1Ob96/19b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr.
Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** AG, *****, vertreten durch die ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH, Graz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen (restlich) 71.004,26 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. April 2019, GZ 5 R 176/18v 36, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 27. September 2018, GZ 20 Cg 43/18k 31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
D ie außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Revisionswerberin bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach es rechtlich vertretbar gewesen sei, dass ihr die Finanzbehörde eine – auf eine Datenübertragung über FinanzOnline bezogene – „Fehlermeldung“ in ihre in diesem Onlineportal eingerichtete „Datenbox“ übermittelt habe, anstatt diese Meldung gemäß § 9 Abs 3 ZustG an ihren – in einem anderen Zusammenhang – ausgewiesenen Zustellungsbevollmächtigten zuzustellen.
Die außerordentliche Revision zeigt jedoch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Revisionswerberin kritisiert, dass das Berufungsgericht die Vertretbarkeit der von der Finanzbehörde gewählten Vorgehensweise in der angefochtenen Entscheidung anders beurteilte, als in ihrem im ersten Rechtsgang gefassten Aufhebungsbeschluss. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Berufungsgericht zwar an seine im Aufhebungsbeschluss ausgesprochene Rechtsansicht gebunden ist, eine Abweichung davon aber keinen (eigenen) Revisionsgrund bildet, weil die Bindungsvorschrift des § 499 Abs 2 ZPO nur in Bezug auf die rechtliche Beurteilung besteht, die aber letztlich dem Revisionsgericht zusteht, so dass es gleichgültig ist, ob das Berufungsgericht von seiner ursprünglichen Rechtsabsicht abging, solange die Rechtsansicht in der zweiten Berufungsentscheidung richtig ist (RIS Justiz RS0042173).
2. Für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs kommt es nicht – wie in einem Rechtsmittelverfahren – darauf an, ob die in Betracht kommende Entscheidung oder das zu beurteilende Organverhalten richtig war, sondern ob die Entscheidung bzw das Verhalten auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Normauslegung oder Rechtsanwendung beruhte (vgl RS0049955 [T7] ua). Sind von einem Organ anzuwendende Normen nicht vollkommen eindeutig, enthalten sie Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts und steht eine höchstrichterliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe nicht zur Verfügung, kommt es darauf an, ob bei pflichtgemäßer Überlegung das Handeln als vertretbar bezeichnet werden kann (RS0049951). Ob dies der Fall ist, ist jeweils im Einzelfall zu prüfen und wirft im Allgemeinen keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0049955 [T10]).
3. Gemäß § 5 Satz 2 der FinanzOnline Verordnung 2006 (BGBl II Nr 97/2006; „FOnV“) gelten die von der Klägerin vorgenommenen Datenübertragungen (Datenstromübermittlung iSd § 1 Abs 2 letzter Satz FOnV) erst dann als bei der Behörde eingebracht, wenn sie in einer zur vollständigen Weiterbearbeitung geeigneten Form bei dieser einlangen, wobei gemäß dem letzten Halbsatz des § 5 FOnV im diesem Sinn unbeachtliche Datenübertragungen „kenntlich zu machen“ sind. Dies legt nahe, dass es sich bei der vorgesehenen „Kenntlichmachung“ von nicht in einer zur vollständigen Weiterbearbeitung geeigneten Form eingebrachten und daher unbeachtlichen Anbringen (hier: Übermittlung von „Datenfiles“) um keinen – gemäß § 98 BAO nach den Bestimmungen des ZustG zuzustellenden – Verbesserungsauftrag handelt, sondern um eine bloße EDV technische Rückmeldung gegenüber dem konkreten „Datenübermittler“. Die vom Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang vertretene Rechtsansicht, die inkriminierte Vorgehensweise der Finanzbehörde habe § 5 FOnV entsprochen (auf deren Grundlage diese auch ersichtlich erfolgte) bzw sei zumindest vertretbar gewesen, begründet daher keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung . Dass § 5 FOnV gesetzwidrig sei, behauptet die Revisionswerberin nicht. Die inkriminierte Vorgehensweise der Behörde, den ausgewiesenen Zustellbevollmächtigten von der „Kenntlichmachung“ (durch ein Fehlerprotokoll) nicht zu verständigen, findet aber ohnehin auch Deckung in § 21 Abs 11 Satz 4 UStG, wonach ein (hier zu beurteilender) Antrag auf Erstattung von Vorsteuerbeträgen in einem anderen Mitgliedstaat, der nicht die erforderlichen Angaben gemäß Art 8, 9 und 11 der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 enthält, ungeachtet einer allfälligen tatsächlichen Übermittlung unbeachtlich ist. Im vorliegenden Fall fehlte einem von der Klägerin übermittelten Datensatz sowohl (hinsichtlich einer Rechnung) die gemäß Art 8 Abs 2 lit h der genannten Richtlinie vorgesehene Angabe der Art des erworbenen Gegenstands bzw der Dienstleistung, als auch (hinsichtlich mehrerer Rechnungen) die gemäß Abs 1 lit f leg cit erforderliche Angabe einer (richtigen) UID Nummer.
4 . Die Frage, ob eine Haftung der Beklagten aufgrund des Umstands, dass Mitarbeiter der Klägerin die Fehlermeldung zwar lasen, darauf aber nicht reagierten, ausgeschlossen sein könnte, stellt sich nach dem Vorstehenden nicht. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO wird auch nicht dadurch begründet, dass die hier zu lösende Frage in einer Vielzahl von Fällen auftritt (RS0042816). Dass sich die vorliegende Rechtsfrage nicht nur für Organe der Abgabenbehörde, sondern für „faktisch alle Fragen der Zustellung durch Behörden und Gerichte“ stelle, ist angesichts der Spezialbestimmung des § 5 FOnV unzutreffend. Das Argument, die Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage könne „wahrscheinlich auch als Input für eine Gesetzesänderung wirken“, verkennt das
Wesen des Amtshaftungsverfahrens, in dem nicht – wie dargestellt – zu prüfen ist, ob eine Handlung oder Unterlassung richtig war, sondern nur ob sie auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte (vgl 1 Ob 72/19y mwN).
5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3
ZPO).