JudikaturOGH

1Ob52/19g – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. April 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj A*, geboren am * 2001, und der mj T*, geboren am * 2008, beide *, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter E*, vertreten durch Mag. Martin Wakolbinger, Rechtsanwalt in Enns, gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom 28. Dezember 2018, GZ 1 R 224/18m-61, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 5. November 2018, GZ 1 Ps 58/17s-35, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass der Revisionsrekurs zwar eine Verfahrensrüge enthält, dass aber nicht erkennbar ist, welcher Verfahrensfehler („Stoffsammlungsfehler“) dem Rekursgericht oder dem Erstgericht vorgeworfen wird. In Wahrheit zielen die unter dem Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens erstatteten Ausführungen auf die Geltendmachung sekundärer Feststellungsmängel ab, die der Rechtsrüge zuzuordnen sind.

Die Entscheidung, ob und welche Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Ihr kommt im Regelfall keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern nicht leitende Grundsätze verletzt wurden (RIS Justiz RS0130780 [T3] zur – auch hier zu beurteilenden – vorläufigen Entscheidung über die Obsorge gemäß § 107 Abs 2 AußStrG; vgl auch RS0007101 [T12, T13, T17, T18]). Eine solche Fehlbeurteilung kann den Vorinstanzen aber nicht vorgeworfen werden.

Das Gericht hat nach § 107 Abs 2 AußStrG in der geltenden Fassung nach dem KindNamRÄG 2013 (BGBl I 2013/15) schon dann (auch von Amts wegen) eine vorläufige Entscheidung zu treffen, wenn zwar für die endgültige Regelung noch weitergehende Erhebungen, etwa die Einholung oder Ergänzung eines Sachverständigengutachtens, notwendig sind, aber eine rasche Regelung der Obsorge oder der persönlichen Kontakte für die Dauer des Verfahrens Klarheit schafft und dadurch das Kindeswohl fördert. Die Voraussetzungen für die Erlassung vorläufiger Maßnahmen sind in dem Sinn reduziert, dass diese nicht mehr erst bei akuter Gefährdung des Kindeswohls, sondern bereits zu dessen Förderung erfolgen dürfen (7 Ob 198/18w mwN; RS0129538, [insbesondere T3]). Dass die Vorinstanzen eine vorläufige Regelung der Obsorge nach § 107 Abs 2 AußStrG aufgrund des drohenden Verlusts der Wohnmöglichkeit der bis dahin mit der alleinigen Obsorge betrauten Mutter, die das Haus des Vaters (ihres früheren Lebensgefährten) trotz unmittelbar bevorstehender Räumung nicht verließ und nicht versuchte, für sich und ihre Kinder eine eigene Wohnmöglichkeit zu finden, sowie wegen ihrer zunehmenden auffälliger werdenden psychischen Verfassung für angezeigt hielten, begegnet keinen Bedenken. Nur durch eine rasche Entscheidung über die (vorläufige) Obsorge konnte vor allem Klarheit hinsichtlich der Wohnsituation der Kinder geschaffen werden.

Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die von den Vorinstanzen angenommene – auch zur Begründung der Anwendbarkeit des § 107 Abs 2 AußStrG ins Treffen – Kindeswohlgefährdung wendet, legt sie nicht dar, weshalb das Rekursgericht seinen ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen legte die Revisionsrekurswerberin (vermutlich aufgrund einer psychischen Störung) ein höchst belastendes und eskalierendes Verhalten an den Tag, wodurch eine die gedeihliche Entwicklung beiden Kinder beeinträchtigende Familiensituation geschaffen wurde; sie verhielt sich gegenüber dem Vater körperlich aggressiv, weshalb es – auch vor der jüngeren Tochter – zu mehrmaligen Polizeieinsätzen kam; außerdem trug sie Streitereien (auch über das Sexualleben der Eltern) vor den Kindern aus, bezog diese in ihren Konflikt mit dem Vater, bei dem beide Kinder bleiben wollen, mit ein und setzte sie damit Loyalitätskonflikten aus; sie beschimpft nahezu alle Personen im Umfeld der Familie in unfältigster Weise; sie sah die Kinder (hinsichtlich des Unterhalts) auch als „Geldeinnahmequelle“ an (so „drohte“ sie etwa der jüngeren Tochter damit, dass sie [die Mutter] keinen Unterhalt mehr bekommen würde, wenn die Tochter nicht mit ihr mitkomme) und wertete die ältere Tochter massiv ab. Dass das Rekursgericht auf dieser Grundlage (sowie aufgrund des Umstands, dass sich die Mutter trotz unmittelbar bevorstehender Räumung um keine Wohnmöglichkeit für sich und die Kinder kümmerte) davon ausging, dass eine Beibehaltung der Obsorge durch die Mutter nicht dem Kindeswohl entspreche, bewegt sich im Rahmen des bestehenden Beurteilungsspielraums. Ein unverhältnismäßiger Eingriff kann in den Entscheidungen der Vorinstanzen – auch unter dem Aspekt ihrer geradzu unerträglichen Vorbildwirkung für die Kinder – nicht erblickt werden.

Die Revisionsrekurswerberin setzt der ausführlichen Begründung des Rekursgerichts zur Kindeswohlgefährdung einerseits die – dem festgestellten Sachverhalt widersprechende – Behauptung entgegen, sie könne die materiellen und immateriellen Bedürfnisse beider Kinder erfüllen; andererseits bestreitet sie das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, wobei sie übersieht, dass ihr Verhalten unabhängig von einer medizinischen Diagnose dem Kindeswohl abträglich ist. Im Übrigen kritisiert die Revisionsrekurswerberin bloß, dass das Erstgericht keine Feststellungen dazu traf, ob der Vater das Kindeswohl (besser) gewährleisten könne. Dafür, dass dies nicht der Fall wäre, ergeben sich aber keinerlei Anhaltspunkte.

Die angefochtene Entscheidung bedarf auch dann keiner Korrektur, wenn man davon ausginge, dass die Revisionsrekurswerberin – wie sie unter Vorlage eines von ihr abgeschlossenen Mietvertrags (Mietbeginn am 15. 1. 2019) und eines Übergabeprotokolls behauptet – nunmehr über eine eigene Wohnung verfügt, weil ihr festgestelltes Verhalten unabhängig von der Wohnsituation nicht dem Kindeswohl entsprach.

Insgesamt zeigt der Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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