11Os67/19s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juli 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Strafsache gegen Rudolf S***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des genannten Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 18. März 2019, GZ 80 Hv 70/18k 59, weiters über dessen Beschwerde gegen einen Beschluss nach § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten Rudolf S***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Angeklagten Christian M***** enthält, wurde Rudolf S***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (I./) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach haben S***** und M***** am 29. September 2018 in St. ***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter
I./ Rudolf K***** absichtlich schwer am Körper verletzt, indem S***** ihn zunächst mit einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden streckte und nachfolgend den zu Hilfe eilenden Laurent B***** vom Eingreifen abhielt, während M***** mit den Füßen gegen den Kopf, Oberkörper und die Beine des am Boden liegenden 72 jährigen Mannes trat, wodurch dieser eine komplizierte, operativ zu versorgende mehrfache Nasenbeinfraktur neben multiplen Prellungen und Hautabschürfungen am Schädel, im Gesicht, am Oberkörper, an der rechten Hand, am linken Kniegelenk sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitt,
II./ Laurent B***** am Körper verletzt, indem ihn zunächst M***** zu Boden stieß, während nachfolgend S***** gegen diesen Schläge und Kniestöße ausführte, wodurch dieser eine Schädelprellung, eine Verstauchung des Daumens und eine Prellung des Brustkorbs erlitt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 8, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*****.
Vorauszuschicken ist, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS Justiz RS0115902). Soweit in der Beschwerde zu den Nichtigkeitsgründen „des § 281 Abs 1 Ziffer 5 und 5a StPO“ sowie „§ 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10 StPO“ unter gleichzeitiger Bezugnahme auf Z 5 und Z 5a (ON 65 S 2, S 11 iVm S 14) ein undifferenziertes Vorbringen erstattet wird, entspricht dies nicht der Strafprozessordnung.
Werden die angeführten Nichtigkeitsgründe nicht getrennt dargestellt, so gehen jegliche Unklarheiten, die durch diese Art der Rechtsmittelausführung bedingt sein könnten, zu Lasten des Beschwerdeführers (RIS Justiz RS0100183, RS0100186).
Mit Blick auf die zum Schuldspruch I./ getroffenen Feststellungen zu den Ausführungshandlungen des Angeklagten S***** und zum bewussten und gewollten Zusammenwirken mit seinem Mittäter (US 6 f) bezieht sich das Vorbringen der Mängelrüge, M***** habe in Richtung des K***** uriniert, diesem den „ersten Faustschlag“ versetzt, der Vorfall habe nächtens „in einem dunklen Eck“ stattgefunden, die Angeklagten seien nachfolgend verwechselt worden und kein Zeuge hätte einen Tritt durch S***** beobachtet, nicht auf für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage entscheidende Tatsachen (RIS Justiz RS0090011, RS0090006, RS0089835). Im Übrigen übergeht der Beschwerdeführer die Gesamtheit der Erwägungen (RIS Justiz RS0116504, RS0119370) der Tatrichter, die sich auch mit den „Ungereimtheiten“ in den Aussagen der Zeugen auseinandergesetzt haben (US 9; RIS Justiz RS0106642). Der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo) kann niemals Gegenstand des formellen Nichtigkeitsgrundes der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO sein (RIS Justiz RS0102162).
Soweit der Beschwerdeführer eine Überschreitung der Anklage (Z 8) behauptet, weil der „Vorwurf auf Versuch der angelasteten Delikte“ gelautet hätte (siehe aber Anklageschrift ON 4: „… absichtlich am Körper verletzt oder dies versucht ...“), verkennt er, dass das Gericht bei der Urteilsfällung an den unter Anklage gestellten Lebenssachverhalt, nicht aber an die rechtliche Beurteilung der Tat durch den Ankläger gebunden und die Erscheinungsform der Tat für die Lösung der Schuld- und der Subsumtionsfrage nicht von Bedeutung ist (vgl RIS Justiz RS0121607, RS0122137, RS0097725 [T5]).
Die prozessordnungsgemäße Geltendmachung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes erfordert striktes Festhalten an den tatsächlich getroffenen Urteilskonstatierungen in ihrer Gesamtheit und die auf dieser Grundlage zu führende Darlegung, dass dem Gericht bei Beurteilung des Urteilssachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen ist. Demgemäß liegt keine prozessordnungsgemäße Darstellung eines derartigen Beschwerdegrundes vor, wenn eine im Urteil konstatierte Tatsache bestritten oder übergangen oder aber ein nicht festgestellter Umstand als gegeben angenommen wird (RIS Justiz RS0099810 [T15]).
Die gegen die Subsumtion der vom Schuldspruch I./ umfassten Tat nach § 87 Abs 1 StGB gerichtete Rüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) übergeht die Feststellungen zur subjektiven Tatseite und zur Mittäterschaft (US 6, 11) und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit. Hinzugefügt sei, dass dem Beschwerdeführer auf Basis dieser Konstatierungen jedenfalls der durch die Gewaltanwendung eingetretene Gesamterfolg zuzurechnen ist (vgl RIS Justiz RS0089808 [insb T12], RS0089844, RS0090006; Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 24 ff).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die implizierte Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.