1Ob19/19d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Dr. E. Solé, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*, geboren am * 2002, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter P*, vertreten durch die GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG, Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom 10. Dezember 2018, GZ 1 R 115/18g 149, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 31. Mai 2018, GZ 17 Ps 176/17m 124, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.8
Text
Begründung:
Die Obsorge für die Minderjährige kommt dem Vater zu, der die Pflege und Erziehung an den Kinder- und Jugendhilfeträger übertrug. Sie wird seit Februar 2015 in einer Wohngruppe betreut. Ab 23. 7. 2017 befand sie sich für längere Zeit in stationärer psychiatrischer Behandlung. Mittlerweile wird sie wieder in einer (anderen) Wohngruppe betreut.
Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter, ihr die Obsorge zu übertragen, ab, weil sie die dafür notwendige Erziehungsfähigkeit nicht aufweise und die Übertragung der Obsorge an sie daher nicht dem Kindeswohl entspreche.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Mutter nicht Folge. Es ging ebenfalls davon aus, dass es ihr an der erforderlichen Erziehungsfähigkeit fehle. Die Verfahrensrüge, in der die Mutter kritisierte, dass die Minderjährige vom Erstgericht nicht angehört und kein kinderpsychologisches Gutachten eingeholt worden sei, verwarf das Rekursgericht. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist nicht zulässig.
Vorauszuschicken ist, dass auch im Verfahren außer Streitsachen eine vom Rekursgericht verneinte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz im Revisionsrekursverfahren grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden kann (RIS Justiz RS0050037; RS0030748). Dieser Grundsatz ist im Pflegschaftsverfahren aber (ausnahmsweise) dann nicht anzuwenden, wenn das Aufgreifen eines solchen Verfahrensfehlers zur Wahrung des Kindeswohls erforderlich ist (vgl RIS Justiz RS0050037 [T1, T4, T8]; RS0030748 [T2, T5, T18]). Ob das Aufgreifen eines vom Rekursgericht verneinten Verfahrensmangels aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist, stellt stets eine Frage des Einzelfalls dar (RIS Justiz RS0050037 [T9, T18]).
Zur – auch in dritter Instanz monierten – Unterlassung der Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens ist zunächst anzumerken, dass der Revisionsrekurs die Relevanz des angeblichen Verfahrensfehlers nicht ausreichend aufzeigt, weil nicht dargelegt wird, inwiefern der behauptete Mangel konkret geeignet gewesen wäre, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen (RIS-Justiz RS0043027 [T13]; zum – auch hier erhobenen – Vorwurf der unterlassenen Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens vgl 4 Ob 245/16g). Der bloß allgemeine Hinweis der Revisionsrekurswerberin, bei Einholung des beantragten Gutachtens „hätte sich ohne weiteres herausstellen können, dass das Antragsvorbringen zutrifft und mit Antragsstattgabe vorzugehen wäre“, reicht ebensowenig aus, wie die Behauptung, mangels Einholung des beantragten Gutachtens sei das Wohl der Minderjährigen nicht umfassend geprüft worden.
Davon abgesehen liegen auch die Voraussetzungen für eine – aus Gründen des Kindeswohls ausnahmsweise zulässige – Durchbrechung des Grundsatzes, dass vom Rekursgericht verneinte Verfahrensfehler nicht mehr aufgegriffen werden können, nicht vor. Auch die Einholung des beantragten Gutachtens könnte nichts daran ändern, dass eine Übertragung der Obsorge auf die Mutter aufgrund der bei dieser vorliegenden – in dritter Instanz nicht mehr substantiiert bekämpften – Erziehungsunfähigkeit nicht im Wohl der Minderjährigen liegt. Was ein solches Gutachten an der Beurteilung der Erziehungsunfähigkeit der Revisionsrekurswerberin ändern sollte, vermag sie nicht aufzuzeigen. Dafür, dass ein – bei bestehender Obsorge des Vaters anzunehmender – Verbleib der Minderjährigen in der derzeitigen Wohngemeinschaft weniger in deren Wohl läge, als ein Aufenthalt bei der Mutter, bietet weder das Vorbringen im Revisionsrekurs noch der festgestellte Sachverhalt einen Anhaltspunkt.
Dass die Minderjährige in erster Instanz „kaum“ befragt und ihre Lebenssituation nicht erhoben worden sei, ist unzutreffend. Sie wurde vom Erstrichter nicht nur zu ihren Vorstellungen hinsichtlich des bevorzugten Aufenthalts, sondern auch ausführlich zu ihren Lebensumständen befragt. Dabei bestand keine Verpflichtung zur Beiziehung eines (kinderpsychologischen) Sachverständigen (1 Ob 157/09h mwN). Dass selbst der Wille eines mündigen Kindes – die Minderjährige gab bei ihrer Befragung am 20. 9. 2017 an, es „cool“ zu finden, wenn sie zur Mutter ziehen könnte – das Gericht bei der Entscheidung über die Obsorge nicht bindet, sei der Vollständigkeit halber erwähnt (RIS Justiz RS0048820 [T15]). Die Revisionsrekurswerberin übersieht auch, dass ihre Tochter am 6. 9. 2018 gegenüber dem zur Klärung ihrer Prozessfähigkeit beigezogenen Sachverständigen angab, trotz eines sehr guten Verhältnisses zur Mutter bis zum 18. Lebensjahr in der Wohngemeinschaft bleiben zu wollen, weil sie sich dort sehr gut aufgehoben fühle.
Soweit die Revisionsrekurswerberin kritisiert, dass kein Gutachten zu ihrer Erziehungsfähigkeit eingeholt wurde, wird die Verfahrensrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt, da sie jegliches Vorbringen zur Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels vermissen lässt. Sie behauptet nicht einmal, dass sich ihre Erziehungsfähigkeit herausgestellt hätte.
Auf den Vorwurf, das Rekursgericht sei von den vom Erstgericht – aufgrund einer unmittelbaren Beweisaufnahme – getroffenen Feststellungen abgewichen (in Wahrheit traf das Rekursgericht aufgrund der Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe ergänzende Feststellungen), muss nicht weiter eingegangen werden, weil auch diese Verfahrensrüge die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers nicht darlegt. Die bloße Behauptung, dieser sei abstrakt geeignet, eine unrichtige Entscheidung herbeizuführen, zumal sich im Fall einer unmittelbaren Beweisaufnahme herausgestellt hätte, dass das Antragsvorbringen zutreffe und mit Antragsstattgabe vorzugehen gewesen wäre, reicht nicht aus.
Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 letzter Satz AußStrG).