7Ob88/19w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon. Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. E * S*, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen 13.836,09 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. August 2018, GZ 2 R 73/18m 15, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
1.1. Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen den Parteien liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung ( ARB 1994 ) der Beklagten zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:
„ Artikel 7
[…]
2. Vom Versicherungsschutz sind ferner ausgeschlossen
[…]
2.5. Versicherungsfälle, die der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat […]
Artikel 9
[…]
2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis
[…]
2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen. “
1.2. Die Klägerin ist emeritierte Rechtsanwältin und war bei einem anderen Versicherer haftpflichtversichert; die in diesem Verhältnis geltenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden AVBV 1999 lauten auszugsweise:
„ Artikel 5
[…]
3. Weitere Behandlung des Versicherungsfalles (Schadenfalles)
a) Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, unter Beachtung der Weisungen des Versicherers nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und alles zu tun, was zur Klarstellung des Schadenfalles dient, sofern ihm dabei nicht Unbilliges zugemutet wird. Er hat den Versicherer bei der Abwehr des Schadens sowie bei der Schadenermittlung und -regulierung zu unterstützen, ihm ausführliche und wahrheitsgemäße Schadenberichte zu erstatten, alle Tatumstände, welche auf den Schadenfall Bezug haben, mitzuteilen und alle nach Ansicht des Versicherers für die Beurteilung des Schadenfalles erheblichen Schriftstücke einzusenden.
b ) Kommt es zum Prozess über den Haftpflichtanspruch, so hat der Versicherungsnehmer die Prozessführung dem Versicherer zu überlassen, dem vom Versicherer bestellten oder bezeichneten Anwalt Vollmacht und alle von diesem oder dem Versicherer für nötig erachteten Aufklärungen zu geben.
c) Der Versicherungsnehmer ist nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung des Versicherers einen Haftpflichtanspruch ganz oder zum Teil vergleichsweise anzuerkennen oder zu befriedigen. Bei Zuwiderhandlung ist der Versicherer von der Leistungspflicht frei, es sei denn, dass der Versicherungsnehmer nach den Umständen die Befriedigung oder Anerkennung nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigern konnte. Durch irrtümliche Annahme des Vorliegens einer gesetzlichen Haftpflicht oder der Richtigkeit der erhobenen Ansprüche oder der behaupteten Tatsachen wird der Versicherungsnehmer nicht entschuldigt.
[…]
Artikel 6
Rechtsverlust
(1) Wird eine Obliegenheit verletzt, die nach Artikel 5 dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, es sei denn, dass die Verletzung weder auf Vorsatz, noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grobfahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung Einfluss weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles, noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat . [...]“
Rechtliche Beurteilung
2. In der Rechtsschutzversicherung ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Bei der Erfolgsaussichtsprüfung nach den ARB 2004 können die zur Prozesskostenhilfe entwickelten Grundsätze übernommen werden. Die vorzunehmende Beurteilung, ob „erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand (RS0116448, RS0117144). Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers nicht von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer Versicherungsschutz nur ablehnen, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (RS0082253). Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist aufgrund einer Prognose nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen (vgl RS0124256).
3.1. Der Versicherungsanspruch in der Haftpflichtversicherung ist auf die Befreiung von begründeten und die Abwehr von unbegründeten Haftpflichtansprüchen gerichtet. Ungeachtet dieser beiden Komponenten handelt es sich um einen einheitlichen Anspruch des Versicherungsnehmers. Er wird zu dem Zeitpunkt fällig, in dem der Versicherungsnehmer von einem Dritten auf Schadenersatz wegen eines unter das versicherte Risiko fallenden Ereignisses oder einer sonstigen Eigenschaft in Anspruch genommen wird, unabhängig davon, ob die Haftpflichtforderung begründet ist, weil Versicherungsschutz auch die Abwehr unberechtigter Ansprüche in sich schließt (RS0080384, RS0081228, RS0080013, RS0080086).
3.2. Hier hatte der Haftpflichtversicherer bereits Deckung für ein Verfahren gegen die wegen Kunstfehlern belangte Rechtsanwältin (Versicherungsnehmerin) gewährt. Dieses Verfahren endete rechtskräftig mit einer Abweisung des Klagebegehrens und der Verpflichtung zum Kostenersatz des dortigen Klägers.
3.3. Wenn die Versicherungsnehmerin nunmehr vom Rechtsschutzversicherer Deckung für eine eigene Klage gegen den Haftpflichtversicherer wegen derselben Schäden begehrt, setzt dies die Behauptung einer neuerlichen Inanspruchnahme in obigem Sinne und die Darlegung, dass diesem Anspruch nicht die Rechtskraft der Vorentscheidung entgegensteht, voraus. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach Derartiges dem Vorbringen der Klägerin nicht zu entnehmen sei, womit die Ablehnung der Deckung durch den Rechtsschutzversicherer mangels Erfolgsaussichten gerechtfertigt erscheine, hält sich im Rahmen der oben dargelegten Rechtsprechung.
Abgesehen davon, dass konkrete Feststellungsmängel nicht gerügt werden, fehlt es jedenfalls am entsprechenden Tatsachenvorbringen im Verfahren erster Instanz (vgl RS0053317 [T2, T4]). Die Revision zeigt somit keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
4.1. Schließt der Versicherungsnehmer mit dem Dritten ohne Einwilligung des Haftpflichtversicherers einen Vergleich oder erkennt er dessen Anspruch an, entfaltet der Vergleich oder das Anerkenntnis im Deckungsprozess keine Wirkung. Die Rechtslage ist in diesem Verfahren ohne Berücksichtigung des Vergleichs oder des Anerkenntnisses zu entscheiden. Der Versicherer braucht nur für den Betrag einzustehen, der unabhängig von dem Vergleich oder dem Anerkenntnis geschuldet worden wäre. Beim Vergleich oder Anerkenntnis bleibt es jedoch dann, wenn sich der Versicherungsnehmer nicht ohne offenbare Unbilligkeit dem Vergleich oder dem Anerkenntnis hätte entziehen können (RS0128613; vgl § 154 Abs 2 VersVG).
4.2. Anerkenntnis oder Befriedigung der Ersatzansprüche des Geschädigten sind nur dann ausnahmsweise gerechtfertigt, weil sie „nicht ohne offenbare Unbilligkeit verweigert werden konnten“, wenn a) die erhobene Forderung offenbar begründet war und b) andere als geschäftliche Rücksichten des Versicherungsnehmers, nämlich soziale oder Pietätsgründe auf Seite des Geschädigten über die normale moralische Verpflichtung hinaus die Wiedergutmachung im besonderen Maße erforderten (RS0080690). Die vom geschädigten Dritten geltend gemachte Forderung muss dabei offensichtlich begründet sein: Sämtliche Tatumstände müssen einwandfrei geklärt sein und für jeden unbefangenen Beurteiler offensichtlich eine Haftung des Versicherungsnehmers begründen ( RS0080623, RS0081991). Ob die Verweigerung des Anerkenntnisses unbillig gewesen wäre, ist aus der Sicht des Versicherungsnehmers zu beurteilen. Die dabei zu berücksichtigenden Umstände sind aber aus der Interessensphäre des geschädigten Dritten zu schöpfen, wobei hiezu außer der persönlichen und finanziellen Lage des Geschädigten unter anderem auch dessen Beziehungen zum Versicherten und die Schwere des Verschuldens gehören (RS0081987).
Verursacht ein Rechtsanwalt durch ein Verschulden seinem Klienten einen Schaden, so ist es nicht nur aus der Sicht der Ehre und des Ansehens des Standes der Rechtsanwaltschaft, sondern auch aus der Sicht der Rechtsschutz suchenden Bevölkerung geboten, für eine möglichst umgehende Schadensgutmachung Sorge zu tragen. Ist ein Sachverhalt so weit geklärt, dass sich daraus zweifelsfrei eine Haftung des Rechtsanwalts gegenüber seinem Klienten ergibt, wäre es im Hinblick auf die besonderen Berufspflichten des Rechtsanwalts und auch aus der Sicht der Rechtsschutz suchenden Bevölkerung unbillig, die Anerkennung der Haftung zu verweigern. Eine solche Weigerung könnte ein Disziplinarvergehen sein (vgl RS0038791). Lehnt der Haftpflichtversicherer eines Rechtsanwalts trotz dessen zweifelsfreier Haftung für einen seinem Klienten zugefügten Schaden die Befriedigung des Schadenersatzanspruchs mit einer offensichtlich unrichtigen Begründung ab, so ist die Verweigerung der Befriedigung dieses Anspruchs durch den Rechtsanwalt im Hinblick auf seine besonderen Berufspflichten als offenbare Unbilligkeit anzusehen (vgl RS0080688).
4.3. Hier war nach dem im Zeitpunkt vor bzw bei Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial der Haftpflichtanspruch bereits aufgrund eines rechtskräftigen Gerichtsurteils verneint und der Prozessgegner der Klägerin zum Prozesskostenersatz verurteilt worden, diese hatte aber auf den nach § 67 VersVG dem Haftpflichtversicherer zustehenden Prozesskosten-ersatzanspruch eigenmächtig verzichtet und der Haftpflichtversicherer hatte Regress wegen dieses Verzichts angestrengt.
Vor diesem Hintergrund (der Anspruch des Geschädigten bestand gerade nicht offensichtlich zu Recht) vertraten die Vorinstanzen die Rechtsansicht, dass auch die Bestreitung der Regressklage des Haftpflichtversicherers nicht durch billige Gründe gerechtfertigt und daher aussichtslos iSd Art 9.2.3 ARB 2004 war. Gegen den daraus zu ziehenden Schluss, dass aufgrund des ohne Zustimmung des Haftpflichtversicherers abgegebenen Verzichts der Klägerin auf den Kostenersatzanspruch aus dem gewonnenen Haftpflichtprozess gegen den früheren Mandanten auch das Begehren auf Zahlung der Regresssumme und der Regressprozesskosten nicht berechtigt ist, zeigt die Revision ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf.
Auf die Frage, ob Rechtsschutz für einen Prozess gegen den Haftpflichtversicherer eines Rechtsanwalts für die Geltendmachung bereits verjährter Ansprüche im Hinblick auf die Standespflichten zu gewähren ist, ist mangels Relevanz nicht einzugehen.
5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).