11Os48/19x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 3. September 2019 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, Dr. Bachner-Foregger, Mag. Fürnkranz und Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der FI Mock als Schriftführerin in der Strafsache gegen D***** wegen der Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Jänner 2019, GZ 145 Hv 52/18g 30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Schuldsprüche des D***** enthält, wurde – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz – D***** gemäß § 259 Z 3 StPO von der wider ihn erhobenen Anklage freigesprochen, er habe am 2. oder 3. Februar 2018 in Wien in zumindest zwei Angriffen B***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er
„1./ diese auf das Bett schubste, ihr die Hose auszog, obwohl sie versuchte, diese wieder nach oben zu ziehen, ihr dann gegen den Kopf und gegen das Gesicht Schläge versetzte, ihre Hände festhielt, und als sie schrie, ihr den Mund zuhielt und dann vaginal ohne Kondom in sie eindrang,
2./ nach einer Pause von ca. 20 Minuten nach der im Punkt 1./ geschilderten Tathandlung die am Bett liegende B***** an Oberkörper und Oberarmen packte, zu sich führte, diese dann unter sich legte, wobei B***** versuchte, ihn mit ihren Händen hinunterzustoßen, was ihr jedoch nicht gelang, woraufhin er ihr eine Ohrfeige versetzte, sie aufforderte, sich nicht so viel zu bewegen, und dann erneut vaginal ohne Kondom in sie eindrang.“
Rechtliche Beurteilung
Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Ziel eines Schuldspruchs wegen des Vergehens der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB.
Die Mängelrüge behauptet im Ergebnis eine unvollständige und unzureichende Begründung (Z 5 zweiter und vierter Fall) der Feststellung, wonach „im Zweifel davon auszugehen [ist], dass der Angeklagte B***** aber letztlich doch dazu überreden konnte, mit ihm freiwillig – ohne Gewaltanwendung – einen ohne Kondom durchgeführten vaginalen Beischlaf zu vollziehen“ (US 10; vgl auch US 17).
Inwiefern die im Rechtsmittel zitierten Passagen aus der Aussage des Angeklagten, wonach er B***** nach deren anfänglichem „Nein“ dann doch zum Geschlechtsverkehr habe überreden können (ON 29 S 13), ihm „scheint, es war freiwillig“ und er „sie nicht zwingen [werde]“ (ON 29 S 18), der kritisierten Urteilsannahme zur Freiwilligkeit des Geschlechtsverkehrs erörterungsbedürftig entgegenstehen sollen, erklärt die Beschwerde nicht.
Das von D***** gegenüber B***** von Anbeginn der Beziehung gesetzte Verhalten (vgl US 6) hat das Schöffengericht – dem weiteren Einwand zuwider – sehr wohl in seine Überlegungen zur mangelnden Widerlegbarkeit der Aussage des Angeklagten bzw zur (Un )Glaubwürdigkeit der belastenden Angaben der B***** miteinbezogen (vgl US 17).
Mit ihrer Kritik an den Erwägungen der Tatrichter zur vom Angeklagten angedrohten Information des Vaters der B***** über den stattgefundenen Geschlechtsverkehr (vgl US 7, 18) und selbstständiger Würdigung der Aussage des Alush Z***** begibt sich die Rüge auf die Ebene einer im schöffengerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.
Die eine Verurteilung wegen des Vergehens der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB anstrebende Rechtsrüge (Z 9 lit a) argumentiert nicht auf Basis des Urteilssachverhalts und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materiell rechtlicher Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).
Denn das Beschwerdevorbringen, die Vornahme des Beischlafs sei gegen den Willen der B***** (vgl § 205a Abs 1 erster Fall StGB) erfolgt, die ihr fehlendes Einverständnis zum Geschlechtsverkehr „ein- bis zweimal mit dem Wort 'Nein' und allfälligen Abwehrbewegungen“ zum Ausdruck gebracht habe (US 10), übergeht die – mit Mängelrüge nicht erfolgreich bekämpfte – Feststellung, wonach der Angeklagte seine Freundin zum Geschlechtsverkehr „letztlich doch“ überreden konnte und dieser daher letztlich freiwillig erfolgte (US 10, 17).
Auch das weitere, die Ausnützung einer Zwangslage (§ 205a Abs 1 zweiter Fall StGB) und/oder eine vorangegangene Einschüchterung (§ 205a Abs 1 dritter Fall StGB) der B***** behauptende Vorbringen orientiert sich nicht an der Gesamtheit der erstrichterlichen Konstatierungen, sondern übergeht die Urteilsannahmen, wonach sich die bei ihren Eltern wohnende B***** vor dem Vorfall am 2. oder 3. Februar 2018 trotz der verbalen und körperlichen Übergriffe des D***** fast täglich mit diesem traf (US 6), mit dem Aufsuchen eines Hotels zwecks „Überprüfung ihrer Jungfräulichkeit“ einverstanden war (US 9 f, US 16 f) und sich nach dem Austausch von Zärtlichkeiten letztlich zum Geschlechtsverkehr überreden ließ (US 10).
Soweit die Beschwerdeführerin vermeint, aufgrund des dem Schuldspruch II./ wegen § 107b Abs 1 StGB zugrundeliegenden gewaltsamen Verhaltens des Angeklagten im Zeitraum von Ende Dezember 2017 bis März 2018 (vgl US 6, 9) und der – zum Schuldspruch I./ (wegen § 144 Abs 1 StGB somit ab Mitte Februar 2018) – angenommenen „Drucksituation“ der B***** (vgl US 7 f) sei von einer Zwangslage und ihrer vorangegangenen Einschüchterung zum Vorfallszeitpunkt Anfang Februar 2018 auszugehen, und mit eigenen beweiswürdigenden Überlegungen für ihren Standpunkt günstigere „Ersatzfeststellungen“ anstelle der tatsächlich getroffenen Konstatierungen begehrt, zeigt sie weder einen Rechtsfehler mangels Feststellungen noch einen Feststellungsmangel auf, sondern argumentiert erneut nach Art einer Schuldberufung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).