JudikaturOGH

11Os62/19f – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Juni 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der OKontr. Kolar als Schriftführerin in der Strafsache gegen J***** wegen des Verbrechens der fortgesetzen Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. November 2018, GZ 35 Hv 45/18v 88, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde J***** des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (A./I./), je eines Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB (richtig: A./II./2./ und 3./) und nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 zweiter und vierter Fall StGB (richtig: A./II./1./ und A./III./) sowie der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (B./1./ und 2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien und andernorts – gekürzt wiedergegeben –

A./ eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt

I./ gegen A***** im Zeitraum von 2014 bis November 2017 und zwar,

1./ indem er ihr zumindest sechsmal Schläge mit der flachen Hand, einem Besenstiel und einem Gewehr ins Gesicht und gegen den Körper versetzte, wodurch diese Hämatome und blutende Verletzungen erlitt;

2./ indem er ihr zwei- bis dreimal monatlich Schläge mit der flachen Hand und mit einem Gürtel ins Gesicht und gegen den Körper versetzte, wodurch diese Hämatome und blutende Verletzungen erlitt;

3./ in den Jahren 2014 und 2015, indem er ihr zweimal eine Pistole und zweimal ein Gewehr an den Kopf hielt, sie somit durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung, und zwar zur Bekanntgabe des Namens der Person, die ihr erzählt hat, dass er sie betrogen hat, genötigt bzw zu nötigen versucht;

4./ im Jahr 2016, indem er eine Glasscherbe in der Hand hielt und zu ihr sagte, „Sei ruhig, sonst verletze ich Dich!“, sie somit durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, und zwar zur Abstandnahme von weiterem Schreien, genötigt;

5./ durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper, indem er

a./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt ein Messer in die Nähe ihres Halses hielt;

b./ im Sommer/Herbst 2017 zu ihr sagte, er werde sie umbringen, während er ein Messer in der Hand hielt;

c./ im November 2016 und im Jahr 2017 ihr jeweils ein Messer an den Hals hielt;

II./ gegen eine unmündige Person länger als ein Jahr, und zwar

1./ Ay***** (geboren am ***** 2008) im Zeitraum von Dezember 2015 bis Februar 2018, indem er ihr täglich Schläge mit einem Gürtel, einem Schuh oder der Hand gegen den Körper versetzte, wodurch sie Schwellungen und Rötungen erlitt;

2./ R***** (geboren am ***** 2006) im Zeitraum von 2014 bis Februar 2018, indem er ihm mindestens einmal wöchentlich Ohrfeigen sowie Schläge mit einem Gürtel, Wasserschlauch, Stock oder Schuh gegen den Körper versetzte, wodurch dieser Schwellungen und Hämatome erlitt;

3./ indem er R***** zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten mit Gewalt bzw durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, und zwar zur Abstandnahme von seinem Vorhaben, seiner Mutter A***** zu erzählen, dass er ihn mit einer anderen Frau gesehen habe, indem er zu ihm sagte „Sag es nicht Deiner Mutter, sonst schlage ich Dich!“, und weiter zu weinen, nötigte, indem er ihm zumindest dreimal den Mund und die Nase zuhielt und zu ihm sagte, er solle ruhig sein;

III./ gegen eine unmündige Person, und zwar Ay***** (geboren am ***** 2008), länger als ein Jahr, wobei er wiederholt Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität begangen hat, indem er im Zeitraum von Dezember 2015 bis 16. Februar 2018 in einer nicht mehr feststellbaren Anzahl von Angriffen mit seinem Penis ihre Scheide berührte, Analverkehr und Oralverkehr an ihr durchführte, einen Handverkehr von ihr an sich vornehmen ließ und ihr einmal pornografisches Material zeigte;

B./ A***** im Zeitraum von 2014 bis Februar 2018 in einer nicht mehr festzustellenden Anzahl von Angriffen mit Gewalt genötigt, und zwar

1./ zur Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, indem er sie an den Händen bzw Armen festhielt und vaginalen und analen Geschlechtsverkehr mit ihr durchführte;

2./ zur Vornahme und Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, indem er sich auf sie setzte, mit einer Hand ihre Hand festhielt, mit einem Bein ihre zweite Hand fixierte und mit seiner freien Hand seinen Penis in ihren Mund drückte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Vorauszuschicken ist, dass die wiederholt die Glaubhaftigkeit der einzelnen Zeugen generell in Frage stellende Mängelrüge (Z 5) verkennt, dass die Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit einer Person mit Nichtigkeitsbeschwerde in der Regel (zur Ausnahme vgl RIS Justiz RS0106588 [T15]) nicht releviert werden kann (RIS Justiz RS0099649 [T15]).

Die zu A./I./2./ erhobene Kritik (Z 5 zweiter Fall) mangelnder Erörterung eines Schläge mit einem Gürtel betreffenden Widerspruchs zwischen den Angaben der Zeugin A***** bei der polizeilichen und der kontradiktorischen Vernehmung wendet sich nicht auch gegen die konstatierten Schläge mit der flachen Hand (US 8) und bekämpft solcherart bloß eine der festgestellten Tatmodalitäten (RIS Justiz RS0127374). Im Übrigen verschweigt die Beschwerde, dass die Zeugin auch in ihrer kontradiktorischen Vernehmung Schläge mit einem Gürtel – wenn auch nur auf einen Tatort bezogen – schilderte (ON 34 S 11).

Soweit die Mängelrüge die Beweiswürdigung des Erstgerichts als „floskelhaft und pauschal“ bezeichnet und vorbringt, die Aussage der A***** sei „nicht mit der Lebenserfahrung in Einklang zu bringen“ oder „denkunmöglich“ sowie „völlig widersprüchlich“, wird lediglich die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bekämpft. Im Übrigen hat sich das Erstgericht mit den Divergenzen in den Aussagen des Opfers ohnehin auseinandergesetzt (US 18 f).

Dementsprechend berührt das weitere zum Schuldspruch A./I./ erstattete Vorbringen keinen entscheidenden Aspekt, insoweit es lediglich darüber hinausgehende, im Rahmen des als tatbestandliche Handlungseinheit konzipierten Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung (RIS Justiz RS0129716) begangene Ausführungshandlungen bekämpft (RIS Justiz RS0127374).

Die gegen die Konstatierung, die Lebensführung von A***** sei infolge der regelmäßigen Übergriffe durch Angst vor dem Angeklagten und seinen Gewalthandlungen stark beeinträchtigt gewesen (US 11), gerichtete Kritik (Z 5 zweiter Fall) unvollständiger Würdigung damit im Widerspruch stehender Angaben der Zeugin Wafika G***** verfehlt ein weiteres Mal den in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen liegenden Bezugspunkt (vgl RIS Justiz RS0106268). Denn die Verwirklichung des Grundtatbestands des § 107b Abs 1 StGB setzt einen Erfolg im Sinn einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Opfers in seiner freien Lebensführung nicht voraus (vgl 13 Os 143/11w, 15 Os 50/13m; Schwaighofer in WK² StGB § 107b Rz 8; Fabrizy , StGB 13 § 107b Rz 2).

Indem die zu A./II./ ausgeführte Rüge Angaben der Ay*****, wonach ihr der Angeklagte zweimal den Fuß gebrochen habe, er auch L***** und T***** geschlagen und alle Kinder gebissen habe, nicht gegen die Feststellung einer entscheidenden Tatsache, sondern ausschließlich gegen den persönlichen Eindruck der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit der Zeugin (US 17 f) ins Treffen führt, verkennt sie, wie eingangs dargelegt, die Reichweite des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS Justiz RS0106588).

Gleiches gilt für den Versuch, die angenommene Glaubwürdigkeit des Zeugen R***** (US 17 f) bloß anhand eigener beweiswürdigender Erwägungen in Zweifel zu ziehen.

Entgegen der Behauptung, die Feststellung, „ob R***** und Ay***** tatsächlich verletzt wurden“, betreffe eine entscheidende Tatsache, ist der Eintritt eines Verletzungserfolgs nicht subsumtionsrelevant ( Winkler , SbgK § 107b Rz 34, 37; Schwaighofer in WK² StGB § 107b Rz 14 ff). Somit war das Erstgericht auch nicht verhalten, sich mit für oder gegen das Vorliegen solcher Tatfolgen sprechenden Verfahrensergebnissen – etwa allfälligen Widersprüchen in den Angaben der Zeugin A***** zu bei ihren Kindern wahrgenommenen Verletzungen – gesondert auseinanderzusetzen.

Die Kritik (Z 5 zweiter Fall), das Erstgericht habe zu A./III./ divergierende Aussagen der Ay***** und des R***** zur Häufigkeit der Übergriffe (vgl dazu im Übrigen RIS Justiz RS0116736), zu von R***** wahrgenommenen Schreien des Angeklagten und zum Aufenthalt der Mutter während der Übergriffe nicht gewürdigt, richtet sich der Sache nach gegen die Beurteilung der Überzeugungskraft der Aussage der Ay***** und verfehlt damit einmal mehr den – nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen gelegenen – Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (RIS Justiz RS0106588).

Der weiters als übergangen gerügte Umstand, A***** habe während eines Übergriffs auf ihre Tochter das Zimmer betreten, lässt sich entgegen dem Beschwerdevorbringen aus der betreffenden Aussage der Ay*****, „er hat mich aufs Klo genommen, dann wie meine Mutter gekommen ist, hat er sich und mich angezogen“ (ON 32 S 5), nicht ableiten, sodass es dem Einwand schon an einem entsprechenden Verfahrensergebnis mangelt.

Indem der Beschwerdeführer zu B./1./ die Schilderungen des erzwungenen vaginalen Geschlechtsverkehrs durch A***** als nicht nachvollziehbar erachtet, bekämpft er bloß die Beweiswürdigung des Schöffensenats nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Der Vorwurf, die Heranziehung des Zugeständnisses einverständlichen Geschlechtsverkehrs (während des Tatzeitraums) zur Begründung der Glaubwürdigkeit der Zeugin grenze an Willkür, stellt neuerlich bloß einen Angriff auf die Annahme der Glaubwürdigkeit der Zeugin dar, ohne einen Bezug zu einer entscheidenden Tatsache herzustellen. Gleiches gilt im Übrigen für die Spekulationen zum hinter den Vorwürfen der A***** stehenden Motiv und das Vorbringen in Bezug auf die Feststellungen zum analen Geschlechtsverkehr (US 14 f), mit dem überdies angesichts bloß pauschaler Individualisierung einer gleichartigen Verbrechensmenge weder der Schuldspruch noch die Subsumtion in Frage gestellt wird.

Der Einwand mangelnder Berücksichtigung (Z 5 zweiter Fall) anderer „Entlastungsbeweise“, die – wie der Beschwerdeführer zugesteht – „nicht im direkten Zusammenhang mit einem Faktum stehen“, lässt gar keinen Bezug zu einer für die Schuld- oder Subsumtionsfrage relevanten Tatsache erkennen.

Die weitere Rüge (nominell „Z 9a“, der Sache nach Z 10) reklamiert einen Rechtsfehler mangels Feststellungen in Bezug auf den vom Schuldspruch A./III./ umfassten „Handverkehr“. Sie erklärt nicht, weshalb trotz der Sachverhaltsannahmen zu mit der Unmündigen (unter anderem) vollzogenem Anal- und Oralverkehr (US 12 f) derartige Konstatierungen subsumtionsrelevant sein sollen.

Zu A./I./5./ ging das Erstgericht in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) – mit hinreichender Deutlichkeit ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 19) – von einer zahlenmäßig (gerade nicht bestimmten, sondern) unbestimmten Mehrzahl gleichartiger Einzeltaten aus (US 9 f: „Zu ähnlichen Vorfällen kam es [...]“; „Zu solchen Drohungen kam es stets, wenn [...]). Ein Freispruch wegen einzelner dieser (solcherart nur pauschal individualisierten) Taten kann daher aus Z 9 nicht mit Erfolg begehrt werden (RIS Justiz RS0117436).

Weshalb das von der Beschwerde (Z 9 lit a) beanstandete Fehlen von Feststellungen zu einer konkreten, (bloß) im Referat der entscheidenden Tatsachen im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) erwähnten (US 3) Drohung vom „November 2016“ dennoch den Schuldspruch tangieren sollte, wird nicht erklärt (siehe aber RIS Justiz RS0116565).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise