10ObS28/19v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Günter Hintersteiner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Sascha Katzensteiner Blauensteiner Rechtsanwälte GmbH in Krems an der Donau, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Entziehung des Rehabilitationsgelds, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 20. Dezember 2018, GZ 10 Rs 112/18s 33, womit aus Anlass der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits und Sozialgericht vom 18. Mai 2018, GZ 7 Cgs 129/17d 27, und das vorangegangene Verfahren in Ansehung der Feststellung des Anspruchs auf Invaliditätspension dem Grund nach ab 1. Mai 2017 als nichtig aufgehoben und die Klage in diesem Umfang zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 10. 3. 2017 sprach die beklagte Pensionsversicherungsanstalt aus, dass bei dem 1967 geborenen Kläger vorübergehende Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliege und ihm das Rehabilitationsgeld mit Ablauf des 30. 4. 2017 entzogen werde.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass Invalidität im Ausmaß von mindestens sechs Monaten vorliege und ihm ein Rehabilitationsgeld im gesetzlichen Ausmaß über den 30. 4. 2017 hinaus weiter zu gewähren sei. Hilfsweise begehrte der Kläger die Feststellung, dass dauernde Invalidität ab dem 1. 5. 2017 bestehe.
Während des Verfahrens modifizierte der Kläger das Klagebegehren wie folgt (ON 25):
„1. Es wird festgestellt, dass Invalidität mindestens im Ausmaß von sechs Monaten vorliegt und dass ein Rehabilitationsgeld im gesetzlichen Ausmaß über den 30. 4. 2017 hinaus weiter zu gewähren ist.
in eventu
2. Es wird festgestellt, dass dauernde Invalidität und Anspruch auf Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. 5. 2017 besteht.
3. Es wird festgestellt, dass durch Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation Invalidität nicht vermieden oder beseitigt werden kann.
4. Es wird festgestellt, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation weder zweckmäßig noch zumutbar sind und dass es ausgeschlossen ist, dass durch derartige Maßnahmen eine dauernde Eingliederung in den Arbeitsmarkt bewirkt werden kann.
5. 'Für den Fall', dass das Gericht zur Ansicht gelangt, dass Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation zweckmäßig und zumutbar wären, möge ausgesprochen werden [Feststellungsbegehren] , dass Anspruch auf Umschulungsgeld im gesetzlichen Ausmaß besteht.“
Die Beklagte begehrte die Zurückweisung des unter Pkt 2. genannten Klagebegehrens und die Abweisung des restlichen Klagebegehrens.
Das Erstgericht entschied nicht über das Hauptbegehren auf Weitergewährung des Rehabilitationsgelds. Es sprach aus, dass der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension ab dem 1. 5. 2017 dem Grunde nach zu Recht besteht und trug der Beklagten auf, dem Kläger eine vorläufige Zahlung in Höhe von 1.500 EUR monatlich bis zur Erlassung des die Höhe festsetzenden Bescheids zu gewähren. Beim Kläger sei vom Vorliegen dauernder Invalidität auszugehen.
Das Berufungsgericht gab der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung der Beklagten „Folge“ und hob aus Anlass der Berufung das angefochtene Urteil sowie das diesem vorangegangene Verfahren in Ansehung der Feststellung des Anspruchs auf Invaliditätspension dem Grunde nach ab 1. 5. 2017 und der Zuerkennung einer vorläufigen Zahlung als nichtig auf. Es wies die Klage in diesem Umfang (Pkt 2. des Klagebegehrens) zurück.
Das Erstgericht habe gegen § 405 ZPO verstoßen, weil es – ohne über das Hauptbegehren des Klägers auf Weitergewährung des Rehabilitationsgelds entschieden zu haben – über einen Teil des ersten vom Kläger zulässigerweise erhobenen Eventualbegehrens – Pkt 2. des Klagebegehrens – entschieden habe. Der dadurch bewirkte Mangel des Verfahrens erster Instanz könne jedoch mangels entsprechender Rüge durch den Kläger in einer von diesem erhobenen Berufung oder einem Ergänzungs oder Berichtigungsantrag nicht aufgegriffen werden. Da das Erstgericht weder über das Hauptbegehren, noch über die weiteren vom Kläger erhobenen Eventualbegehren entschieden habe, seien diese Ansprüche aus dem Verfahren ausgeschieden, sodass dem Berufungsgericht eine Entscheidung darüber verwehrt sei.
Gegenstand der Entscheidung im Berufungsverfahren sei daher ausschließlich das Begehren auf Feststellung des Anspruchs auf Invaliditätspension seit 1. 5. 2017 samt dem daran geknüpften Antrag auf Erbringung einer vorläufigen Zahlung. Über ein solches Begehren habe die beklagte Pensionsversicherungsanstalt jedoch mit dem angefochtenen Bescheid nicht entschieden, sodass es dafür mangels sukzessiver Kompetenz des Gerichts an der Prozessvoraussetzung der Zulässigkeit des Rechtswegs fehle. Die Unzulässigkeit der Klage und Nichtigkeit des Verfahrens seien gemäß § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der – von der Beklagten nicht beantwortete – Rekurs des Klägers, mit dem dieser die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung anstrebt, um eine Entscheidung in der Sache zu erreichen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig ( E. Kodek in Rechberger , ZPO 4 § 519 Rz 8; RIS Justiz RS0043861; RS0043882 [T11]), er ist aber nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist nur kurz auszuführen:
1. Der Rekurswerber macht geltend, dass sich die Beklagte im Verfahren selbst an einer Erweiterung des Klagsgegenstands beteiligt und sich in die Sache selbst materiell eingelassen habe. Dem hat bereits das Berufungsgericht entgegengehalten, dass die Unzulässigkeit des Rechtswegs auch im Rechtsmittelverfahren in Sozialrechtssachen gemäß § 73 ASGG von Amts wegen wahrzunehmen ist. Eine Heilung des Mangels der Unzulässigkeit des Rechtswegs ist nur in besonderen Fällen zulässig – etwa bei verfrühter Erhebung der Säumnisklage –, sofern die Heilung vor Schluss der mündlichen Streitverhandlung erfolgte (10 ObS 130/98k, SSV NF 12/98; RS0085636). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, insbesondere fehlt es bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz an einem Bescheid, mit dem die Beklagte über einen Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension entschieden hätte. Eine Erweiterung des Verfahrensgegenstands durch die behauptete Einlassung der Beklagten (die allerdings in diesem Punkt die Zurückweisung der Klage beantragte) ist vor diesem Hintergrund nicht zulässig, woran auch die vom Rekurswerber genannten Argumente der „Kosteneffizienz“ und der „Verfahrensbeschleunigung“ nichts ändern können.
2. Gegenstand des Verfahrens und der Entscheidung der beklagten Pensionsversicherungsanstalt war die Entziehung des Rehabilitationsgelds wegen des von der Beklagten behaupteten Wegfalls der vorübergehenden Berufsunfähigkeit beim Kläger. Die Beklagte stützte sich daher auf den Entziehungstatbestand des § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit aa ASVG. Über das Bestehen dauernder Invalidität hat sie nicht abgesprochen; auch ein Anspruch auf Invaliditätspension war – wie ausgeführt – nicht Gegenstand des vor der Beklagten geführten Verfahrens oder ihrer Entscheidung. Mangels eines „darüber“ ergangenen Bescheids iSd § 67 Abs 1 Z 1 ASGG konnte daher weder der Anspruch auf Invaliditätspension noch das damit verbundene behauptete Bestehen dauernder Invalidität zulässiger Gegenstand einer gegen den angefochtenen Bescheid gerichteten Klage oder einer gerichtlichen Entscheidung sein (10 ObS 125/18g; 10 ObS 116/16f, SSV NF 30/57).
Mangels Zulässigkeit des Rechtswegs konnte das Erstgericht daher auch nicht, wie vom Rekurswerber begehrt, einen Ausspruch über eine Entziehung des Rehabilitationsgelds mit 30. 4. 2017 aufgrund dauernder Invalidität gemäß § 99 Abs 3 Z 1 lit b sublit dd ASVG treffen.
Dem Rekurs war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.