JudikaturOGH

1Ob99/19v – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. A***** S*****, 2. A*****, vertreten durch die KNIRSCH GSCHAIDER CERHA Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die beklagte Partei J***** K*****, vertreten durch die Schramm Öhler Rechtsanwälte (OG), Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. April 2019, GZ 40 R 285/18k 54, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 19. Juli 2018, GZ 45 C 429/15w 49, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Grundsätzlich gilt, dass das Berufungsgericht von erstinstanzlichen Feststellungen nur abgehen darf, wenn es alle zur Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen erforderlichen Beweise, die das Erstgericht unmittelbar aufgenommen hat, selbst wiederholt oder das Protokoll über die Beweisaufnahme erster Instanz unter den Voraussetzungen des § 281a ZPO verliest (RIS Justiz RS0042151). Geht das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung ab, oder ergänzt es ohne Beweiswiederholung Feststellungen aufgrund der in erster Instanz aufgenommenen Beweise, liegt eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vor (RS0043057). Betreffen die ergänzten Feststellungen einen für die Entscheidung wesentlichen Umstand, stellt die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes auch eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0043057 [T11]). Davon kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein.

1.2 Die Revisionswerberinnen werfen dem Berufungsgericht eine solche Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vor, weil dieses in Erledigung ihrer Mängelrüge ausgeführt habe, dass der Beklagte die Entfernung der Ziegelmauer zwischen den Bestandobjekten nicht als problematisch angesehen habe, weil sich „ohne weiteres erkennbar ein Stahlträger unter allen Fensterachsen befindet“. Tatsächlich handelt es sich bei der in der Revision gerügten Passage um Erörterungen des Berufungsgerichts zur Beweisrüge der Klägerinnen, die sie in ihrer Revision nur unvollständig wiedergeben und die ihre Grundlage in den Ausführungen des Erstgerichts haben. Danach steht nämlich fest, dass die Gewölbedecke des Bestandobjekts in vier Abschnitte unterteilt ist und ein Stahlträger als Abschnittsträger von der entfernten Zwischenwand verdeckt war. Ergänzend dazu hat das Erstgericht in seiner Beweiswürdigung ausdrücklich festgehalten, dass der Beklagte von dem Stahlträger wusste, sodass es ohne jede Relevanz ist, dass dieser bis zur Entfernung der Zwischenwand verdeckt und „richtigerweise für niemanden erkennbar war“, wie die Revisionswerberinnen meinen.

2. Das Berufungsgericht hat eine von den Klägerinnen als aktenwidrig gerügte Feststellung aus eben diesem Grund entfernt. Soweit die Revisionswerberinnen „aktenkonforme“ Feststellungen zur (möglichen) Entfernung einer Wand im Mezzanin oberhalb des Bestandobjekts einfordern, machen sie eine sekundäre Mangelhaftigkeit geltend, die der Rechtsrüge zuzuordnen ist (RS0043304; vgl auch RS0114379). Inwieweit diese in Anbetracht der den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellung, dass mit der Entfernung der Zwischenwand eine Gefährdung der Substanz des Hauses nicht verbunden war, Bedeutung haben sollen, kann den Ausführungen der Revisionswerberinnen nicht nachvollziehbar entnommen werden. Sollten sie damit aber die Richtigkeit dieser Feststellung anzweifeln, greifen sie in unzulässiger Weise die Feststellungen der Vorinstanzen an (RS0043371).

3.1

Der Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs (§ 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG) setzt kein Verschulden des Mieters voraus, wohl aber das Bewusstsein der Vertragswidrigkeit, wie es von einem vertrauenswürdigen Durchschnittsmieter erwartet werden kann (RS0070433 [T4]). Erforderlich ist, dass dem Mieter die erhebliche Nachteiligkeit seines Gebrauchs bewusst oder ihm dieser erkennbar ist und er den Gebrauch dennoch fortsetzt (RS0067957 [T1, T4, T7]).

3.2 Mit ihren Ausführungen, ein vernünftiger durchschnittlicher Mieter werde davon ausgehen, dass das Abtragen einer Zwischenwand Schäden an der Substanz des Hauses zur Folge haben könne, übergehen die Klägerinnen den festgestellten Sachverhalt, nach welchen die Baumaßnahme gerade keine Gefährdung der Substanz des Hauses in statisch-konstruktiver Hinsicht nach sich zog. Lediglich die Erdbebensicherheit war durch die Entfernung der zwischenzeitig vom Beklagten wieder errichteten Wand herabgesetzt. Warum dem Beklagten eine solche Folge bewusst sein musste oder sogar bewusst war, versuchen die Klägerinnen gar nicht darzulegen und setzen sich insoweit mit der Begründung des Berufungsgerichts auch nicht auseinander. Damit können sie aber keine – allenfalls im Einzelfall (RS0068103; RS0021018 ua) aufzugreifende – Fehlbeurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht aufzeigen.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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