1Ob76/19m – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Mag. a Petra Laback, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 21. Februar 2019, GZ 4 R 6/19h 18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 29. November 2018, GZ 3 Cg 4/18z 14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Kläger, der die Feststellung der Haftung des Bundes für zukünftige Schäden „aus der durch Verhinderung der marktentsprechenden Veranlagung wegen der zu Unrecht beschlossenen Beschlagnahmen“ seit 26. 1. 2015 und 31. Juli 2015 „mittels Beschlüsse[n]“ der Strafgerichte erster und zweiter Instanz „wie auch der zu Unrecht darüber hinaus aufrecht erhaltenen Beschlagnahme“ bestimmter bei verschiedenen Banken veranlagter Vermögenswerte begehrt, unterstellt dem Berufungsgericht eine klare Fehlbeurteilung zur Vertretbarkeit der gefällten Beschlagnahmebeschlüsse und der Dauer des von den Ermittlungsbehörden gegen ihn wegen des Vorwurfs der Verbrechen Vorteilsannahme zur Beeinflussung, des schweren gewerbsmäßigen Betrugs und anderer Vergehen geführten Verfahrens. Das Berufungsgericht hätte beachten müssen, dass, [auch wenn] bei ihm Vermögen von 1,5 Millionen EUR aufgefunden worden sei, dessen Herkunft – wie er selbst vorbringt – nicht nachvollzogen werden konnte, sich dem Verfahren zum Zeitpunkt der Beschlagnahme Privatbeteiligte lediglich mit einem Betrag von 1.788,08 EUR angeschlossen gehabt hätten. Spätere Privatbeteiligtenanschlüsse wären bei Anordnung der Beschlagnahme nicht einzubeziehen gewesen.
Dieser Vorwurf ist schon deshalb nicht verständlich, weil eine von ihm nur pauschal behauptete (und auch gar nicht durch Bezugnahme auf bestimmte Ausführungen in den Entscheidungen begründete) Berücksichtigung späterer Privatbeteiligtenanschlüsse weder aus den Entscheidungen der Straf- noch der Zivilgerichte im Amtshaftungsverfahren ersichtlich ist. Im Gegenteil führte das Berufungsgericht sogar ausdrücklich an, dass die Vertretbarkeit der Beschlüsse nach den Fakten, die auch der Entscheidung zugrunde gelegen seien, zu beurteilen sei und es auf spätere Privatbeteiligtenanschlüsse nicht ankomme). Nach dem festgestellten Sachverhalt stützte sich das mit seiner Beschwerde befasste Oberlandesgericht, das im Beschwerdeverfahren nicht auf die Kontrolle der ersten Instanz beschränkt ist und auch unter (hier aber gar nicht erfolgter) Abweichung von der Begründung der überprüften Entscheidung aus anderen Erwägungen zu deren Bestätigung gelangen kann, weil nicht (bloß) der angefochtene Beschluss, sondern vielmehr die Sache selbst Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist (RIS Justiz RS0089977 ua; Tipold in Fuchs/Ratz , WK StPO § 89 Rz 8), die Bestätigung der Beschlagnahmebeschlüsse primär darauf, dass nach den gegebenen Umständen davon auszugehen sei, dass die vorgefundenen Vermögenswerte von rund 1,5 Millionen EUR aus unversteuerten Einkünften stammten und es sich bei den Guthaben um die dem Kläger verbliebenen Anteile an den Malversationen samt allenfalls daraus von ihm gezogenen Nutzen handelte. Es hielt die Beschlagnahme – neben dem Hinweis auf die Sicherung angemeldeter Ansprüche (wozu es eine [also schon vorhandene] Ordnungsnummer des Akts zitierte) – vor allem zur Sicherung des Verfalls und der Geldstrafe nach § 207a FinStrG für gerechtfertigt. Bei einem Strafrahmen bis zum Dreifachen des strafbestimmenden Wertbetrags entspreche dies einem (die beschlagnahmten Vermögenswerte übersteigenden) Betrag von 1,865 Millionen EUR. Auf die konkrete Höhe von Privatbeteiligtenanschlüssen kam es damit gar nicht an.
2. Wie schon zuvor zieht der Kläger auch im Revisionsverfahren (bloß) andere Schlüsse aus den im Ermittlungsverfahren vorgelegenen Erhebungsergebnissen als die damit befassten Behörden und Gerichte, und meint, seine Darstellungen seien glaubwürdig gewesen, weswegen er den Verdacht entkräftet habe. Damit wendet er sich gegen die von den Strafgerichten und der Staatsanwaltschaft vorgenommene Einschätzung der Ermittlungsergebnisse, die von den Vorinstanzen als plausibel angesehen wurde, ohne dass es ihm dabei gelänge, aufzuzeigen, warum deren Beurteilung, die Strafgerichte und die Organe der Ermittlungsbehörden hätten aufgrund der (in den Entscheidungen auch näher referierten) Ergebnisse der Hausdurchsuchungen und der Zeugenangaben berechtigt vom Vorliegen einer Verdachtslage ausgehen dürfen, unvertretbar sein sollte. Den Standpunkt, dass der Verdacht (später) „zerbröselt“ sei, wie der Kläger meint, teilten die Vorinstanzen in unbedenklicher Beurteilung nicht.
3. Mit der – unbelegten und auch nicht nachvollziehbaren – Behauptung, Umstände, die sich erst nach dem Zeitpunkt der Erlassung der Beschlagnahmebeschlüsse ereignet hätten oder hervorgekommen seien, dürften keine Rolle für die Beurteilung spielen, ob die Beschlagnahme weiterhin aufrechtzuerhalten war, gelingt es dem Kläger ebenfalls nicht, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufzuzeigen.
4. Der Kläger verneint selbst eine konkrete Anwendbarkeit des § 108a StPO im vorliegenden Fall. Seiner Ansicht, sie sei aber „in Hinsicht auf die Grundlage in Artikel 6 EMRK in deren Grundsätzen auch auf gegenständliches Verfahren anzuwenden“ fehlt eine nachvollziehbare Begründung. Schon das Erstgericht hatte dem Kläger vorgehalten, dass Verzögerungsschäden aus dem Titel der Amtshaftung nur insoweit ersatzfähig seien, als sie durch eine unvertretbare Anwendung des Verfahrensrechts verursacht worden sind, und hatte eine Säumnis der Behörden trotz des objektiv langen Zeitraums wegen der Komplexität und des Umfangs des vorliegenden Falls verneint. Soweit der Kläger dem Rechtsmittelgericht zum Thema der Verfahrensdauer vorwirft, es habe sich mit einzelnen, von ihm nun in der Revision dargelegten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art 6 EMRK nicht befasst, ist ihm zu erwidern, dass das Berufungsgericht dazu aufgrund der (fehlenden) Ausführungen in seinem Rechtsmittel keinen Anlass hatte.
Entgegen seinen Behauptungen, wonach es sich nicht mit dem „langen Gang des Ermittlungsverfahrens“ auseinandergesetzt habe (woran er anschließt, dass deswegen ein Verstoß gegen Art 6 EMRK vorliege und die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme rechtswidrig gewesen sei), widmete sich das Berufungsgericht dieser Frage in seiner Entscheidung, wenn auch nicht mit dem von ihm angestrebten Ergebnis. Es bezog sich auf die außerordentliche Komplexität des vorliegenden Falls mit zum Teil im Zusammenwirken mit weiteren Tätern begangenen Wirtschaftsdelikten [dazu führt der Kläger selbst an, es werde gegen 80 Personen ermittelt] bei einer Vielzahl an unterschiedlichen Faktenkreisen (und allein zu den Faktenkreisen II und III 193 zu untersuchenden Fällen). Angesichts der Verflechtung mit anderen Tatverdächtigen in Verbindung mit dem Umstand, dass potentielle Zeugen selbst durch eine Offenlegung von Malversationen eigene Nachteile bzw Auftragsverluste befürchten oder eigene Unregelmäßigkeiten hätten aufdecken müssen, führte es stichhaltig aus, dass aufgrund dessen die Aufklärung der viele Jahre in die Vergangenheit zurückreichenden Sachverhalte nur mit erheblichstem Aufwand und äußerst schwer möglich sei. Es hob hervor, dass wegen der Vielzahl von Einzeldelikten und der daher erforderlichen Überprüfung jedes einzelnen Bauauftrags die Auswertung des bei den (mehreren und in verschiedenen Jahren durchgeführten) Hausdurchsuchungen sichergestellten umfangreichen Beweismaterials, wozu es sich auf die Feststellungen des Erstgerichts bezog, schon wegen der immensen Datenmenge besonders zeitintensiv sei. Dass seine darauf aufbauende Beurteilung, es sei im vorliegenden Fall ein schuldhaftes Organverhalten in Bezug auf die Verfahrensdauer zu verneinen, unvertretbar wäre, kann der Kläger mit nicht festgestellten Vermutungen zu einer unterlassenen und von ihm offenbar als früher möglich unterstellten Behebung von technischen Problemen (bei der Datenerfassung) ebensowenig darlegen, wie mit der Bezugnahme auf den Zeitraum nach Schluss der Verhandlung im Verfahren erster Instanz.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beurteilt die Angemessenheit der Verfahrensdauer ohne feste Obergrenze jeweils im Einzelfall anhand mehrerer Kriterien ( Thienel , Die angemessene Verfahrensdauer [Art 6 Abs 1 MRK] in der Rechtsprechung der Straßburger Organe – Unter Bedachtnahme auf die österreichische Rechtslage, ÖJZ 1993, 473; vgl dazu, dass es sich dabei um ein bewegliches, nicht zwingend anzuwendendes System handelt, wobei primär die konkrete Konstellation des Einzelfalls zu berücksichtigen ist, Herbst/Wess , Überlange Verfahrensdauer in [gerichtlichen] Strafverfahren – Voraussetzungen, Rechtsbehelfe und Rechtsfolgen in Lewisch , Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 242 mwN; Kier in Fuchs/Ratz WK StPO § 9 Rz 16 [keine verallgemeinerungsfähige Höchstfrist]). Der Kläger kann also zur (überwiegenden) Aufrechterhaltung der Beschlagnahme (im Februar 2018 wurde ein Sparkonto mit einen Guthabensstand zum 5. 1. 2015 von 98.453,20 EUR freigegeben) keine erhebliche Rechtsfrage aufwerfen, wenn er darlegt, es sei die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Maßnahme wegen der „überlangen Dauer“ des Ermittlungsverfahrens weggefallen, wiewohl das Berufungsgericht ein schuldhaftes Organverhalten dabei vertretbar verneint hat.
5. Ausgehend davon kommt es auf die Frage, ob der Kläger über die Möglichkeit einer Erhebung eines Einspruchs wegen (behaupteter) Rechtsverletzung hätte belehrt werden müssen, nicht mehr an.
6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).