA, infolge Anzeige eines negativen Kompetenzkonflikts durch das Handelsgericht Wien zu AZ 35 Cg 77/19s, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Zur Verhandlung und Entscheidung in der Rechtssache ist das Handelsgericht Wien zuständig; dessen Beschluss vom 14. November 2019, GZ 35 Cg 77/19s 13, wird aufgehoben.

Text

Begründung:

Das von der Klägerin mit ihrer Mahnklage vom 18. Juni 2019 ursprünglich angerufene Landesgericht Ried im Innkreis erklärte sich – mangels Erreichens der Streitwertgrenze nach §§ 49 f JN – a limine für sachlich unzuständig und überwies die Rechtssache aufgrund des von der Klägerin schon im Verbesserungsverfahren hilfsweise gestellten Überweisungsantrags an das Bezirksgericht Schärding.

Der Beklagte erhob in seinem Einspruch gegen den vom Bezirksgericht antragsgemäß erlassenen Zahlungsbefehl die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit, weil die Sache vor den Gerichtshof als Handelsgericht gehöre.

Am Tag vor der vom Bezirksgericht Schärding für 24. Oktober 2019 anberaumten vorbereitenden Tagsatzung erstattete die Klägerin einen Schriftsatz, in dem sie bekanntgab, die Parteien hätten sich nunmehr auf einen „Gerichtsstand Wien Handelsgericht“ geeinigt; der Termin möge abberaumt und die Sache an das nunmehr zuständige Handelsgericht Wien überwiesen werden.

In der Tagsatzung am 24. Oktober 2019 gab der Beklagte an, dass „dieser Gerichtsstandsvereinbarung zugestimmt“ werde; beide Parteien beantragten die Überweisung an das Handelsgericht Wien.

Daraufhin verkündete das Bezirksgericht Schärding den Beschluss auf Überweisung der Sache gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das Handelsgericht Wien, der unmittelbar in Rechtskraft erwuchs, weil beide Parteien auf Beschlussausfertigung und Rechtsmittel verzichteten.

Das Handelsgericht Wien fasste am 14. November 2019, GZ 35 Cg 77/19s 13, einen Beschluss, mit dem es sich für weder sachlich noch örtlich zuständig erklärte. Bereits das Landesgericht Ried im Innkreis habe „rechtswirksam die Frage der Wertzuständigkeit des Gerichtshofes abschließend entschieden“. Das Bezirksgericht Schärding habe deshalb nur noch die örtliche Zuständigkeit oder eine Sonderzuständigkeit berücksichtigen können. Die Beklagte sei nicht im Firmenbuch registriert, sodass auch keine rechtsgültige Gerichtsstandsvereinbarung an das Handelsgericht Wien habe getroffen werden können, was vom verhandelnden Richter zu berücksichtigen gewesen wäre. Der Überweisungsbeschluss sei deshalb „nicht bloß mangelhaft, sondern nichtig, weil die sachliche Wertzuständigkeit nicht (mehr) prorogabel gewesen“ sei. Damit sei auch die „in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 261 Abs 6 ZPO angeführte Bindungswirkung ausnahmsweise nicht gegeben“. Die Möglichkeit die Zuständigkeit im Rahmen der Delegierung zu begründen, scheide wegen Überschreitung der Oberlandesgericht Sprengel aus.

Dieser Beschluss wurde beiden Parteien zugestellt und erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Das Handelsgericht Wien legt nunmehr die Rechtssache dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 47 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Zur Entscheidung der Rechtssache ist das Handelsgericht Wien aus folgenden Erwägungen berufen:

1. Die in den Sprengeln verschiedener Oberlandesgerichte gelegenen Gerichte haben jeweils rechtskräftig ihre Zuständigkeit verneint, und zwar das Bezirksgericht Schärding durch die Überweisung aufgrund eines einvernehmlichen Parteienantrags und das Handelsgericht Wien nach Prüfung seiner sachlichen und örtlichen Zuständigkeit, sodass die Voraussetzungen des § 47 JN für die Entscheidung des (negativen) Kompetenzkonflikts durch den Obersten Gerichtshof gegeben sind (RS0046354; RS0046374). Die Entscheidung nach § 47 JN durch den Obersten Gerichtshof hat im Fünfersenat nach § 6 OGHG zu erfolgen (RS0126085).

2.1. Nach § 31a Abs 1 JN hat das Gericht erster Instanz die Sache einem anderen Gericht gleicher Art zu übertragen, wenn die Parteien dies spätestens zu Beginn der mündlichen Streitverhandlung übereinstimmend beantragen. Für den weiteren Gang des Verfahrens gilt nach § 31a Abs 3 JN der § 261 Abs 6 sechster bis achter Satz ZPO sinngemäß.

2.2. Der gemeinsame Antrag der Parteien auf Überweisung an das Handelsgericht ist als übereinstimmender Parteienantrag iSd § 31a JN zu verstehen.

3.1. Dieser Antrag und der dem Antrag stattgebende (und die Rechtssache nach § 261 Abs 6 ZPO dem Handelsgericht Wien überweisende) Beschluss des Bezirksgerichts Schärding vom 24. Oktober 2019 waren insofern verfehlt, als nach § 31a JN nur die Delegation zu einem Gericht gleicher Art – dies allerdings ohne örtliche Beschränkungen – zulässig gewesen wäre (RS0107459 [T2]; Horn in Fasching/Konecny 3 § 31a JN [2013] Rz 4 f; Mayr in Rechberger/Klicka , ZPO 5 [2019] § 31a JN Rz 2). Einer Übertragung gemäß § 31a Abs 1 JN stehen die durch die sachliche Eigenzuständigkeit bedingten Prorogationsgrenzen entgegen; die Übertragung von einem Bezirksgericht an einen Gerichtshof erster Instanz ist daher immer unzulässig (

RS0046137). Die Überweisung vom Bezirksgericht Schärding an das Handelsgericht Wien war daher insofern gesetzwidrig.

Im Übrigen liegt aber entgegen der Ansicht des Handelsgerichts Wien eine seiner Zuständigkeit entgegenstehende rechtskräftige Entscheidung des Landesgerichts Ried im Innkreis in Ansehung der sachlichen Unzuständigkeit des Gerichtshofs schon deshalb nicht vor, weil im damaligen Verfahrensstadium der Beklagte noch nicht Gelegenheit hatte, zur Zuständigkeitsfrage Stellung zu nehmen, sodass das Bezirksgericht Schärding, an das die Rechtssache nach § 230a ZPO überwiesen wurde, nicht an den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis gebunden war (vgl RS0039113).

3.2. Der Beschluss des Bezirksgerichts Schärding erwuchs jedoch in Rechtskraft. Auch ein unrichtiger, aber in Rechtskraft erwachsener Beschluss nach § 31a JN hat nach der Rechtsprechung Bindungswirkung; dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Übertragung der Rechtssache gefehlt hätten, kann daher bei der Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt nicht berücksichtigt werden (RS0046135; RS0046141; vgl RS0039931 [zu § 261 Abs 6 ZPO]; Horn aaO Rz 22); auch die Unzulässigkeit der Übertragung von einem Bezirksgericht an einen Gerichtshof erster Instanz kann nach Rechtskraft des Delegierungsbeschlusses nicht mehr wahrgenommen werden (

RS0046137).

Die im Schrifttum vertretene gegenteilige Ansicht ( Mayr aaO Rz 3 mwN; ebenso nunmehr Schneider in Fasching/Konecny 3 § 47 JN [2013] Rz 34), auf die sich erkennbar auch das Handelsgericht Wien stützt, führt für die „ausnahmsweise“ Überprüfbarkeit nur die rechtspolitischen Überlegungen ins Treffen, dass damit die ohnehin nur geringen Zulässigkeitsschranken der Delegation gewährleistet bzw nicht weiter ausgedehnt werden sollten. Dieser Auffassung wurde aber bereits zu 7 Ob 234/98g entgegengehalten, dass sie die Rechtskraft des (allenfalls unrichtigen) Überweisungsbeschlusses nicht berücksichtigt.

Daran ist festzuhalten, haben doch die Vorschriften über die Bindung an rechtskräftige Entscheidungen über die Zuständigkeit und an Überweisungbeschlüsse den Zweck, Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen, womit der Gesetzgeber in Kauf nimmt, dass allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird (RS0046391).

4. Daraus folgt, dass der Unzuständigkeitsbeschluss des Handelsgerichts Wien gegen die Bindungswirkung der Entscheidung des Bezirksgerichts Schärding verstößt. Es waren daher die Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien auszusprechen und der Unzuständigkeitsbeschluss des zuständigen Gerichts aufzuheben (RS0046377).

Rückverweise