12Os78/19s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafvollzugssache des Michael P*****, AZ 13 BE 227/18f (vormals AZ 3 BE 455/09y) des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 4. Dezember 2015 (ON 25) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 4. Dezember 2015, GZ 3 BE 455/09y 25, verletzt § 53 Abs 2 zweiter Fall StGB sowie § 56 StGB.
Dieser Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.
Text
Gründe:
Michael P***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 31. Jänner 2007, GZ 703 Hv 1/06g 82, des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (idF BGBl I 2002/134) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Vollzugsgericht vom 13. Juli 2009, GZ 47 BE 124/09z 5, wurde Michael P***** mit Wirkung vom 23. August 2009 gemäß § 46 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit und Anordnung von Bewährungshilfe für deren Dauer aus dieser Strafhaft bedingt entlassen.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. März 2012, GZ 15 Hv 11/12a 38, wurde Michael P***** eines Verbrechens des gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 148 erster Fall StGB und eines Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich fasste dieses Gericht gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO den Beschluss auf Absehen vom Widerruf der zu GZ 47 BE 124/09z 5 des Landesgerichts Wiener Neustadt ausgesprochenen bedingten Entlassung und Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre (ON 11). Den unbedingten viermonatigen Teil dieser Freiheitsstrafe verbüßte der Verurteilte vom 19. Jänner 2012 bis zum 18. Mai 2012 (ON 11 S 5, ON 15 S 13).
In der Folge wurde Michael P***** mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 27. März 2014, GZ 217 U 383/13f 8, wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, die er vom 13. August 2014 bis zum 13. Jänner 2015 verbüßte (ON 20 Pkt 3, ON 33 S 4).
Weiters wurde er mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 28. Oktober 2014, GZ 15 Hv 81/14y 51, wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster und fünfter Fall, Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Die Entscheidung über den Widerruf der mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 13. Juli 2009, GZ 47 BE 124/09z 5, gewährten bedingten Entlassung wurde gemäß § 494a Abs 2 StPO dem Vollzugsgericht vorbehalten (ON 16 S 5 ff). In diesem Verfahren befand sich Michael P***** vom 30. Juli 2014 bis zum 13. August 2014 in Untersuchungshaft (ON 16 S 7).
Weil sich Michael P***** beharrlich dem Einfluss seines Bewährungshelfers entzogen habe und es nach den Umständen geboten erscheine, um ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 2 zweiter Fall StGB), widerrief das zwischenzeitig zuständige Landesgericht für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht mit seit 1. November 2018 in Rechtskraft erwachsenem (vgl ON 35 S 3) Beschluss vom 4. Dezember 2015, GZ 3 BE 455/09y 25, die mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 13. Juli 2009, AZ 47 BE 124/09z, gewährte bedingte Entlassung.
Die dagegen verspätet erhobene Beschwerde des Michael P***** (ON 38) wies das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 28. März 2019, AZ 10 Bs 363/18k, zurück.
Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Vollzugsgericht vom 4. Dezember 2015, GZ 3 BE 455/09y 25, steht – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Die Entscheidung darüber, ob eine bedingte Entlassung widerrufen wird, weil sich der Rechtsbrecher beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzieht, setzt voraus, dass dieser Grund während der – allenfalls verlängerten – rechtskräftig bestimmten Probezeit gesetzt und die erstinstanzliche Entscheidung in der Probezeit getroffen wird (§§ 53 Abs 2, 56 StGB; Jerabek in WK 2 StGB § 56 Rz 6 f).
Die Probezeit ist als Frist des materiellen Strafrechts nach den Regeln des § 68 StGB zu berechnen. Sie beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung, mit der die bedingte Entlassung ausgesprochen worden ist, wobei Zeiten, in denen der Verurteilte auf behördliche Anordnung angehalten worden ist, in die Probezeit nicht einzurechnen sind (§ 49 erster und zweiter Satz StGB).
Die zu AZ 47 BE 124/09z des Landesgerichts Wiener Neustadt bestimmte Probezeit begann mit der bedingten Entlassung am 23. August 2009. Unter Berücksichtigung der zu AZ 15 Hv 11/12a des Landesgerichts für Strafsachen Graz erfolgten Probezeitverlängerung auf fünf Jahre und der die Probezeit verlängernden Zeiten behördlich angeordneter Anhaltung des Michael P***** (neun Monate Strafhaft, vierzehn Tage Untersuchungshaft sowie rund 100 Tage verwaltungsbehördlicher Vollzug [vgl ON 13, 19, 34 S 1 f]), endete die Probezeit spätestens im September 2015.
Demnach war der auf § 53 Abs 2 zweiter Fall StGB gegründete Widerruf der bedingten Entlassung zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlussfassung am 4. Dezember 2015 nicht mehr zulässig.
Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 4. Dezember 2015, GZ 3 BE 455/09y 25, verletzt somit das Gesetz in § 53 Abs 2 zweiter Fall StGB sowie § 56 StGB.
Da diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).