11Os108/19w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sysel als Schriftführer in der Strafsache gegen Ziad A***** und einen weiteren Angeklagten wegen der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2, Abs 4 erster Fall FPG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten A***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. März 2019, GZ 43 Hv 94/18h 63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten A***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ziad A***** der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 (nur A./I./2./ und 3./), Abs 4 erster Fall FPG, § 15 StGB (hinsichtlich A./I./3./), sowie nach § 12 zweiter Fall StGB, § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG (A./II./) und der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG (B./) schuldig erkannt.
Danach hat er – soweit relevant und gekürzt wiedergegeben – in W***** und andernorts
A./ zwischen 4. November 2014 und 27. Mai 2016 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, bestehend aus ihm, mehreren im Urteil namentlich genannten sowie unbekannten Tätern gewerbsmäßig im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter die rechtswidrige Einreise in bzw Durchreise von zumindest drei Fremden durch Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit dem Vorsatz gefördert und zu fördern versucht, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern,
I./ indem er in mehreren im Urteil konkret bezeichneten Fällen seine Mittäter kontaktierte, den Kontakt zwischen ihnen und den zu Schleppenden herstellte, ihnen für den Transport Geld gab bzw Kokain überließ und ihnen den Zielort nannte,
II./ indem er mit einem unbekannten Täter [den rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten] Srecko Z***** dazu anstiftete, den Kontakt zwischen diesem und acht Fremden herstellte, ihm die notwendigen Informationen für die geplante Schleppung gab, und Z***** die Fremden daraufhin von W***** aus Richtung Deutschland beförderte, wobei er noch auf österreichischem Bundesgebiet betreten wurde;
B./ vorschriftswidrig eine nicht exakt festzustellende, die Grenzmenge [§ 28b SMG] nicht übersteigende Menge Kokain mit zumindest durchschnittlichem Wirkstoffgehalt von 20 % reinem Cocain gewerbsmäßig anderen überlassen, und zwar
I./ von Februar bis Mai 2016 in mehrfachen Angriffen zumindest 45 Gramm dem Srecko Z*****,
II./ am 24. März 2016 einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts 0,5 Gramm.
Nach Urteilsverkündung meldete der zu diesem Zeitpunkt unverändert durch seinen Wahlverteidiger vertretene (ON 76 S 7 in ON 2, ON 62 S 2) Angeklagte binnen der Frist gemäß §§ 284, 294, jeweils Abs 1 erster Satz StPO rechtzeitig die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 65).
Am 28. Mai 2019 wurde dem Wahlverteidiger eine Urteilsausfertigung samt den Protokollen der Hauptverhandlung vom 21. März (ON 57) und 27. März 2019 (ON 62) durch Hinterlegung zugestellt (ON 69 S 2; vgl auch die Eintragungen im Register der Verfahrensautomation Justiz [VJ]).
Vor Ablauf der vierwöchigen Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel gab der Angeklagte A***** mit Eingabe vom 3. Juni 2019 die Beendigung seines bisher zu seinem Wahlverteidiger bestehenden Vollmachtsverhältnisses bekannt (ON 72).
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. Juni 2019 (ON 73) wurde dem genannten Angeklagten ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben (§ 61 Abs 2 iVm Abs 1 Z 6 StPO) und der mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19. Juni 2019 zur Verfahrenshelferin bestellten Rechtsanwältin (ON 74) sowohl das Urteil als auch das Protokoll der Hauptverhandlung vom 27. März 2019 am 24. Juni 2019 zugestellt (ON 73; s auch die VJ Eintragungen; vgl RIS Justiz RS0124686).
Mit letztlich am 22. Juli 2019 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingebrachtem Schriftsatz führte die bestellte Verfahrenshilfeverteidigerin die angemeldeten Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung aus (ON 76).
Rechtliche Beurteilung
Da die neuerlich erfolgte Zustellung der Urteilsausfertigung an die Verfahrenshilfeverteidigerin keinen Einfluss auf die Frist (§§ 285 Abs 1, 294 Abs 2 StPO) zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel hat und § 63 Abs 1 StPO (auch hinsichtlich der vom letzten Teilsatz des Abs 2 leg cit erwähnten Konstellation) nur – was gegenständlich jedoch nicht zutrifft – für nicht durch einen Verteidiger vertretene Angeklagte gilt (RIS Justiz RS0116182, RS0125686 [T1 und T2]; Ratz , WK StPO § 285 Rz 2; Soyer/Schumann , WK StPO § 63 Rz 8 f, 11 ff), war die am 22. Juli 2019 eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde daher jedenfalls verspätet.
Da in der Rechtsmittelanmeldung (ON 65) keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet wurden und auf die in der verspäteten Ausführung geltend gemachten Gründe nicht Bedacht zu nehmen ist (RIS Justiz RS0100168), war die (überdies zu den Schuldsprüchen A./I./ und II./ ohne deutliche und bestimmte Bezeichnung eines Nichtigkeitsgrundes bloß im Sinn eines umfassenden Anfechtungswillens undifferenziert angemeldete [ON 65] und in der Folge unausgeführte [§§ 285 Abs 1 letzter Satz, 285a Z 2, 285d Abs 1 Z 1 StPO]) Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß §§ 285a Z 2, 285d Abs 1 Z 1 StPO bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.
Bleibt anzumerken, dass das Unterbleiben einer fristgerechten Rechtsmittelausführung durch den Wahlverteidiger (trotz der ihn nach Auflösung des Vollmachtsverhältnisses außer im Fall des § 63 Abs 2 letzter Halbsatz StPO treffenden Pflicht; vgl Soyer/Schumann , WK StPO § 63 Rz 30, 33) ein dem Angeklagten zuzurechnendes (RIS Justiz RS0101272), die Wiedereinsetzung ausschließendes grobes Verschulden im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO darstellt (11 Os 147/14y, 13 Os 15/19h), weshalb ein zugleich mit der verspäteten Ausführung der Rechtsmittel gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Änderung der Sachlage bewirkt hätte.
Anlass für ein amtswegiges Vorgehen (§ 290 Abs 1 StPO) besteht nicht.
Im Übrigen sei darauf verwiesen, dass der verspätet, ausschließlich zum Schuldspruch B./ ausgeführten, auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten auch inhaltlich keine Berechtigung zugekommen wäre.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – wie schon die Generalprokuratur zutreffend ausführte – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Anzumerken verbleibt, dass zu A./I./2./ zwar „mindestens drei“ Fremde (Abs 3 Z 2 in der seit 1. 10. 2015 geltenden Fassung), aber keine „größere Zahl“ (Abs 3 Z 2 aF) geschleppt wurden, demnach diese Tat nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 erster Fall in der zur Tatzeit geltenden Fassung zu subsumieren gewesen wäre.
Dieser – ungerügt gebliebene – Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) bleibt jedoch – angesichts der nach § 114 Abs 4 FPG erfolgten Strafrahmenbildung sowie des Umstands, dass er die vom Erstgericht angenommenen besonderen Erschwerungsgründe nicht tangiert (US 19) für den Angeklagten per se ohne Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher nicht zu amtswegigem Vorgehen bestimmt. Das Oberlandesgericht ist an den aufgezeigten Subsumtionsfehler nicht gebunden (RIS Justiz RS0118870).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.