11Os146/18g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Februar 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen K***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 9. August 2018, GZ 16 Hv 74/18g 41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde K***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (2./) schuldig erkannt.
Danach hat er in G***** im Zeitraum ab dem Jahr 2015 bis Juni 2016 in zumindest zwanzig Angriffen
1./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er jeweils die am ***** 2006 geborene V***** auf seinen Schoß setzte und seinen teils erigierten Penis gezielt und intensiv in ihrer Schamgegend auf und ab bewegte,
2./ durch die unter Punkt 1./ beschriebenen Handlungen mit einer minderjährigen Person, die zumindest vorübergehend unter seiner Aufsicht stand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der Beschwerdeführer durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 9. August 2018 – laut dem unbeanstandet gebliebenen Protokoll (ON 40 S 10) ohne Verweis auf die vorherige schriftliche Ausführung (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 310) – gestellten Antrags auf „Einvernahme der Andrea A***** als Zeugin zum Beweise dafür, dass es zu solchen Vorfällen nicht gekommen ist, weil das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und V***** in ihren Augen ein ganz normales war“ nicht in Verteidigungsrechten verletzt. Es ergaben sich nämlich aus dem – der Sache nach unter dem Aspekt einer grundsätzlich zulässigen (RIS Justiz RS0028345) Beweisführung zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Opfers erstatteten – Begehren keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, dass durch die Aufnahme des Beweises Rückschlüsse auf die inhaltliche Unrichtigkeit der Angaben des Opfers in Ansehung entscheidender Tatsachen hätten gezogen werden können (RIS-Justiz RS0120109 [T3]; vgl auch RS0118444, RS0118123). Das zu seiner Fundierung im Rechtsmittel nachgetragene Vorbringen ist prozessual verspätet (RIS Justiz RS0099618). Die vom Beschwerdeführer kritisierte Begründung des den Antrag abweisenden Beschlusses (ON 40 S 10) steht nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS Justiz RS0116749).
Indem die Mängelrüge anhand von (nur) im Verfahren AZ 217 U 56/17y des Bezirksgerichts Graz-Ost vorgekommenen Aussagepassagen des Zeugen Karim A***** zur mangelnden Wahrnehmung von Übergriffen des Angeklagten in Verbindung mit der beengten Wohnsituation der Familie sowie zu deren „typischem Tagesablauf“ (vgl aber RIS Justiz RS0098377) eigenständige Theorien entwickelt, zeigt sie die behauptete Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) schon deshalb nicht auf, weil in der Hauptverhandlung nicht Vorgekommenes (s ON 40 S 10) im Urteil nicht zu erörtern ist ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 421, 427 mwN). Inwiefern der Umstand, dass der Beschwerdeführer von Februar bis Ende Mai 2016, somit vier Monate lang, an „starken Hodenschmerzen“ gelitten habe, der Annahme von zwanzig Tathandlungen in einem Zeitraum von eineinhalb Jahren erörterungspflichtig entgegenstehen sollte (Z 5 zweiter Fall; RIS Justiz RS0098646 [insbesondere T8]), legt die Rüge nicht nachvollziehbar dar. Der ins Treffen geführte Zweifelsgrundsatz ist nicht Gegenstand der Mängelrüge (RIS Justiz RS0102162).
Soweit der Rechtsmittelwerber eine „Scheinbegründung“ der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen (Z 5 vierter Fall) darin ortet, dass das Erstgericht von „glaubhaften und im Wesentlichen widerspruchsfreien“ Angaben des Opfers ausgegangen sei (US 3), übersieht er, dass die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen – so sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist – einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen ist (RIS-Justiz RS0106588 [T13]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 431). Sie kann nur unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat (RIS Justiz RS0119422 [T2, T4]). Einzelne Abweichungen in der Aussage des Opfers wurden – entgegen dem Beschwerdestandpunkt – nicht vernachlässigt (vgl US 3: „im Wesentlichen widerspruchsfrei“). In diesem Zusammenhang verwies das Schöffengericht – dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen entsprechend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO; vgl RIS-Justiz RS0098778) – neben dem Fehlen eines plausiblen Motivs für eine Falschbelastung auch auf das „in sich schlüssige und nachvollziehbare“ Gutachten des kinderpsychologischen Sachverständigen, nach welchem die Angaben der Zeugin „zahlreiche Realkennzeichen“ aufwiesen, was für eine tatsächliche Erlebnisfundiertheit spreche. Inwiefern die Gegenüberstellung mit den für glaubhaft erachteten Depositionen der Belastungszeuginnen V***** und Sandra Vl***** (US 4) keine ausreichende Begründung für die Wertung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten als Schutzbehauptungen darstellen soll (Z 5 vierter Fall), legt der Beschwerdeführer nicht dar.
Mit dem bloßen Verweis auf das Vorbringen der Mängelrüge wird die Tatsachenrüge (Z 5a) aufgrund wesensmäßiger Verschiedenheit der Nichtigkeitsgründe nicht prozessordnungsgemäß zur Ausführung gebracht (vgl RIS Justiz RS0115902).
Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) verstößt die aggravierende Heranziehung des „außerordentlich jungen Alters des Tatopfers“ vorliegend nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), weil die Unmündigkeit, also die Nichtvollendung des 14. Lebensjahrs (§ 207 Abs 1 StGB), bzw die Minderjährigkeit bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs (§ 212 Abs 1 StGB) an sich strafsatzbestimmend ist und jedes (noch) weitere Zurückbleiben des Lebensalters des (hier zur Tatzeit 8- bzw 9 jährigen [US 1]) Opfers unter diesen Altersgrenzen gemäß § 32 Abs 3 StGB strafschärfend wirkt (vgl RIS Justiz RS0090958 [insbesondere T3, T4]). Mit dem Einwand, das Erstgericht habe keine „genuin einzelfallbezogenen Erwägungen“ zur Generalprävention angestellt, wird keine Nichtigkeit im Sinne der Z 11 dritter Fall, sondern nur ein Berufungsgrund geltend gemacht (RIS Justiz RS0117723).
Die Berücksichtigung der Uneinsichtigkeit des Angeklagten (Z 11 dritter Fall) bei der Sanktionsfindung kann dahinstehen, weil die Tatrichter die Gewährung auch bloß teilbedingter Strafnachsicht schon aus generalpräventiven Gründen für nicht vertretbar erachtet (US 5; vgl RIS Justiz RS0090897 [T3 und T5]) haben.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung des Verteidigers – in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.