JudikaturOGH

5Ob113/19g – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. MMag. A*****, 2. Mag. A*****, beide vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 16.296,90 EUR sA, aus Anlass des Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 24. Mai 2019, GZ 5 R 43/19m 19, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 1. Februar 2019, GZ 29 Cg 52/18t 15, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Verfahren 5 Ob 113/19g wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Klagenfurt zu AZ 21 Cg 74/18v, Rechtssache C-343/19, vom 17. April 2019 unterbrochen.

Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Text

Begründung:

Die Kläger haben von einem Vertragshändler der Beklagten in Villach ein von der Beklagten produziertes Kraftfahrzeug gekauft.

Die Kläger begehren von der Beklagten die Zahlung von 16.296,90 EUR samt Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs, in eventu die Zahlung von 6.000 EUR samt Zinsen, in eventu die Feststellung, dass die Beklagte für jeden Schaden haftet, welcher den Klägern aus dem Kauf des Kraftfahrzeugs und dem darin verbauten Dieselmotor entsteht.

Zur Begründung ihrer Ansprüche brachten die Kläger vor, dass der in ihrem Fahrzeug verbaute Dieselmotor von dem von der Beklagten zu verantwortenden Abgasmanipulationsskandal betroffen sei. Der Anspruch auf Zahlung des um ein Benützungsentgelt reduzierten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs stütze sich auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, insbesondere auf arglistige Irreführung nach § 874 ABGB, deliktischen Schadenersatz in Form der Naturalrestitution (§ 1295 iVm § 1323 ABGB), § 2 UWG sowie Verletzung von Schutzgesetzen. Sollte eine Naturalrestitution nicht möglich sein, werde als erstes Eventualbegehren Geldersatzanspruch aus dem Titel der Vermögensschädigung gemäß § 1331 und § 1295 Abs 2 ABGB gefordert. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass aufgrund des mittlerweile erfolgten Updates ein heute nicht einschätzbarer erhöhter Verschleiß im Bereich des Abgassystems eintrete, werde als weiteres Eventualbegehren ein Feststellungsbegehren erhoben.

Die internationale und örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für diese primär auf deliktische Schadenersatzansprüche gestützte Klage ergebe sich (insbesondere) aus Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Der demnach maßgebliche Ort des Schadenseintritts sei jener Ort, an dem das Fahrzeug gekauft und übergeben worden sei. Die Minderung des Vermögens der Kläger sei mit Zahlung des Kaufpreises und Übergabe des Fahrzeugs eingetreten. Dieser Erfolgsort sei hier demnach im Sprengel des angerufenen Gerichts gelegen.

Die Beklagte erhob die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit, bestritt das Klagevorbringen und beantragte die Abweisung der Klage. Ihre Unzuständigkeitseinrede begründete die Beklagte (unter anderem) damit, dass die Voraussetzungen für eine Zuständigkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 nicht vorlägen. Diese Zuständigkeitsbestimmung sei einschränkend auszulegen. Als Erfolgsort komme nur jener Ort in Betracht, an dem sich die Schädigung zuerst auswirke und wo das geschützte Rechtsgut verletzt werde. Das sei hier, die behauptete Schädigung einmal unterstellt, die Bundesrepublik Deutschland, das Land, in dem die Beklagte ihren Unternehmenssitz habe. Die vermeintlichen Schäden, die nach dem Klagevorbringen aufgrund der behaupteten Manipulationen eingetreten sein sollen, seien bloße Folgeschäden, die als bloße „Auswirkung“ eines bestimmten Verhaltens auf Österreich zur Begründung der österreichischen internationalen Zuständigkeit nicht ausreichen. Eine Auslegung, dass der Erfolgsort in Österreich liege, stehe nicht im Einklang mit dem Sinn und Zweck des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 und der Rechtsprechung des EuGH. Weder handle es sich um einen sachgerechten oder beweisnahen Gerichtsort, noch werde damit gewährleistet, dass es für eine beklagte Partei ex ante absehbar sei, wo sich der Deliktsgerichtsstand befinde.

Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler und örtlicher Unzuständigkeit zurück. Die Kläger stützten die geltend gemachten Ansprüche (unter anderem) zwar auf einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus einer unerlaubten Handlung iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Der Handlungsort des vermeintlich schädigenden Ereignisses, also jener Ort, an dem sich das Ereignis verwirklicht habe, das zum behaupteten Schaden geführt habe, sei aber der Ort, an dem die Software aufgespielt worden sei. Dieser liege eindeutig nicht in Österreich, das angerufene Gericht sei daher gegenüber der Beklagten nicht nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 international und örtlich zuständig.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger Folge und verwarf die von der Beklagten erhobene Einrede der internationalen und örtlichen Zuständigkeit. Das Landesgericht Klagenfurt sei für die Klage der Kläger gegen die Beklagte wegen Manipulationen von Abgaswerten, somit wegen einer unerlaubten Handlung gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012, zuständig. Dieser (fakultative) Gerichtsstand sei verordnungsautonom zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) erfasse dieser Gerichtsstand sowohl den Ort des ursächlichen Geschehens als auch den Ort, an dem der Schaden eingetreten sei oder einzutreten drohe. Bei Distanzdelikten könne sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort geklagt werden. Der Erfolgsort sei hier der Ort, an dem das Fahrzeug gekauft worden sei (somit Villach), weil erst an diesem Ort das haftungsauslösende Ereignis die Kläger direkt geschädigt habe und damit die Schädigung zuerst eingetreten sei. Der Schaden der Kläger – die Verminderung ihres Vermögens – sei in Österreich eingetreten, weil sie in Villach Eigentum am Fahrzeug erworben hätten und erst zu diesem Zeitpunkt der behauptete Schaden aufgrund der behaupteten vorsätzlichen Manipulationen der Beklagten bei den Klägern entstehen habe können. Von einem bloßen Folgeschaden könne daher keine Rede sein. Der von den Klägern behauptete Primärschaden liege nämlich im bezahlten Kaufpreis für ein Fahrzeug mit einer manipulierten Software. Schon aufgrund des Abschlusses des Kaufvertrags und der Auslieferung des Fahrzeugs in Villach liege auch ausreichende Beweis und Sachnähe vor. Die Prämisse der Beklagten, die Gerichte am Sitz der Beklagten seien „objektiv am besten für die Beweiserhebung und Prozessdurchführung geeignet“, sei zweifelhaft. Es könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die für die Überprüfung der Vorwürfe der Kläger relevanten Vorgänge überhaupt am Sitz der Beklagten stattgefunden hätten. Eine größere Sachnähe zu einem anderen Ort als dem der Übergabe sei daher nicht erkennbar. Das Gleiche gelte für die Beweisnähe. Auch die mit der Vervielfachung der Gerichtsstände verbundene Gefahr des „Forumshopping“ sei im europäischen Justizraum angesichts der bereits erfolgten und noch zu erwartenden Vereinheitlichung des Kollisionsrechts hinnehmbar; überdies zeichne sich der Gerichtsstand des Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 ohnedies durch eine besondere Sachnähe territorialer Art aus. Für die Beklagte sei es auch keinesfalls unvorhersehbar gewesen, dass sie vor einem österreichischen Gericht in Anspruch genommen werde, wenn ein von ihr hergestelltes mangelhaftes Fahrzeug von einem österreichischen Vertragshändler vertrieben werde. Nach der Rechtsprechung sei der Zuständigkeitstatbestand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 zwar auf die Geltendmachung bloßer Vermögensschäden nicht anwendbar, die Entscheidungen dazu hätten aber durchwegs anders gelagerte Sachverhalte betroffen. Insbesondere habe der Oberste Gerichtshof die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden bei einem Verstoß gegen ein Schutzgesetz, eine vorwerfbare Verletzung eines absoluten Rechts, ein sittenwidriges Verhalten des Schädigers oder wenn sich die Rechtswidrigkeit des schädigenden Verhaltens sonst aus der Rechtsordnung unmittelbar aufgrund eines Gesetzes ableiten lasse, bejaht. In einem solchen Fall sei auch Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 anwendbar. Auch wenn die Kläger daher nur einen bloßen Vermögensschaden als Primärschaden geltend machten, sei das behauptete Verhalten der Beklagten eine Schutzgesetzverletzung. Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls ergebe sich daher die Zuständigkeit des Landesgerichts Klagenfurt nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Trotz zahlreicher gleichartiger Verfahren gebe es zu der (auch in der Lehre strittigen) Rechtsfrage der internationalen Zuständigkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 für Klagen inländischer Pkw-Käufer gegen die deutsche Herstellerin wegen der behaupteten Abgasmanipulationen keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts abzuändern, die internationale und örtliche Unzuständigkeit des Landesgerichts Klagenfurt auszusprechen und die Klage zurückzuweisen. Hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.

Die Kläger beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs nicht zuzulassen, in eventu diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Über seine Berechtigung wird aber erst nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache des Landesgerichts Klagenfurt zu AZ 21 Cg 74/18v zu entscheiden sein.

Aus Anlass einer Sammelklage österreichischer Prägung betreffend Schadenersatzklagen mehrerer durch die behaupteten Abgasmanipulationen der Beklagten geschädigter Fahrzeugkäufer legte das Landesgericht Klagenfurt in diesem Verfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Ist Art 7 Nr 2 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- bzw Handelssachen dahin auszulegen, dass unter Umständen wie in jenen des Ausgangsverfahrens als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat?

Die Beantwortung dieser Frage ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich, weil der hier zu beurteilende Sachverhalt mit jenen des Verfahrens vor dem Landesgericht Klagenfurt vergleichbar ist und sich deshalb auch dieselben Rechtsfragen stellen wie in diesem Ausgangsverfahren. Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist das vorliegende Verfahren daher zu unterbrechen (RIS-Justiz RS0110583; vgl 4 Ob 117/19p; 4 Ob 119/19g; 5 Ob 115/19a). Eine acte clair-Situation liegt nicht vor. Die Frage der internationalen (und örtlichen) Zuständigkeit für die (auch) hier geltend gemachten deliktischen Schadenersatzansprüche betrifft eine große Anzahl von Pkw-Käufern, wurde in mehreren Entscheidungen erst- und zweitinstanzlicher Gerichte unterschiedlich gelöst und im Schrifttum kontroversiell diskutiert. Für die von den Klägern selbst hilfsweise angeregte Ergänzung des Vorabentscheidungsersuchens besteht nach derzeitigem Verfahrensstand kein Anlass (vgl 5 Ob 115/19a).

Rückverweise